Eine von ÖVP-Chef Spindelegger eingesetzte Expertengruppe trotzt der Parteilinie und liebäugelt unter anderem mit der Gesamtschule. Insgesamt ähnelt das Papier, mehr den Forderungen des Bildungsvolksbegehrens.
Wien/Thea. Ausgerechnet seine eigene Expertengruppe bringt Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) bildungspolitisch unter Druck: Diese sympathisiert mit der Gesamtschule und kritisiert die Verländerung des heimischen Schulsystems. Insgesamt ähnelt das Papier, das der „Presse“ vorliegt, mehr den Forderungen des Bildungsvolksbegehrens von Ex-Vizekanzler Hannes Androsch denn der bisherigen Parteilinie der ÖVP.
Unter dem Titel „Unternehmen Österreich 2025“ lässt Spindelegger derzeit von rund 200 Experten einen Maßnahmenkatalog für „die Stärkung des Wirtschaftsstandortes“ erarbeiten. Die ersten Ergebnisse jener Gruppe, die sich dem Thema „Bildung und Lernen“ widmet, dürften allerdings nicht gerade auf Wohlwollen bei ihrem Auftraggeber stoßen. So wird in dem Papier die schulische Trennung der Kinder im Alter von zehn Jahren kritisiert: Diese nehme „so viel Zeit und Energie auf schulischer und politischer Ebene in Anspruch, dass das eigentliche Ziel einer potenzialorientierten Leistungsdifferenzierung vernachlässigt wird“.
Außerdem fordern die Experten – ebenfalls entgegen der Parteilinie – die Übernahme von Kindergärten und Schulen der Sekundarstufe 1 in die Bundeskompetenz. Weitere Vorschläge: eine Verlängerung der Sekundarstufe 1 auf fünf Jahre, die mit der „mittleren Reife“ abgeschlossen werden soll. Danach sollen die Wahlmöglichkeiten von Schülern erhöht und der Fächerkanon überdacht werden. Auch mit der Forderung nach gleichem Urlaubsanspruch für Lehrer wie für Angestellte aus der Privatwirtschaft dürfte sich die Gruppe wenig Freunde machen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2012)