Valery Tscheplanowa: Frei gespielt

Auf die Festspielstadt freut sich Valery Tscheplanowa: „Ich kann gar nicht glauben, wie viele meiner Kollegen in Salzburg sein werden. Ein Sommer mit den besten Freunden, das ist schon ein bisschen märchenhaft.“
Auf die Festspielstadt freut sich Valery Tscheplanowa: „Ich kann gar nicht glauben, wie viele meiner Kollegen in Salzburg sein werden. Ein Sommer mit den besten Freunden, das ist schon ein bisschen märchenhaft.“ (c) Yannick Schuette
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Das Kostbarste für Valery Tscheplanowa: die Zeit. Um über sie frei zu verfügen, hat die Schauspielerin ihre Art zu arbeiten umgestellt. In Salzburg spielt sie in „Die Perser“.

Ein Thema, man könnte auch sagen: ein Sehnsuchtsgut, kehrt im Gespräch mit Valery Tscheplanowa immer und immer wieder: Es ist eine Kostbarkeit, die stets entrinnt und sich nicht greifen lässt, die die Schauspielerin aber doch fassen und auf die ihr eigene Weise nutzbar machen möchte. Zeit nämlich ist es, die Tscheplanowa immerzu gewinnen will, ohne ihr doch nachzuhasten. Das beinhaltet auch die Möglichkeit, sich im Theater- und künftig vermehrt im Film- und Fernsehbetrieb Zeit zu nehmen für das, was sie für wichtig hält – und wann sie es für richtig hält.

Darum beschloss die gebürtige Russin – als Achtjährige kam sie mit ihrer Mutter aus der Stadt Kasan nach Deutschland –, nicht mehr Teil eines Ensembles zu sein. Zuletzt war sie fest am Residenztheater in München, ihre Anfänge hatte sie am Berliner Ensemble gemacht, dazwischen war sie etwa in Frankfurt engagiert. Und nun soll alles anders werden, denn künftig möchte sie als Freischaffende wirken und dahin gehen, wo man sie braucht, wo man sie wirklich haben will. Geplant sind mehr Auftritte in Filmproduktionen als in der Vergangenheit, was nicht allzu schwer ist, da Tscheplanowa sich bislang fast ausschließlich auf Theaterproduktionen konzentriert hat. Entscheidend für ihre frühe Karriere war die gute Verbindung zu Dimiter Gotscheff, der sie wohl unter allen Regisseuren am meisten geprägt hat. Auch mit Frank Castorf hat sie immer wieder gut zusammengearbeitet.
Am Vorabend der Modeaufnahmen für das „Schaufenster“ spielte Tscheplanowa etwa noch in der Saison-Dernière von Castorfs achtstündiger Inszenierung von „Les Misérables“ am Berliner Ensemble.

Für die Fotoaufnahmen ließ sich dennoch kein anderer Termin finden, weshalb Valery Tscheplanowa im Vorhinein um Nachsicht bittet, sollte sie nicht in Topform erscheinen: „Die Dame von der Maske wird sich schon gut um mich kümmern“. Natürlich muss aber die Visagistin an diesem verregneten Sonntagmorgen nicht irgendwelche Wunder am Schminktisch vollführen. Ein wenig restmüde nach den großen Strapazen des Stücks ist Tscheplanowa aber doch, wenngleich gerade sie prädestiniert scheint für derlei schauspielerische Kraftakte. Das Publikum, Kritiker und Kollegen kennen und schätzen sie als Theaterprofi, wovon auch die zahlreichen Preise, die Tscheplanowa im Lauf der Jahre erhalten hat, Zeugnis ablegen. Anfang 2018 nahm sie etwa in Hamburg den Ulrich-Wildgruber-Preis in Empfang, fast zeitgleich wurde ihr der Deutsche Hörbuchpreis 2018 zugesprochen.

Diese Ausnahmeschauspielerin, so darf man sie wohl nennen, liebt das Theater und spielt Theater für Menschen, die selbst das Theater lieben. Mit berufsbegleitendem Firlefanz wie einer Facebook-Seite oder einem Instagram-Profil möchte sie sich nicht aufhalten und hat auch kein Problem damit, wenn dann eben nicht jeder potenziell interessierte Castingdirektor auf sie aufmerksam wird. „Ich vergleiche mich gern mit Bionahrungsmitteln. Ich würde sagen, ich bin eine Bio-Schauspielerin. Biologisch angebaut, biologisch gezüchtet, und ich produziere doch weiterhin. Wenn jemand anders arbeiten will, dann stört mich das überhaupt nicht“, sagt sie und ergänzt, dass es ihr lieber sei, nur von den Richtigen zum Richtigen eingeladen zu werden, als an einer für sie unpassenden Produktion mitzuwirken.

