Seppl Haueis: Die wilden Kräuter vom Berg

Seppl Haueis wilden Kraeuter
Seppl Haueis wilden Kraeuter(c) Bilderbox
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Der Tiroler Wirt Seppl Haueis setzt in seiner Küche auf die Aromatik und Kraft der wilden Kräuter, die vor seinem Haus wachsen – und auf das umfassende Wissen der Frauen der Kriegsgeneration.

Seppl Haueis orientiert sich an den Bienen. Wenn die arbeiten, dann tut er das auch. „Denn dann öffnen sich die Öldrüsen der Pflanzen und das Aroma ist am besten. Wenn die Bienen und Schmetterlinge arbeiten, muss der Mensch auch arbeiten“, sagt der Wirt vom Postgasthof Gemse in Zams. Und zu seiner Arbeit zählt nicht nur das Kochen, sondern auch das ganze Drumherum – genauer gesagt die Arbeit davor. Etwa das Kräuterpflücken.

Während andere in den Tiroler Bergen noch die zwei Meter Schnee beim Skifahren genießen, ist Haueis auf den Bergwiesen vor seinem Gasthof schon auf der Suche nach den ersten kleine Trieben der Wildkräuter. „Sauerampfer, Pimpernelle, Rosmarin, Waldmeister, wilder Thymian und Kärntner Minze kommen schon. Der Rhabarber schaut schon acht Zentimeter aus dem Boden“, so der Wirt. Haueis muss eigentlich gar nicht lange erklären, wie sehr er diese aromatischen Schätze der Natur liebt. Allein wie er darüber spricht, macht deutlich, dass er höchsten Respekt vor der Natur hat. „Zum Beispiel der Holunder. Den muss man pflücken, wenn die Bienen und Schmetterlinge fliegen. Er darf keinen Temperaturschock erleiden, dann bleiben die Blüten offen und man kann einen guten Sirup machen“, so Haueis, der seit 1990 in der Gemse genau das auf den Speiseplan setzt, was vor seiner Haustür wächst.


Leben statt geistigen Diebstahls. Zu schätzen gelernt hat er diese Vielfalt aber weniger daheim als im Ausland. Gut 15 Jahre war er als Koch in der ganzen Welt unterwegs, etwa in China, Dubai, Japan oder Frankreich. „Dort habe ich viel geistigen Diebstahl begangen, wie das in Drei- und Viersternehäusern so üblich ist. Aber das ist nicht das Leben, das glaub ich einfach nicht“, sagt der 60-Jährige.

Das Leben, das findet er jetzt woanders. Und zwar nicht nur in der Natur, sondern auch bei jenen 70-, 80-jährigen Frauen, die ihn aufgrund ihrer enormen Materialkenntnis faszinieren. „Das sind Top-Persönlichkeiten. Diese Frauen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration haben eine Materialkenntnis und eine Art, mit Material umzugehen, das ist unglaublich“, schwärmt der Tiroler. Und genau das möchte er erhalten. Also schaut er hin und wieder bei den Damen vorbei, blickt ihnen beim Kochen über die Schulter und lässt sich gern belehren.


Ode an das Rexglas.
So hat er etwa gelernt, dass, wenn die Bienen ihre Arbeit einstellen, er das noch lange nicht tun darf. Denn dann bereitet auch er sich auf den Winter vor, indem er die gepflückten Kräuter in Rexgläsern einmacht, etwa in Essig oder Öl. Auch für diese eigentlich recht schlichte Art der Konservierung kann er sich schnell begeistern. „Da bekommt man mit Ruhe und Zeit ein unglaublich tolles Produkt, auf das man im Winter schnell zurückgreifen kann, ohne etwas aufzutauen.“ So werden etwa Quitten, Vogelbeeren, Holunder und Preiselbeeren zu Kompott oder Gelee verarbeitet. Oder aber auch der seltene Spenling. „Das ist eine Kreuzung. Ich streite immer mit meinen französischen Freunden, was das genau ist. Es ist nämlich keine Zwetschke und auch keine Pflaume.“ Aber offensichtlich etwas, was sich hervorragend zur Verarbeitung zu Marmelade oder Schnaps eignet.

