Wer die Welt retten will, sollte ein Dorf verwalten können

Jetzt ist auch die globale Moralblase geplatzt: Das Vertrauen, dass globale Probleme durch globale Institutionen gelöst werden, ist aufgebraucht.

Rio, 20 Jahre danach: Die Hoffnung auf eine „neue Weltordnung“, die nach dem Ende der großen Ost-West-Konfrontation alle Bereiche der Gesellschaft erfasst hat, ist verflogen. Drei Kernbegriffe lagen dem neuen Optimismus zugrunde: Freiheit, Sicherheit und Nachhaltigkeit. Das Globalisierungsparadigma war noch überwiegend positiv besetzt: Da nun aus zwei Welten eine geworden war, fiel die große, ultimative Bedrohung der atomaren Auseinandersetzung weg, niedergerissene Mauern und abgebaute Grenzbalken sollten freie Handels- und Wirtschaftsbeziehungen quer über den Globus erleichtern, gemeinsam erarbeitete Standards zum Schutz der Umwelt und zur Schonung der natürlichen Ressourcen sollten den erhofften Wachstumsschub nachhaltig gestalten.

Die Sicherheitsillusion hielt ein knappes Jahrzehnt, bis zu den großen Terroranschlägen des 11. September. Die Wachstums- und Wohlstandsillusion schaffte es trotz der Dotcom-Delle des Jahres 2001 noch einmal fast ein Jahrzehnt – allerdings schon begleitet von düsteren Vorahnungen. Die Nachhaltigkeitsillusion hielt am längsten, weil die Anwälte der Natur rechtzeitig einen Strategiewechsel von Hoffnung auf Bedrohung vollzogen. Die apokalyptischen Szenarien der IPPC-Klimaprognosen waren eindrucksvoll genug, um das Thema über den ökonomischen Meltdown von 2008/2009 hinaus auf der globalen Agenda zu halten. Die eben zu Ende gegangene „Rio+20“-Konferenz dürfte auch auf diesem Feld so etwas wie einen Schlusspunkt bedeuten.

Das Vertrauen darauf, dass es für die globalen Probleme von Umwelt und Ressourcen globale Lösungen durch globale Institutionen geben wird, ist aufgebraucht. Das hat sicher damit zu tun, dass sich die Machtverhältnisse auf der politischen und ökonomischen Weltbühne verschoben haben. Im Gefüge der neuen Mächte aus dem Osten und dem Süden verfügen die Anwälte der Ökologie nicht annähernd über den gesellschaftlichen und politischen Einfluss, den sie in Europa und Nordamerika haben. Während also das chinesische Regime weitgehend unbehindert seine ökonomischen und politischen Expansionsstrategien umsetzen kann, sehen sich die Regierungen des Nordens mit fundamentalen Zweifeln an ihrer Lösungskompetenz für die anstehenden Probleme konfrontiert.

Die oft geäußerte These, dass man in wirtschaftlichen Krisensituationen eben weniger Rücksicht auf ökologische Fragestellungen nehme, weil es darum gehe, durch Wachstum um jeden Preis die Stabilität der Sozialsysteme und damit den sozialen Frieden zu erhalten, greift vermutlich zu kurz. Auch der Verdacht, dass ein Trend zurück zu nationalen, regionalen und individuellen Egoismen den Bemühungen um einen global organisierten, schonenden Umgang mit den Ressourcen der Erde das Wasser abgrabe, ist unzutreffend.


Vielleicht muss man einfach konstatieren, dass nach der Dotcom- und der Immobilienblase jetzt eben auch die Moralblase geplatzt ist: Zu deutlich zeigt sich, dass der hohe Ton, in dem während der vergangenen Jahre über die immer wieder letzten Gelegenheiten zur Rettung der Welt vor dem menschenverschuldeten Untergang gesprochen wurde, ein großes Ablenkungsmanöver war.

Das ändert nichts an der Dringlichkeit der Probleme. Aber es ist an der Zeit, darüber nachzudenken, ob wir – im Großen wie im Kleinen – über die angemessenen Instrumente zu ihrer Bewältigung verfügen. Man muss endlich das Misstrauen von Menschen ernst nehmen, die immer deutlicher sehen, dass das ständige Delegieren von Entscheidungen auf die übergeordnete Ebene nicht die Lösung, sondern das Problem ist. Das gilt für ökonomische Fragen ebenso wie für politische und ökologische.

Die Ausrede, dass wir es nur noch mit globalen Problemen zu tun hätten, die man eben auch nur global lösen könne, zieht nicht mehr. Die Legitimationskrise der politischen Institutionen ist nur in der direkten Interaktion mit mündigen Bürgern zu bewältigen, nicht durch eine kollektive Flucht ins Globale.

Wer die Welt retten will, muss zeigen, dass er zumindest ein Dorf vernünftig verwalten kann.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Umwelt

Das Scheitern der Weltregierung

UN-Konferenz.Globale Gipfeltreffen bringen zunehmend nur noch Hotelumsätze für die Veranstalterländer – aber keine konkreten Ergebnisse.
Umwelt

Aufbruch in eine „grüne Weltwirtschaft“ bis auf Weiteres vertagt

Das Riesen-Event in Rio de Janeiro blieb hinter den ohnehin geringen Erwartungen zurück. Konkrete Ziele sucht man in der Abschlusserklärung vergeblich. Umweltschützer kritisieren die Politiker heftig.
Umwelt

„Die Energiewende rechnet sich“

Das IIASA in Laxenburg hat bei der Rio-Konferenz die bisher umfassendste Studie zur künftigen Energieversorgung vorgestellt.
Umwelt

Enttäuschtes Hoffen auf Schutz der Meere

Seit 1950 haben sich die Fischfänge vervierfacht, die Meere sind übernutzt. Dennoch gibt es kein Schutzabkommen.
Protest am Rande des Umweltgipfels in Rio
Umwelt

"Rio+20": Waldner sieht große Herausforderungen

Der Umweltgipfel bildet für Staatssekretär Wolfgang Waldner die "Basis für weitere Prozesse". Für die Umweltorganisation WWF war es ein "Gipfel der Schande"

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.