Die ukrainische Dauerpatientin

Timoschenkos Überstellungbedeutet Entspannung – aber noch keine Lösung.

Zunächst war sie der prominenteste Häftling im Gefängnis, nun ist sie die prominenteste Patientin des Charkiwer Krankenhauses. Dass Julia Timoschenko seit gestern ein deutscher Arzt zur Seite gestellt wurde, sollte zur Entspannung der heiklen Lage beitragen, in der der Gesundheitszustand der Politikerin zu einem Demokratietest für ein ganzes Land geworden ist.

Der halbwegs neutrale (Spitals-)Boden bietet für beide Seiten Chancen: Erstens für die Führung in Kiew, die sich durch ihr unnachgiebiges Verhalten selbst in eine politische Sackgasse manövriert hat, aus der eine Umkehr fast unmöglich ist. Zweitens für Timoschenko, deren Krankheit in den kommenden Tagen geklärt – und behandelt werden sollte. Nun haben Regierung und auch Opposition Gelegenheit zu beweisen, ob ihnen tatsächlich an Fair Play gelegen ist.


Freilich, „Fair Play“ scheint hoch gegriffen. Es geht eher um gesichtswahrende Auswege aus der Misere: Das mag eine Dauerpatientin Timoschenko sein, die ihr Domizil im Krankenhaus aufschlägt, eine stille Ausreise oder eine Gesetzesänderung des umstrittenen Paragrafen, auf dessen Grundlage Timoschenko verurteilt wurde.

Nach der bisherigen Unnachgiebigkeit zu urteilen, mit der der Konflikt ausgetragen wurde, stehen die Chancen auf eine „diplomatische“ Lösung schlecht. Kompromiss gehört nicht zum politischen Vokabular in der Ukraine. Er sollte es aber werden.

jutta.sommerbauer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2012)

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