Aber zurück zu den Kräutern, die es dem Wirt besonders angetan haben – vor allem die wilden Kräuter. Denn die sind aufgrund ihrer vielen Nährstoffe, die sie allein deshalb brauchen, um sich in der Natur durchzusetzen, auch für uns besonders gesund. „Das liegt wohl daran, dass sie nie gekreuzt wurden“, meint Haueis. Die Blätter sind meist kleiner und fleischiger und enthalten wesentlich mehr gesunde Nährstoffe, etwa Bitterstoffe. „Die Pflanzen, die in der Natur wachsen, müssen sich ja besonders anpassen und verteidigen. Das heißt, die Pflanze hat von Natur aus mehr sekundäre Pflanzenstoffe, die für uns so wichtig sind“, sagt auch Helga Ennemoser, die sich als Kräuterpädagogin und Wanderbegleiterin in Salzburg mit wilden Kräutern und Gemüse beschäftigt. Denn ein gezüchtetes Exemplar braucht aufgrund der angenehmen Umgebung eben weniger von den sekundären Inhaltsstoffen.


Steinklee statt Gewürzmischung. Das wird auch im Geschmack deutlich. Abgesehen von den weisen Damen der Kriegsgeneration, die ihr Kraut ohnehin niemals im Supermarkt kaufen würden, sind unsere Geschmacksnerven doch schon sehr an die gezüchteten Varianten und die einheitlichen Gewürzmischungen gewöhnt. „Die Leute fragen mich oft, was ich denn da schon wieder für ein neues Gewürz verwende, dabei ist das doch nur Steinklee“, sagt Haueis, dem durchaus bewusst ist, dass die wilden Kräuter aufgrund ihrer intensiven Aromatik nur reduziert eingesetzt werden sollen. So schwört er etwa auf den Einsatz von Beifuß bei Gerichten mit Ente oder fettem Fisch. „Beifuß ist ein wunderbares Kraut, das bei uns direkt am Wegrand wächst.“ Steinklee oder wilden Kümmel mischt er gern ins Gemüse. Die runden Blätter des Taubenkopfs (oder Erdrauchs), die sich kurz vor dem Aufblühen zu kleinen Lampions formen, fritiert er und serviert sie auf Rührei. Auch die Brennnesseln werden fritiert oder zu Suppe und Tee verarbeitet. Verschiedene Bergkräuter wie Sauerampfer, Spitzwegerich, Löwenzahn und Co. verarbeitet er zu einem Pesto. Manche dieser Kräuter werden aber nicht nur für die Kulinarik eingesetzt. So steht etwa in der Küche der Gemse immer etwas Johanniskraut bereit, um kleine Schnittverletzungen zu verarzten. Arnika wiederum hilft gegen Entzündungen. „Und den Spitzwegerich haben wir als Kind schon immer wie ein Pflaster verwendet, wenn wir uns im Wald geschnitten haben. Der ist gut für die Blutstillung. Einfach den Spitzwegerich reinigen, nass machen und auflegen“, sagt Haueis.

Auf die Frage ob er einen Liebling unter den rund 20 verschiedenen Wildkräutern hat, die rund um die mehr als 1000 Jahre alte Gemse wachsen, denkt er kurz nach. „Wissen Sie, was das Schönste ist?“, fragt er, um dann aber nicht als Antwort ein Kraut hervorzuheben. Immerhin ist es ja die Vielfalt, die – kulinarisch wie gesundheitlich – die Wildkräuter so besonders macht. „Das Schönste ist, wenn wir die Bergwiesen mähen, das Heu in der Sonne trocknen und in den Stadel bringen. Am Abend gibt es ein Geschenk der Düfte. Ich genieße das so, das lässt die ganze Arbeit vergessen“, sagt er und setzt der Ode an die Kräuter noch eines drauf: „Das ist ein Privileg.“

Der Koch

Seppl Haueis
Der Wirt und Koch leitet seit 1990 den Gasthof Gemse im Tiroler Zams.


Die KräuterSteinklee
Passt zu Gemüse, Salat oder Fleisch. Das Cumarin sorgt beim Trocknen für den Heugeruch.

Sauerampfer
Enthält Vitamin C und Eisen. Kann wie Spinat gekocht werden, passt zu Salaten (v. a. junge Blätter). Wegen des Oxalgehalts sollten Kinder nur wenig davon roh essen.

Waldmeister
Enthält viel Cumarin, genauso wie Steinklee. Wirkt entzündungshemmend und krampflösend.

Beifuß
Gut zu fetten Speisen, da er die Verdauung fördert. Sehr bitter, deshalb nur die jungen Triebspitzen verwenden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2012)

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