Das islamistische Lager Ägyptens ist tief gespalten

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Mit der Aufstellung eines eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im Mai demonstrieren die Moslembrüder zwar ihr neues Selbstbewusstsein. Dass ihr Mann auch gewinnt, ist aber alles andere als ausgemacht.

Kairo. Die ersten Verschwörungstheorien ließen nicht lange auf sich warten: Kaum hatten Ägyptens Moslembrüder die Katze aus dem Sack gelassen und in einer radikalen Kehrtwende verkündet, nun doch einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl aufzustellen, da gab es am Montag schon wilde Spekulationen, der Überraschungscoup sei mit dem herrschenden Militärrat abgesprochen.

Wie auch immer: Die Moslembrüder brachen damit ein Versprechen, das sie vergangenes Jahr nach dem Sturz von Diktator Hosni Mubarak abgegeben hatten: In der Erwartung, bei der Parlamentswahl stark abzuschneiden, hatten sie verkündet, keinen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen. Sie wollten weder das Ausland noch die Liberalen noch die Militärführung durch eine zu große Machtfülle verschrecken.

In den vergangenen Wochen war aber immer wieder spekuliert worden, ob die Moslembrüder und ihre Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, die bei der Parlamentswahl tatsächlich die Hälfte der Sitze gewonnen hatte, die Zurückhaltung nicht aufgeben würden; ob sie nur eine Wahlempfehlung abgeben oder nicht doch ihren eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl aufstellen würden.

Da sie auch die verfassungsgebende Versammlung dominieren, herrscht die Furcht, dass sie die Macht ähnlich wie Mubaraks NDP monopolisieren könnten. Das macht gleichzeitig ihre Schwachstelle aus. Gewännen die Brüder auch das Präsidentenamt und würden die neue Verfassung schreiben, wäre das ein Schlag gegen die politische Einsicht, dass der Wandel im Konsens der wichtigsten Gruppierungen vonstatten gehen sollte, um nachhaltig zu sein. Das Hauptproblem der Moslembrüder wäre dann schnell, dass sie allein für die vielen Probleme des Landes verantwortlich gemacht würden, von der darniederliegenden Wirtschaft, dem zusammengebrochenen Tourismus bis hin zu den allerorten in Streiks formulierten Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit.

Populärer Salafist

Derweil ist es alles andere als sicher, dass el-Shater tatsächlich die Präsidentenwahl gewinnt. Die Stimmen des islamistischen Lagers werden sich nämlich auf mehrere Kandidaten aufteilen: Neben el-Shater ist seit ein paar Wochen der Salafist Hazem Abu Ismail in aller Munde. Zwar hat er bisher wenig Substanzielles darüber verlauten lassen, wie er sich die Zukunft des Landes vorstellt, sein Bild hängt aber in der Rückscheibe jedes vierten Kairoer Taxis. Abu Ismail hatte für seine Kandidatur auch wesentlich mehr Unterschriften gesammelt als alle seine Konkurrenten.

Aber auch der ehemalige Moslembruder Muhammad Abul Futouh, der wegen seiner Weltoffenheit und guten Verbindungen zu den Liberalen und der Tahrir-Jugend bei jüngeren Moslembrüdern beliebt ist, könnte el-Shater Stimmen kosten. Seinen Rufen nach einer Politik, die größere soziale Gerechtigkeit schafft, stellen die Moslembrüder nun ausgerechnet den islamistischen Multimillionär el-Shater als Kandidat entgegen.

Mit Bestimmtheit lässt sich derzeit nur eines Sagen: Der Kampf um die Mubarak-Nachfolge ist in die heiße Phase eingetreten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2012)

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