"Man muss wissen, wo der Feind ist"

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bdquoMan muss wissen Feind(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Die FPÖ und der "Neoliberalismus" mussten am 1. Mai als Feindbilder herhalten. Werner Faymann gab sich ungewohnt kämpferisch - assistiert von Michael Häupl.

Wien. Der Mann, der im Zug der Leopoldstädter Genossen mitmarschierte, trug eine rote Nelke am Revers und einen 1.-Mai-Aufstecker. An sich nichts Ungewöhnliches bei einer Maifeier der SPÖ. Allerdings handelte es sich dabei um Christian Köck, den ehemaligen Parteichef des Liberalen Forums und Gesundheitsökonomen, der ob seiner radikalen Reformansätze gerade von Sozialdemokraten gern als „neoliberal“ tituliert wurde. Näher auf seinen politischen Gesinnungswandel eingehen wollte Köck nicht. Nur so viel: Ja, er sei heute Sozialdemokrat.

Von der anderen Seite näherte sich SPÖ-Vorsitzender Werner Faymann, Verkehrsministerin Doris Bures an der Seite, dem Wiener Rathausplatz. „Wir begrüßen die Sozialistinnen und Sozialisten aus Liesing“, tönte der Platzsprecher. Faymann schüttelte Hände, schrieb Autogramme, vereinzelt gab es sogar Applaus.

Später sollte es dann mehr davon geben. Denn seine Rede hatte Faymann ungewohnt kämpferisch angelegt. Einleitend griff er gleich einmal auf die Nazi-Zeit zurück: 67Jahre sei es her, dass der Zweite Weltkrieg beendet wurde. Der Hass, das Austragen der Konflikte mit Gewalt, die Wirtschaftskrise hätten davor dazu geführt, dass die extremen Kräfte die Oberhand gewonnen hätten. „Viele sagen, das ist lange her. Aber wir dürfen nie vergessen, dass es Fairness und Gerechtigkeit geben muss. Wer sich für Demokratie und Freiheit starkmacht, der muss auch für soziale Gerechtigkeit kämpfen.“

Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa sei eine Schande, wenn junge Menschen nicht einmal die Chance bekämen, sich mit einer Arbeit zu beweisen. „Wir sind eine unzufriedene Bewegung“, donnerte Faymann ins Mikro. Man werde so lange nicht ruhen, bis alle gleiche Chancen hätten. „Elite heißt: Jeder soll die Chance haben, zu den Besten zu gehören, und nicht nur ein paar wenige, die reich auf die Welt gekommen sind.“ Dann warnte der Kanzler noch vor einer Wiederkehr von Schwarz-Blau („Damals, ganz ohne Wirtschaftskrise, hatte Österreich die höchste Arbeitslosigkeit“) und „den Straches“, die Hass predigen würden.

Dieses Motiv zog sich wie ein roter Faden auch durch die Ansprachen der Vorredner. Es müsse alles darangesetzt werden, dass Schwarz-Blau nie wieder an die Regierung komme, so Wiens Bürgermeister Michael Häupl. „Man muss wissen, wo der Feind ist.“

Hauptfeindbild neben der FPÖ war der „Neoliberalismus“. Wiens Vizebürgermeisterin Renate Brauner warnte vor der „Todesspirale des Kaputtsparens“, wiewohl sie einräumte, dass auch die Stadt Wien das Budget in Ordnung halten müsse. Schuld an der Wirtschaftskrise sei die neoliberale Politik der Konservativen. ÖGB-Chef Erich Foglar geißelte ebenfalls die „deregulierten, liberalisierten Finanzmärkte“ und den „Marktfetischismus“ und hob den „österreichischen Weg“, das Erfolgsmodell der Sozialpartnerschaft, hervor. Michael Häupl forderte zudem eine gerechtere Verteilung des von allen erarbeiteten Vermögens. „Wir müssen weiter um ein gerechtes Steuersystem kämpfen.“

Bläser, Samba, Türken, Biker

Sonst verlief der 1.Mai auf dem Rathausplatz ähnlich wie in den vergangenen Jahren: traditionelle Blasmusik im Wechselspiel mit Samba-Trommlern. Viele Plakatanspielungen auf Karl-Heinz Grasser. Neben türkischen Abordnungen – eine trug gar ein Bild der Favoritner Bezirksvorsteherin Hermine Mospointner mit – marschierten auch bosnische, kosovarische und chinesische mit. Und die „Red Biker“ fuhren wieder mit ihren Motorrädern vor. Laut dem Platzsprecher würden diese übrigens wie kaum eine andere rote Vorfeldorganisation die sozialdemokratischen Grundwerte „Freiheit, Solidarität und Gleichheit“ leben. Freiheit ja. Solidarität vielleicht. Aber Gleichheit?

Nach Werner Faymanns abschließender Rede ertönte auf dem Rathausplatz dann wie jedes Jahr das „Lied der Arbeit“. Auch Christian Köck sang mit.

Wissen

Im Jahre 1886 rief die nordamerikanische Arbeiterbewegung zur Durchsetzung des Achtstundentags zum Generalstreik am 1. Mai auf. Den ersten Maiaufmarsch in Österreich gab es 1890. Hunderttausende Arbeiter zogen zum Schrecken des Bürgertums durch den Wiener Prater – die Veranstaltung verlief friedlich. Der Festtag der Sozialdemokratie hielt aber auch andere Parteien nicht davon ab, den Tag der Arbeit zu begehen. Er ist heute Staatsfeiertag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2012)

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