Burgtheater: Die Trojaner kommen

(c) Christine Pichler
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Zwei antike Stücke sollen die Burg erneuern: „Das Trojanische Pferd“ und „Caligula“. Matthias Hartmann und Jan Lauwers im Gespräch.

Das Burgtheater beschließt die Saison mit zwei Antike-Projekten: Burg-Chef Matthias Hartmann inszeniert „Das Trojanische Pferd“, multimedial wie zuvor Tolstois „Krieg und Frieden“. Der Belgier Jan Lauwers, der mit seiner Needcompany zeitweise in Wien Station macht, baut die Bühne für „Troja“ – und bringt „Caligula“ von Albert Camus heraus. Dahinter steht mehr als die Neudeutung komplexer alter Stoffe. Hartmann will dem Burg-Ensemble Lauwers’ illustrative Erzähltechniken näherbringen, am liebsten die Schauspieler „wie mit einem Virus“ infizieren.
Das funktionierte zuletzt allerdings nicht so leicht: Aus Lauwers’ „Kunst der Unterhaltung“ stiegen einige Hauptdarsteller aus, das Ergebnis war trotz beachtlichen Aufwands nicht befriedigend. Diesmal will man aufs Ganze gehen und hat mit dem vielseitigen „Alleinunterhalter“ Cornelius Obonya, der mit seiner Show „Cordoba“ Furore gemacht hat, aber auch im ernsten Fach zu Hause ist, einen renommierten und gleichzeitig offenbar bereitwilligen Protagonisten gewonnen: Obonya wird als römischer Kaiser Caligula zu sehen sein, der vor allem für seine Grausamkeit verschrien ist. Albert Camus setzte ihm unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs ein Denkmal und beschäftigte sich mit dem „Making-of“ von Tyrannen. „Das Trojanische Pferd“ ist ab 4. Mai als „Work in Progress“ zu sehen, „Caligula“, ein in der Nachkriegszeit viel gespielter Klassiker der Moderne, hat am 17. Mai Premiere.



Von Christa Wolf bis Raoul Schrott. „Wir glauben nicht, dass wir diese Geschichte von Troja zum ersten und allein gültigen Mal erzählen werden“, erläutert Hartmann, „das Neue ist: Wir können dieses Projekt machen, ohne einen dafür vorgesehenen Text zu haben. So etwas habe ich noch nie gemacht.“ Was ihm bei „Troja“ am meisten Sorgen bereitete, war, wie er sich von Wolfgang Petersens Blockbuster 2004 absetzen könnte, der wahrhaft vor Stars nur so strotzte: Brad Pitt, Diane Kruger, Julie Christie, Orlando Bloom, Peter O’Toole. „Wir haben komplett neue Erzählformen gefunden“, berichtet Hartmann: „Wir sind durch sehr viel Material gegangen. Da gibt es etwa das Buch ,Die Intrige, Theorie und Praxis der Hinterlist‘ des Schweizer Germanisten Peter von Matt, Raoul Schrotts Veröffentlichungen über Troja, die eine lebhafte Kontroverse über die Verortung der Stadt ausgelöst haben, ich vertraue ihm sehr. Wir verwenden ,Spielball der Götter, Aufzeichnungen eines trojanischen Prinzen‘, einen Roman von Rudolf Hagelstange aus dem Jahr 1965, Christa Wolfs ,Kassandra‘, ferner Vergil, Sartre. Mich interessiert am meisten: Wie kann man überhaupt erzählen? Wie kann man etwas, was man beschreibt, gleichzeitig auch spielen?“

Darum ist Lauwers mit seinen Cross-over-Techniken, die im Wesentlichen das Ziel haben, Rolle und Akteur zu größtmöglicher Deckungsgleichheit zu bringen, für Hartmann wichtig: „Ich wünsche mir, dass Jan Lauwers unser Theater virusartig mit seinen für mich sehr modernen Erzählformen infiziert“, hofft Hartmann. Wie fühlt sich dabei Lauwers, der solcherart als „Trojaner“ Benutzte? Er sagt: „Wenn die Schauspieler verstanden haben, was der Text sagt, müssen sie ihn nicht auswendig lernen, er kommt ihnen, wie es im Englischen ja auch heißt, von Herzen. Darum sage ich: Lest, so oft es geht, den Text. Bis ihr ihn internalisiert habt.“

Ceausescu, Gaddafi, Caligula. „Wir versuchen, die menschliche Seite von Caligula zu zeigen“, erklärt Lauwers, „die große Gefahr in unserer Gesellschaft ist, dass wir nicht bemerken, wenn eine Person ein Diktator ist. Ein gutes Pendant für Caligula sind Ceausescu oder Gaddafi, aber wir wollen nicht anekdotisch historisch sein.“ Camus verwendet eine heute leicht altertümlich wirkende Dramaturgie: „Die Aufführung wird keinesfalls eine trockene geschichtliche Abhandlung sein, sondern sehr vehement und saftig. Es gibt 25 Rollen, die sieben Schauspieler darstellen, jeder hat einen großen Part. Mit Cornelius Obonya, Maria Happel und all den anderen habe ich außerordentlich kooperative Partner.“ Lauwers’ Theater ist stark körperbetont, er ist auch als bildender Künstler bekannt, die Galerie Charim zeigte eine Ausstellung. Seine Frau ist Tänzerin und Choreografin. Auch Video und Musik spielen in seinen Kreationen eine wichtige Rolle.

