Claudia Schmied hat(te) es nicht leicht. Ihr Ziel, eine einzige einheitliche Schulform für alle Zehn- bis 14-Jährigen, wird sie nicht durchsetzen. Auch echte Reformen nicht.
Das Bild, das Claudia Schmied zur Veranschaulichung der österreichischen Bildungspolitik am liebsten strapaziert, ist stets jenes mit dem Bohren dicker Bretter. Das Problem: Die zuständige Ministerin hatte nie das Gerät dazu. Ohne tiefe Verankerung in der Partei, ohne volle Unterstützung des Parteichefs und ohne 100-prozentigen Killerinstinkt für nächtliche Verhandlungen mit Gewerkschafter Fritz Neugebauer konnte sie nicht erreichen, was sie sich vorgenommen hatte. Nämlich endlich den alten Traum der Linken zu verwirklichen: eine Schule für alle, fast klassenlos. Zwar ist ihre Argumentationslinie, dass die wichtigste und folgenreichste Entscheidung, nämlich welcher Ausbildungsweg eingeschlagen wird, nicht bei Zehnjährigen, sondern besser bei 14-Jährigen getroffen werden sollte, schon richtig.
Allein, die Qualität dieses gemeinsamen Unterrichts wäre dann das allerwichtigste Kriterium für Erfolg oder Nichterfolg des gesamten Schulsystems. Wenn also kaum AHS-Lehrer dazu bereit sind, in eine dieser Neuen Mittelschulen zu wechseln, obwohl sie dort viel Geld und Aufmerksamkeit erwartet, hilft auch das schönste skandinavische Beispiel nichts: Die Lehrer fürchten, dass es sich nur um Hauptschulen mit neuem Namen handelt, und bleiben an den Gymnasien. Dies wie Schmied mit dem Standesdünkel, den es in der Lehrerschaft wie in jeder Berufsgruppe gibt, abzutun wird das Vertrauen in die neuen Bildungseinrichtungen wohl nicht stärken. Und: Wenn in Österreichs Privatschulen die Anmeldelisten länger und länger werden, muss die Mutmaßung erlaubt sein, dass immer mehr Eltern ihre Kinder nicht zur Verbesserung des Pisatests in die öffentliche Schule ums Eck schicken, sondern einen eigenen, wenn auch kostspieligen Weg gehen wollen.
Soll heißen: Die voranschreitende Differenzierung des Schulsystems lässt sich auch im Bildungsressort nicht verhindern, auch nicht, wenn man das Gymnasium in seiner jetzigen Form finanziell austrocknet. Die alte Hauptschule abzuschaffen, stattdessen die Neue Mittelschule mit etwas ambitionierteren Zielen und mehr Geld auszustatten, war hingegen ein Gebot der Stunde. Wenn sie dem Gymnasium Konkurrenz machte, wäre das nur gut. Die hat noch keinem geschadet.
Und das Hauptproblem jeder echten Bildungsreform blieb auch unter Schmied unangetastet, wurde im Gegenteil noch größer, weil mächtiger: Die Gewerkschaft bestimmt in Österreich nicht nur, welcher Lehrer wie weiterkommt, sondern, was politisch möglich ist. Das ist in etwa so, als würden nicht Chefredakteure, Redakteure und Verlagsmanager vorgeben, wie eine Zeitung aussieht, sondern der Betriebsrat. Oder als ob Automobil-Konzerne ihre neuen Modelle nicht von Entwicklern und nach Marktstudien bauen und auf den Markt bringen lassen würden, sondern von der Gewerkschaft entwerfen ließen. Genau in allen Fällen würde dies zum Aus der jeweiligen Marke führen.
Aber was für unsere Kinder am besten ist, bestimmen Fritz Neugebauer und seine Nachfolger. Daher muss vor jeder echten Reform eine Überwindung dieses Widerstandes stehen, Streiks und alle anderen Rituale inklusive. Ein solcher Kraftakt wäre sinnvoller als im Wochenrhythmus PR-Veranstaltungen in Pressekonferenz-Format abzuhalten und mit Hannes Androsch und anderen Wohltätern den Wert der modernen Bildung zu besingen. Hört sich nett an, ist aber völlig belanglos.
Natürlich bräuchte man für mögliche echte, nicht ideologisch motivierte Reformen, wie etwa die Einführung von Bildungsschecks, die man in anderen Ländern bekommt und der Schule der Wahl abliefert, und/oder echte Autonomie von Schulen, die volle politische Unterstützung. Werner Faymann ließ seine Ministerin mehrmals im Regen stehen, ob gegen die Gewerkschaft oder den Koalitionspartner. Das könnte sich unter einem möglichen Nachfolger Josef Ostermayer durch die persönliche Nähe zum Kanzler ändern.
Leider, die Bildungspolitik war und ist in der Regierung Faymann nie so wichtig (gewesen), wie es auf den Wahlplakaten zu lesen und in den Sonntagsreden zu hören war. Das ist das vermutlich schlimmste Versäumnis dieser Legislaturperiode. Und dieses Kanzlers.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2012)