Eine Frau soll's richten: Was ist dran an der "gläsernen Klippe"?

Therese May
Therese MayReuters
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Österreich hat mit Brigitte Bierlein seine erste Kanzlerin. Es ist nicht das erste Mal, dass eine Frau in Krisenzeiten die Führung übernimmt.

So schnell kann es manchmal gehen. Ein Skandal-Video, ein Misstrauensvotum – und schon hat Österreich seine erste Bundeskanzlerin. Höchstrichterin Brigitte Bierlein führt bis Ende September die Übergangsregierung an. Es ist nicht das erste Mal, dass auf diese Weise eine Frau erstmals an die Spitze einer Regierung kommt: Griechenland, wo die Politik nach wie vor sehr männlich dominiert wird, hatte seine erste Premierministerin bereits im Sommer 2015. Auch Vasiliki Thanou-Christofilou war Höchstrichterin. Auch sie musste, nachdem die Regierung von Alexis Tsipras scheiterte, bis zur Neuwahl übernehmen.

Aber was ist dran an der These, dass Frauen immer nur dann an die Macht kommen, wenn die Ausgangslage besonders schwierig ist? In Anlehnung an das Phänomen der „gläsernen Decke“ wird oft von der „gläsernen Klippe“ gesprochen. Warum die vor kurzem zurückgetretene britische Premierministerin Theresa May aktuell ständig als Parade-Beispiel herhalten muss, muss man wohl nicht weiter ausführen. Aber auch in der Vergangenheit finden wir Beispiele: Als in Island das Bankensystem 2008 zusammenbrach und das Land in eine große Krise stürzte, wurde mit Jóhanna Sigurdardóttir die erste Frau Premierministerin.

In Österreich wird Pamela Rendi-Wagner, erste SPÖ-Chefin, als Beispiel für die „gläserne Klippe“ genannt, etwa unlängst von der Politologin Birgit Sauer in einem Interview mit „News“. Als Rendi-Wagner übernahm, seien die Zustimmungswerte im Keller gewesen, gleichzeitig aber eine „Neuaufstellung der Partei zum Scheitern verurteilt“, da „die Kräfte innerhalb der SPÖ gespalten waren“, so Sauer.

„Gläserne Klippe“ in Konzernen?

Der Begriff der „gläsernen Klippe“ kommt ursprünglich nicht aus der Politik, sondern aus der Wirtschaft. Geprägt haben ihn die britischen Forscher Michelle Ryan und Alex Haslam (University of Exeter). Sie kamen 2005 in einer Studie zu dem Ergebnis, dass Unternehmen mit einer negativen Geschäftsentwicklung häufiger Frauen als Männer in Vorstandsämter beriefen. Auch Alison Cook und Christy Glass (Utah State University) kamen zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie haben für den Zeitraum von 1996 bis 2010 die Top-500-US-Börsenunternehmen untersucht. Sie fanden einen signifikanten Zusammenhang zwischen einer „Mission Impossible“ und dem Aufstieg von Frauen beziehungsweise von Angehöriger ethnischer Minderheiten.

Mary Barra saß damals noch nicht im Chefsessel von General Motors (GM). Die Tochter finnischer Einwanderer schaffte es im Jänner 2014 als erste Frau an die Spitze eines großen Autokonzerns. Damals sah es nach Außen hin eigentlich recht gut aus für GM, aber intern ging es schon heiß her, wie wenig später auch die Öffentlichkeit erfuhr: Kaputte Zündschlösser verursachten einen Pannenserie mit zahlreichen Toten, Millionen Autos mussten zurückgerufen werden und Barra musste viele unangenehme Fragen beantworten.

Weitere Beispiele: Marissa Mayer übernahm 2012 die Führung der Internetfirma Yahoo, nachdem diese immer weiter hinter Google zurückfiel. 2017 musste Mayer schließlich den Hut nehmen, sie war gescheitert. Jill Abramson wurde 2011, als die Medienlandschaft gerade im Umbruch stand, Chefin der „New York Times“. Sie musste drei Jahre später abtreten.

Wissenschaftliche Zahlen zum Thema „gläserne Klippe“ sind dünn gesät und nicht jede Studie kann einen Zusammenhang nachweisen, wie etwa eine Publikation der Justus-Liebig-Universität Gießen aus dem Vorjahr, die die Vorstände der größten börsennotierten Unternehmen Deutschlands und Großbritanniens zwischen 2005 und 2015 verglich. Das Fazit der Forscher: „Obwohl unsere Studie das positive Ergebnis zutage gebracht hat, dass Frauen nicht einem übermäßigen Risiko prekärer Führungspositionen ausgesetzt zu sein scheinen, haben uns vor allem die geringen ,Fallzahlen‘ im negativen Sinne überrascht“. So hat etwa in Deutschland im Untersuchungszeitraum überhaupt keine Frau den Vorstandsvorsitz übernommen.

„Qualitäten, die in der Krise gefragt sind“

Experimentelle Studien deuten wiederum sehr wohl darauf hin, dass es einen Zusammenhang gibt. So wurde in Labor-Situationen öfter das Ruder an die Frau übergeben, wenn es schwierig wurde. Monika Rosen, Chefanalystin der Bank Austria, erklärte dieses Phänomen in einem „Presse“-Gastkommentar aus ihrer Sicht: „Die Auswahl einer Frau als Führungskraft signalisiert immer eine Veränderung, und sie deutet auf jene Eigenschaften hin, die man typischerweise Frauen zuschreibt: Empathie und Einfühlungsvermögen, Fähigkeit zum Zuhören und zur Zusammenarbeit. Das sind aber eben genau jene Qualitäten, die in einer Krise gefragt sind.“

Eine andere Erklärung gibt es freilich auch: Frauen, die Karriere machen wollen, haben es immer noch schwerer - und müssen jede Chance ergreifen, auch wenn sie damit ein hohes Risiko eingehen.

Was ist nun aber das Problem dabei? Ganz einfach: Ein hohes Risiko bedeutet auch eine hohe Wahrscheinlichkeit zu scheitern. Und scheitert eine Frau in einer Führungsposition, könnte das zur Folge haben, dass Führungsqualitäten von Frauen generell in Frage gestellt werden – und im schlimmsten Fall anderen der Weg nach oben verbaut wird. Andererseits könnte man aber auch sagen: Je aussichtsloser die Lage, umso beachtenswerter der Erfolg.

Dass bei weitem nicht alle mächtigen Frauen über „gläserne Klippen“ stürzten, zeigt etwa Angela Merkel. Auch sie übernahm die Parteiführung der CDU im Jahr 2000 inmitten einer Krise. An der Spitze war man zerstritten und eine Spendenaffäre belastete die Partei. Danach hatte Merkel immerhin 18 Jahre den Vorsitz inne – und ist seit 2005 ohne Unterbrechung Bundeskanzlerin von Deutschland.

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