Wirtschaftstreuhänder: Balance nicht auf später verschieben

Für karrierehungrige Einsteiger ist es schwierig, ein Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben zu finden. Es gilt: Früh genug die Stopp-Taste drücken.

Angeblich ist Studenten und Absolventen von heute kaum etwas so wichtig, wie ein gesundes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit. Können die Arbeitgeber in Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung diese Anforderungen überhaupt erfüllen? Oder bietet sich die Chance auf große Karrieresprünge nur, wenn man rackert bis zur Burnout-Grenze?

Das Thema Work-Life-Balance stand im Zentrum der zweiten „Kanzlei & Karriere“-Veranstaltung für Wirtschaftstreuhänder am Mittwoch im Palais Coburg. Am Podium diskutierte wie gewohnt ein branchenübergreifendes Panel, diesmal mit  Klaus Hölbling, Partner und Geschäftsführer bei Booz & Company, Elisabeth Klager, Studierende an der WU Wien, Hanna Mayer, Vorständin des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Wien, Peter Pessenlehner, Partner bei PwC Österreich und Stefan Ulrich, CEO von Trenkwalder International.

„Das Wichtigste ist, dass der Job wirklich Spaß macht“, eröffnete Klager die Diskussion. „Der Begriff Work-Life-Balance wird sicher inflationär verwendet. Ich studiere und engagiere mich in verschiedenen Projekten. Da gibt es nicht immer eine klare Abgrenzung. Ab und zu arbeite ich an den Wochenenden, dafür genieße ich auch mal unter der Woche Freizeit.“ Mit der Balance  halten es nicht alle gleich: „E-Mails am Wochenende sind für mich beispielsweise ein ,No-Go'“, sagte Hölbling. „Dafür habe ich kein Problem damit, Montagabend länger zu bleiben. Work-Life-Balance ist ein sehr individuelles Thema.“

Mayer repräsentiert einen Bereich, in dem Burnout leider eine große Rolle spielt: „Wir sehen gerade bei Pflegenden in sehr belastenden Situationen, dass Abwechslung etwas sehr Wichtiges ist – egal ob Sport, Reisen, einfach einen bestimmten Anteil an ,Ich-Zeit' als Ausgleich zur Belastung.“ Wie sieht nun die Praxis in einem Großunternehmen aus dem Treuhand-Bereich aus? „Aus Sicht des Arbeitgebers hat Flexibilität zwei Ebenen“, sagte Pessenlehner. „Das Unternehmen sollte verschiedene Möglichkeiten anbieten. Bei uns gibt es 80 unterschiedliche Arbeitszeitmodelle, etwa 20 Prozent der Mitarbeiter sind in einer Teilzeit-Variante beschäftigt. Noch wichtiger ist, dass die Lösungen wirklich individuell sind. Für einen Berufseinsteiger bedeutet Flexibilität etwas anderes als für einen jungen Vater oder jemanden, der gerne lange Sommerreisen macht und dafür den Rest des Jahres mehr arbeitet.“

Tag und Nacht im Einsatz?  

„Wir müssen gemeinsam flexibel sein“, sagte Ulrich. „Es ist immer eine Frage der Koordination. Als Kunde habe ich an den Prüfer natürlich hohe Anforderungen. Da muss man einen gemeinsamen Modus finden, wie Flexibilität für den einzelnen Mitarbeiter trotzdem möglich ist.“ In der Praxis gibt es freilich genügend Fälle, in denen das nicht funktioniert: „Ich habe Kommilitonen, die Praktika in der Wirtschaftsprüfung oder der Beratung absolviert haben – und jeden Tag von sieben Uhr am Morgen bis Mitternacht arbeiten mussten“, trübte Klager die Glückseligkeit am Podium.

„Jeder Bereich hat seine ganz eigenen Anforderungen. Beispielsweise gibt es in der Prüfung im Winter natürlich eine ,Peak Time', in der sehr intensiv gearbeitet wird. Dafür kann man sich im Sommer auch mal länger frei nehmen. Dass in unserem Unternehmen Praktikanten bis Mitternacht arbeiten, kann ich aber ausschließen“, antwortete PwC-Partner Pessenlehner.

„Auch intensive Auf und Abs können gesundheitsschädlich sein. Das rächt sich später“, sagte Pflegewissenschaftlerin Mayer. „Da ist es wichtig, dass es eine gesunde Unternehmenskultur gibt, in der nicht als selbstverständlich erachtet wird, jeden Tag bis in den Abend zu arbeiten. Und es ist eine Frage der Ethik. Denn Unternehmen haben den jungen Mitarbeitern gegenüber auch eine gewisse Verantwortung.“

Wer Karriere machen will, muss natürlich von Anfang an vollen Einsatz zeigen, waren sich alle Gesprächsteilnehmer einig. „Natürlich sind gerade Junge einem hohen Leistungsdruck ausgesetzt. Sie wollen zeigen, dass sie viel leisten können, und das wird auch von ihnen erwartet. Sicher eine schwierige Gratwanderung, denn gerade wer immer als Erster in der früh kommt und als Letzter geht, kann als übermotiviert wirken. Man fragt sich: Hat der Kollege sein Zeitmanagement nicht im Griff? Das kann schnell kippen“, so Trenkwalder-CEO Ulrich. 

Wer einmal im Traumjob ist, hat vielleicht Angst, dass sofort andere nachrücken, wenn man zurückfällt. Consulter Hölbling relativierte solche Bedenken: „In Wahrheit ist es sehr schwierig, geeignete Nachwuchskräfte zu finden. Da ist es in Wahrheit unser ureigenes Interesse, die geeigneten Kandidaten zu halten und weiterzuentwickeln.“

Nicht auf später verschieben

Was sollte man tun, wenn man merkt, dass die Arbeit aus dem Ruder läuft? „Gleich ansprechen“, empfahl Pessenlehner. „Es ist ein Irrglaube, dass man sagen kann: ,Ich arbeite drei Jahre lang 24-7 und trete dann kürzer.' Auf mich als Partner macht es ja auch keinen Eindruck, wenn mir jemand um 23:46 eine Mail schreibt. Die viel zitierte ,Extra Mile' darf man nicht verwechseln mit ständiger Präsenz im Büro oder am Blackberry.“ Sicher keine leichte Aufgabe, hier die richtige Abstimmung zu finden – aber, so Ulrich, eine wichtige Kompetenz: „Das ist ein Bestandteil von Professionalität, dieseen Mittelweg zu finden.“

Wirtschaftstreuhänder arbeiten ebenso wie Unternehmensberater in betont arbeitsintensiven Berufen. „Es ist kein ,9 to 5'-Job. Aber er muss so sein, dass man ihn auch viele Jahre machen kann“, sagte Hölbling. Mayer warf ins Feld, dass es bei allen Beteuerungen ein Machtgefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer immer erhalten bleibe. „Natürlich steigert die Work-Life-Balance die Arbeitgeber-Attraktivität“, schloss Klager die Runde. „Die Frage ist aber, wie realistisch es wirklich ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2012)

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