Das Besondere an Lauwers’ Arbeitsweise ist, dass er seine Projekte lang entwickelt: „,Caligula‘ liegt seit 15 Jahren auf meinem Schreibtisch. Einmal habe ich in Spanien eine Lesung gemacht. Als mich Hartmann jetzt fragte, ob ich mit den Schauspielern des Burgtheaters ein Stück inszenieren möchte, habe ich ihm ,Caligula‘ vorgeschlagen“, berichtet Lauwers, „Camus hat zwei Fassungen geschrieben, eine psychologische 1938, die zweite unter dem Eindruck Hitlers und des Zweiten Weltkrieges 1942, in dieser Version ist das Psychologische herausgenommen. ,Caligula‘ ist ein gewalttätiges Stück, ein Drama über die Gegenwart Europas, ja der ganzen Welt.“ 

Für das Bühnenbild von „Troja“ benutzt Lauwers Schaumstoff, aus dem man ebenso ein Trojanisches Pferd bauen kann wie ein Amphitheater. Das Kasino, in dem beide Aufführungen stattfinden, wird umgestaltet, die Zuschauer sollen möglichst nah an das Geschehen herangerückt und darin involviert werden. Kaiser Caligula wird zum Monster, nachdem seine Schwester und Geliebte gestorben ist. Auch der Auslöser für den Trojanischen Krieg ist eine Frau: Die schöne Helena, Gattin des Menelaos, wird von Troja-Prinz Paris geraubt. In der realen Welt sind ökonomische und machtpolitische Interessen Auslöser für Kriege und andere Katastrophen. Hartmann erklärt: „Euripides und Christa Wolf sagen, dass Helena gar nicht existiert hat. Vielleicht stimmt das. Klar, viele Kriege dieser Welt sind Handelskriege. Das wird auch bei uns vorkommen.“

Doch es gebe noch andere Aspekte, die inhaltlich eine Rolle spielen: „Troja war das Paris der damaligen Zeit“, erzählt Harmann, „Helena ist Menelaos entflohen, weil es ihr in Troja besser ging. Sie wollte shoppen gehen, sich amüsieren. Trojas Königssohn Paris fuhr einen Maserati, er war kultivierter und cooler als Menelaos. Wir wollen diese Geschichte nicht nur mit verschiedenen Texten, sondern auch aus unterschiedlichsten Blickwinkeln erzählen. Der Stil wird von grotesker Komik zu absolut tiefer Ernsthaftigkeit wechseln.“

Wie lockt man junge Leute zu alten Kulturen? Nur wenige lernen heute Altgriechisch oder Latein. Viele junge Menschen interessieren sich mehr für Facebook, X-Box, iPad als für Hektor und Achilles. „,Krieg und Frieden‘ kommt bei allen gut an. Ich arbeite nicht publikumsspezifisch, ich sage nicht, ich muss die Jungen oder die Abonnenten treffen“, sagt Hartmann, „Ich bin überzeugt, dass die alten Mythen in den neuen Geschichten immer wiederkehren – und das Theater hat nun einmal die besten Geschichten. Hollywood klaut die Speicher alter Mythen leer. Aber es gibt auch sehr spannende Filme. ,Take shelter‘, das ist der orginale Kassandra-Mythos: Ein Mann hat eine unbeschreibliche Vision von dem, was an Schrecken auf die Welt zukommt, er wird aber sozial immer weiter ausgegrenzt. Oder nehmen Sie diesen anderen Film mit Brad Bitt: ,Rendezvous mit Joe Black‘, das ist eine Variation des Orpheus-Mythos. Selbst der Jenseitsglaube, der beim Kriegsführen immer wichtig ist, kehrt in verwandelter Gestalt wieder: Jeder Industrielle, Politiker oder Star versucht, am Ende seines Lebens noch ein Buch zu schreiben – ,Mein Leben‘, ,Meine Karriere‘ –, damit er wenigstens im Bücherschrank seiner Kollegen und Freunde den Tod überlebt und seine Existenz rechtfertigt. Das ist eine archaische Triebfeder des Menschen.“ 

Wikipedia weiß nicht alles. „Ich kann Altgriechisch und Latein, aber nicht gut genug. Man kann das natürlich lernen wie jede Sprache. Aber die Jugendlichen müssen zweierlei Hürden bewältigen: die Grammatik und den Inhalt“, sagt Wolfgang Hameter vom Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde der Universität Wien auf die Frage nach dem Interesse der Jugend an antiken Sprachen und Kulturen. „Wenn sie Catull oder andere Dichtungen übersetzen und auch noch verstehen müssen, ist das wahnsinnig kompliziert, auch ,Cäsar‘ ist nicht Alltagssprache.“ Hameters zwölfjährige Tochter liest lieber, als sich Informationen aus dem Internet zusammenzusuchen, in der Schule „wurde Mythologie ziemlich ausführlich durchgenommen. Sie hat auch ein Referat über die Perseus-Sage gehalten. Ich habe mich aber nicht eingemischt, man will sich nicht aufdrängen als Altertumswissenschaftler“, schmunzelt Hameter. „Percy Stewart“ ist eine erfolgreiche Buchreihe und auch ein Film über einen Jungen, der erfährt, dass er der Sohn des Poseidon ist, was zu allerlei Abenteuern mit antiker Mythologie im Hintergrund führt.

