Volle Macht – und keine Ausrede mehr

Volle Macht ndash keine
Volle Macht ndash keine(c) REUTERS (MAX ROSSI)
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Noch nie hatte ein sozialistischer Präsident, wie künftig François Hollande, eine Mehrheit in beiden Parlamentskammern und die Vorherrschaft in den Regionen. Aus der Sicht der rechten Opposition ist diese „Allmacht“ ungesund.

Als Sonntagabend die Wahllokale schlossen, endete mit der zweiten Runde der Wahl zur Nationalversammlung in Frankreich ein langer Wahlmarathon: Begonnen hatte er im Herbst 2011 mit der Nominierung des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten François Hollande, der dann Anfang Mai über Amtsinhaber Nicolas Sarkozy triumphierte.

Die Wählerschaft ist konsequent geblieben und hat dem linken Staatsoberhaupt nun auch die nötige Parlamentsmehrheit gegeben, die er für das Durchregieren braucht. Der Machtwechsel ist damit perfekt. Die neue Staatsführung hat zweifellos jede Legitimität und alle Mittel, um ihr Programm umzusetzen. Die Linke verfügt in beiden Parlamentskammern – im Senat bereits seit letztem Jahr und nun neu auch in der Nationalversammlung – über eine Mehrheit.

Noch nie waren Frankreichs Sozialisten in einer solchen Situation, noch nie hatten sie so viel Macht. Als 1981 François Mitterrand als erster Sozialist in der Fünften Republik zum Präsidenten gewählt wurde, hatte er zwar auch eine Mehrzahl der sozialistischen und kommunistischen Abgeordneten hinter sich. Der Senat aber war (bis vor Kurzem) immer konservativ, er konnte die Politik der Linksunion während der 14-jährigen Herrschaft Mitterrands zwar nicht verhindern, aber häufig bremsen und mäßigen.

Mitterrand war nie so mächtig

Zweimal, von 1986 bis 1988 und von 1993 bis 1995, war Mitterrand zu einer „Kohabitation“ mit einer rechten Nationalversammlung und Regierung gezwungen. Nie hatte er also, so wie jetzt François Hollande, frei Hand. Dieser kann sich aber wegen dieser Dominanz vor seinen Wählern auch nicht mehr in die Ausrede flüchten, dass andere ihm Knüppel zwischen die Beine werfen würden. Diese institutionelle Macht bürdet ihm die volle Verantwortung auf.

Aus der Sicht der rechten Opposition ist diese „Allmacht“ ungesund oder gar gefährlich. Vergeblich hatte Jean-François Copé, Parteichef der konservativen UMP, in der Wahlkampagne gewarnt, es sei nie gut, sozusagen „alle Eier in denselben Korb zu legen“ – weil da schnell einmal irreparabler Schaden entstehen könne. Copé erinnerte die Bürger daran, dass die Linke bereits in fast allen Regionen, in einer großen Mehrheit der Departements und den meisten Großstädten dominiert. Die einzige Gegenmacht stellt heute der Verfassungsrat dar, dessen Richter mehrheitlich von der Rechten ernannt wurden, und in dem auch die früheren Staatschefs (Valéry Giscard d'Estaing, Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy) mit Stimmrecht auf Lebenszeit sitzen.

„Übermachtsyndrom“

Rémi Lefebvre, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Lille, sieht in diesem „Übermachtsyndrom“ sogar eine politische Verletzbarkeit. Die Sozialisten seien nämlich an einem Kulminationspunkt angelangt, an dem sie bei Wahlen nichts mehr zu gewinnen, sondern nur noch verlieren haben. Er erinnert daran, wie Nicolas Sarkozy als „Hyperpräsident“ 2007 alle Macht in seinen Händen konzentrierte – und danach sämtliche Wahlen verlor. Geradeso, als wollten die Wähler nachträglich einen Ausgleich schaffen.

Es drohen Flügelkämpfe

Das Risiko eines solchen Rückschlags sei für die französischen Sozialisten umso größer, als die Flügelkämpfe nach der Wahl der Abgeordneten unvermeidlich wieder aufflackern würden. Hollande will sich zwar aus den Parteiangelegenheiten heraushalten, damit wird aber auch seine Autorität als „politischer Familienvater“ fehlen.

Ein zweiter Erfolg der Sozialisten wird sich laut Lefebvre ebenfalls als Problem erweisen: Die kleineren Alliierten, namentlich Grüne und Linksfront, stehen am Ende zahlenmäßig geschwächt da. Sie werden in zahlreichen Streitfragen (etwa zum Beispiel der Atomkraft oder der Europapolitik) umso frustrierter und hartnäckiger auf ihren Differenzen beharren, um gegen die Vormacht der Präsidentenpartei bestehen zu können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2012)

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