Überdrehte Welt. „Die Perser“ von Aischylos, inszeniert von Ulrich Rasche für die Salzburger Festspiele, war offenbar einer der Glücksfälle, nach denen Valery Tscheplanowa nun in ihrer neuen Position als freischaffende Schauspielerin vermehrt sucht. Nach Castorfs „Les Misérables“ ist es das zweite Stück für sie als Nicht-Ensemblemitglied, wobei sie, wie sie meint, ihre Position als „Fremdling“ erst nach und nach definieren muss. „Ich denke, dass man als Freischaffender so arbeiten muss, als würde man zum Ensemble gehören. Das heißt, nicht denken: Oh, ich darf mich nicht beschweren, ich darf nichts einfordern. Bei der Vorbereitung der ,Perser‘ habe ich mich in dieser Hinsicht schon viel selbstverständlicher verhalten.“

Und das andere ist dann eben die Zeit, die ihr zur Verfügung steht und die sie sich für ihre eigene Vorbereitungsarbeit auf eine Rolle, auf ein Stück, einen Autor, nehmen kann. Mit „dicken Büchern“, gewichtigen Notizblöcken, komme Valery Tscheplanowa zu Proben ins Theater, heißt es. „Na gut, die ,Perser‘ sind das älteste Stück der Welt, da ist es schon ein bisschen angebracht, etwas darüber zu wissen. Ein Stück landet ja erst, wenn es sich verortet. Verortung braucht aber Zeit. Wenn man sich gegen die Geschwindigkeit der Welt, wie wir sie heute kennen, stellen will, dann ist das keine Selbstverständlichkeit. Das braucht Kraft und ebenfalls Zeit. Und diese Zeit will ich mir nehmen, das versuche ich jetzt einfach einmal.“

Zwei Monate, um sich eingehend auf Aischylos’ Stück vor Probenbeginn vorzubereiten, das habe ihren Vorstellungen entsprochen, sagt Valery Tscheplanowa. Über die Geschichte des jungen Perserkönigs Xerxes, der aus Hybris und Übermut sein Heer und das ganze Volk, das ihm vertraut und folgen muss, der Vernichtung entgegenführt, hat sie sich ausführlich Gedanken gemacht. Parallelen zur aktuellen Lage der Welt, in der sich die Menschen in politischen Systemen vielerorts ebenfalls wieder nach „starken Männern“, denen sie vertrauen können, sehnen, sieht Tscheplanowa durchaus und hat auch einen Erklärungsansatz parat – in dem wieder Zeit, Tempo, Überforderung eine Rolle spielen: „Wenn der Markt zu einer Überdrehung führt, wenn die freie Marktwirtschaft dazu führt, dass Waren unsere täglichen Bewegungen lenken; wenn die Produktionsprozesse, in denen der Mensch steckt, immer kürzer werden, dann ist es eine fast körperliche Reaktion zu sagen: Jemand soll mir da bitte heraushelfen. Und dann entsteht diese Sehnsucht nach einem Gesicht, nach jemandem, der das sortiert. Der normale Konsument, der sich in diesem Irrsinn nicht mehr zurechtfindet, fängt dann tatsächlich an, nach einem ,Übermenschen‘ zu suchen.“

Der Fall Volksbühne. In ihrer Arbeit zählt für Tscheplanowa neben der Zei das Vertrauen, das sie einem Regisseur, entgegenbringt. „Demjenigen, dem ich vertraue, gestehe ich auch zu, dass er sich verirren kann. Das muss ich ihm auch geben, und das ist für mich ein privater Vorgang, das kann nicht Teil der Öffentlichkeit sein.“ Sich in einem kreativen und streckenweise „dunklen“ Prozess zwischendurch zu verlaufen, am Ende aber doch wieder ans Licht zu kommen, sei ein völlig natürlicher Teil ihrer Arbeit.

Ungeachtet ihres guten Verhältnisses zu Castorf findet sie die Vorkommnisse um die Bestellung seines Nachfolgers an der Volksbühne, Chris Dercon – einst Direktor der Tate Modern in London und mittlerweile wieder abberufen –, albern: „So unglücklich das hier gelaufen sein mag, man kann sich nicht aus dem Theaterbetrieb heraus mal etwas Extremes gönnen“, sagt Tscheplanowa auch in Richtung der Kulturpolitik, die mitunter zu wenig Durchhaltevermögen nach unpopulären Entscheidungen zeigen mag. „Wenn man experimentieren will, muss das schon ein offener Diskurs sein. Was wir an der Volksbühne gesehen haben, finde ich relativ lächerlich – von beiden Seiten. Also von Chris Dercon, da nach nicht einmal einem Jahr zu verschwinden; aber auch von der anderen Seite, ihn nicht einfach drei Jahre arbeiten zu lassen. Jede Art von künstlerischer Wende braucht Dauer.“ Und da ist sie also wieder: jene Valery Tscheplanowa so teure Zeit. Wie es mit ihr selbst in ihrer neuen Situation weitergeht, möchte sie übrigens in absehbarer Zukunft nicht mehr besprechen: „Ich habe alles erzählt über meine Kindheit. Die Menschen wissen, wie ich arbeite. Also war es das jetzt einmal mit Interviews, die nächsten zehn Jahre wird gearbeitet.“

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