Achtung, Hollywood-Antike. Was ist zu halten von Entertainment, Fantasy, Historiendramen? Kann man davon profitieren oder ist das eben nur Unterhaltung? „Es ist lustig anzuschauen“, meint Hameter. „Wichtig ist, dass man sich klar ist, dass nichts einfach ist, schon gar nicht in der Mythologie. Es hängt auch davon ab, was man weiß. Die Feuilleton-Debatten um Raoul Schrott oder die Kontroverse zwischen dem Prähistoriker Manfred Korfmann und dem Althistoriker Frank Kolb über die Realität von Homers ,Ilias‘: Ich bin immer wieder überrascht von der Breitenwirkung, die dergleichen hat. Ägypten wiederum fasziniert viele Menschen, weil das mit der Mystik zu tun hat, die fremde Kulturen verbreiten.“ Ob Krimis, die in der Antike spielen, oder Hollywood-Blockbuster à la „Troja“ – Hameter hat nichts dagegen, „wenn nicht die Macher behaupten, so ist das damals gewesen“. Hameter erinnert sich gleich an mehrere skurrile Beispiele. „Bei Ridley Scotts ,Gladiator‘-Film habe ich ein Interview mit Russel Crowe gesehen, der erklärt hat, wie authentisch hier die Antike abgebildet wird. Es stimmt aber auf keinen Fall, dass der römische Senat vom Volk gewählt wurde. Bei dem ,Troja‘-Film sieht man eine antike Form des D-Day, der Landung der Alliierten in der Normandie 1944. Das ist ein Missverständnis, denn die Griechen hatten bei Weitem nicht so viele Schiffe. Die Amerikaner implantieren einfach überall ihre Mythen und Auffassungen. Auch Historiker müssen vergleichen, aber sie wissen wenigstens, dass jeder Vergleich hinkt.“

Wie realistisch ist das Thema der Liebe etwa in „Caligula“ oder „Troja“? Hameter meint dazu: „Das ist Literatur, die sich die wirklich wichtigen Themen der Menschen vornimmt, und das sind eben auch Liebe und Enttäuschung.“ Die Frau als Beutestück komme oft vor, historisch wie künstlerisch: „Am Anfang vieler Auseinandersetzungen steht der Frauenraub, denken Sie an den Raub der Sabinerinnen oder eben an Helena.“ Das sagenhafte Troja wird weiter für Aufregung sorgen, im Theater wie als Zündstoff für Gelehrte. Auch die Frage bleibt noch zu klären: Wie mächtig war diese Stadt wirklich? Der Trojanische Krieg war ein Faktum, aber er war nicht so, wie Homer ihn schildert.

Die Stücke


Troja. Mythischer Auslöser des Trojanischen Krieges, der von 1194 bis 1184 v. Chr. dauerte, war der Raub der schönen Helena, Gattin des Melenalos, durch Trojas Prinz Paris. Die Griechen konnten Troja trotz langer Belagerung nicht einnehmen, Odysseus ersann eine List: Die Griechen zogen zum Schein ab und hinterließen ein Holzpferd. Als die Trojaner es in ihre Stadt brachten, kletterten die griechischen Recken aus dem Pferd und besiegten die Trojaner. Troja liegt in der heutigen West-Türkei. Die Bücher des Schriftstellers Raoul Schrott zum Thema sind bei Hanser bzw. beim S. Fischer Verlag erschienen.


Caligula. Albert Camus (1913–1960) gehörte mit Jean-Paul Sartre zu den populärsten französischen Philosophen der Nachkriegszeit. Der echte Kaiser Caligula (12–41 n. Chr.) wird als wahnsinniger Gewaltherrscher beschrieben. Bei Camus verliert er sich nach dem Tod seiner geliebten Schwester Drusilla, die gleichzeitig seine Geliebte war. „Er erfährt, dass das Leben unglücklich ist und der Mensch sterben muss“, schreibt Camus. Mit seiner grenzenlosen Grausamkeit begeht Caligula auch „auf einem hohen Niveau langsamen Selbstmord“, sagt Jan Lauwers.

TIPP

„Das Trojanische Pferd“ mit Sylvie Rohrer, Christiane von Poelnitz, Sven Dolinski ab 4. Mai, Camus’ „Caligula“ mit André Meyer, Hermann Scheidleder ab 17. Mai im Kasino des Burgtheaters. www.burgtheater.at

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