Juristen: Lücke zwischen Theorie und Praxis

Jus-Studenten sollten während des Studiums Praktika absolvieren und Zusatzqualifikationen erwerben. Denn die Uni bereitet nur zum Teil auf den Berufsalltag vor.

Bringen die Universitäten praxisfremde Jung-Juristen hervor, die am ersten Arbeitstag bei Null anfangen? Oder verlangen große Kanzleien zu viel Spezialisierung von den Hochschulen und zu viele Skills von jungen Absolventen? Die Lücke zwischen beruflichen Anforderungen und akademischer Ausbildung stand im Fokus der mittlerweile 13. Ausgabe der „Presse“-Veranstaltungsreihe „Kanzlei & Karriere“.

Am Mittwoch diskutierten darüber im Wiener Palais Coburg Verena Margreiter, Manager of Professional Development bei McKinsey, Heinz Mayer, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Wien, Nina Wanke, Jus-Studentin aus Innsbruck sowie ehemalige Präsidentin der European Law Students Association (ELSA) in Österreich, sowie Richard Wolf, Partner bei Wolf Theiss, der größten heimischen Kanzlei. 

„Im Studium wird nur theoretisches Wissen abgeprüft. Wichtig für mich war deshalb immer, Praktika zu machen und so einen Einblick zu bekommen, wofür man sich das Wissen im Studium aneignet und wie man es anwenden kann“, eröffnete Wanke die Diskussion aus der Sicht einer Studierenden. 

Darauf aufbauend zeichnete der Vertreter der größten heimischen Kanzlei sein Bild von einem idealen Bewerber: „Wir wünschen uns von Berufseinsteigern vor allem drei Dinge: wirtschaftliches Interesse und Verständnis, Englisch-Kenntnisse auf einem Niveau, das über das Umgangssprachliche hinausgeht, und die Fähigkeit, das Theorie-Wissen in der Praxis umzusetzen“, sagte Wolf. „Letzteres bringen die meisten nicht mit. Aber in einem derart hochspezialisierten Beruf kann man diese Fertigkeit nicht voraussetzen.“

„Training on the Job“

Meist dauert es seine Zeit, bis sich Berufseinsteiger das nötige Rüstzeug für den Kanzlei-Alltag erarbeitet haben. Für Margreiter nichts Ungewöhnliches. Als Unternehmensberaterin kommt sie schließlich aus einer Branche, in der eine Kombination aus Lernen und Arbeiten auf der Tagesordnung steht: „50 Prozent der Berater bei uns haben keinen Wirtschafts-Hintergrund. Wir kennen das also und können damit umgehen. Jeder bringt einen anderen Zugang mit und wird ,on the job' trainiert.“

Was ist aber nun das Ziel der juristischen Ausbildung an den Hochschulen? „Ich war der WU sehr dankbar, als sie 2006 das Wirtschaftsrecht-Studium gestartet hat. Das hat Nachdenk-Prozesse und Diskussionen bei uns eingeleitet. Die Frage war, welchen Weg wir in Zukunft gehen. Manche waren dafür, dass auch wir Wirtschaftsjuristen ausbilden sollen. Ich bin anderer Meinung. Wir müssen Allround-Juristen hervorbringen“, so Mayer. „Was man von uns erwarten kann, sind Absolventen, die umfassend gut ausgebildet sind und juristisch denken können. In einer hochspezialisierten Kanzlei werden sie aber noch einiges lernen müssen.“

Schließlich landen laut Angaben des Dekans nur etwa 10 bis 15 Prozent der Absolventen in einer Wirtschaftskanzlei. Viele wählen einen der anderen juristischen Kernberufe oder gehen in den öffentlichen Dienst, in Rechtsabteilungen oder NGOs – alles Bereiche mit recht unterschiedlichen Anforderungen an die Neulinge.

Individuelle Gewichtungen 

Harte Arbeit und hohes Gehalt – ist die Arbeit in einer großen Wirtschaftskanzlei überhaupt ein Studenten-Traum: „Das ist ganz unterschiedlich und kommt immer auf die einzelne Person an“, sagt Wanke. Unter den Wiener Studenten ortet sie aber eine etwas stärkere Orientierung in Richtung Wirtschaftskanzleien als bei ihren Innsbrucker Kommilitonen. „Ich selbst strebe beispielsweise gar keine klassische juristische Karriere an, sondern möchte in eine internationale Organisation. Von daher war für mich die Wirtschaftsprüfung ein weniger wichtiger Bereich als etwa Völkerrecht und Europarecht.“

Unterschiedliche Interessen und Gewichtungen schon während des Studiums sind das eine, Studienerfolg das andere: „Die Noten und Studiendauer schauen wir uns schon an. Das spielt natürlich eine Rolle“, sagt Unternehmensberaterin Margreiter. Auch Rechtsanwalt Wolf achtet bei den Bewerbern genau auf die Studiendauer: „Schnelligkeit ist letztlich auch ein Zeichen dafür, wie gut man sich selbst organisieren kann.“ Klare Indizien, aber sicher nicht alles. In Wahrheit ist es nämlich ein ziemlich langer Katalog an Fähigkeiten, den es braucht, um als Top-Absolvent zu gelten.

Dekan Mayer erklärte, wie sich das im Studienplan niederschlägt: „Bei den Sprachen ist Englisch das mindeste. Sehr gut wäre auch eine osteuropäische Sprache zu beherrschen. Wir bieten das optional an, es wird aber kaum genutzt. Außerdem haben wir die Wirtschaftsfächer intensiviert. Makroökonomie und Rechnungswesen sind für alle verpflichtend, und darüber hinaus gibt es die Spezialisierungen. Was von den Studierenden sehr gut angenommen wird, ist Öffentlichkeitsarbeit für Juristen und ein weiteres Angebot für den Umgang mit Journalisten.“

Langer Skill-Katalog

Wanke ergänzte die Liste an Fähigkeiten: „Ich bin ein absoluter Verfechter der Soft Skills. Teamarbeit, Rhetorik und Kommunikation lernt man vor allem außerhalb der Universität – etwa durch ein Engagement bei ELSA.“ Wolf zeigte sich da ähnlicher Meinung: „Wir sehen uns sehr genau an, was jemand zusätzlich zum Studium macht, wo man sich engagiert. Hervorragend ist, wenn Leute ihr Studium durch interessante Praktika ergänzen.“

Für ein Praktikum bei Wolf Theiss reicht übrigens nicht mehr nur eine Empfehlung. Die Großkanzlei arbeitet mit Assessment Centers. Ähnlich streng gestaltet sich die Praktikanten-Auswahl bei McKinsey: „Wir achten bei Bewerbern auf akademische Exzellenz, Internationalität, falls vorhanden praktische Erfahrung und auf Soft Skills.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2012)

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