David Seidler: „Das F-Wort konnte ich wunderbar“

(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
  • Drucken

Oscar-Preisträger David Seidler im Gespräch mit der "Presse" über seine stotternde Kindheit, das rettende Fluchen und sein Stück „The King's Speech“ in den Kammerspielen.

David Seidlers erste Erinnerung ist der Lärm der Schlacht von Dünkirchen. „Mein Vater und mein Bruder hatten mir gerade eine Sandkiste gebaut und sagten, es sei nur der Sturm, aber ich wusste, dass das nicht stimmte, der Himmel war blau.“ Wenig später befand sich der Dreijährige mit seiner Familie auf einem Schiff von England nach Amerika. Ein deutsches U-Boot griff an. Als die Freiheitsstatue vor ihnen auftauchte, stotterte das Kind. 70 Jahre sollte es dauern, bis es mit einer Geschichte über das Stottern zu Berühmtheit gelangen sollte.

David Seidler, mittlerweile Mitte 70, sitzt im Blauen Salon des Palais Coburg. Er ist nach Wien gekommen, weil die Kammerspiele „The King's Speech“ spielen, am Donnerstag Abend war Premiere jenes Stücks, das als Kinofilm vier Oscars gewann, unter anderem für das beste – Seidlers – Originaldrehbuch. Er sei immer noch ein Stotterer, sagt er. „Sie hören es nur nicht, weil es mir zur zweiten Natur geworden ist, zu reagieren.“ Schlimm gestottert habe er, bis er 16 war. Seine Eltern spielten ihm vergeblich die Reden King George VI. vor, um ihn zu trösten. „Doch mit 16“, erzählt Seidler, „ging ich durch ein kathartisches Erlebnis, aus dem später die Filmszene wurde, die uns das gleiche Rating eintrug, als hätten wir ein Kettensägenmassaker veranstaltet – die Szene mit dem F-Wort.“ Seidler war in die Pubertät gekommen und hatte nicht zu stottern aufgehört, es war schlimmer geworden. „Die Hormone tobten, ich konnte Mädchen nie um ein Date bitten – denn selbst wenn sie ja gesagt hätten, wir konnten uns ja nicht unterhalten.“

Also sprang er wütend in seinem Zimmer auf und ab „und schrie das F-Wort, das ich allein ganz wunderbar sagen konnte. Und dachte mir, wenn ich schon mit dieser schrecklichen Beeinträchtigung festsaß, dann würden eben die anderen auch nicht auskommen. Ich hatte ein Recht darauf zu sprechen, und die anderen würden mir verdammt noch mal zuhören müssen!“ Das legte im Kopf einen Schalter um. Zwei Wochen später sprach er für das Schultheaterstück vor, Shaws „Androcles und der Löwe“. Seidler: „Ich spielte einen Christen, der von einem Löwen gefressen wird. Und als ich im Todeskampf schrie, habe ich nicht gestottert.“

Später wurde er Autor; den Wunsch, über seine Erlebnisse zu schreiben, hatte er früh. „Doch ich hatte nie das Gefühl, dass sich die Öffentlichkeit für meine Geschichte interessieren könnte. Aber ich konnte mir vorstellen, dass man sich für den König interessiert, der unerwartet sein Land im Krieg führen muss und nicht kommunizieren kann.“ Um 1980 erfuhr er von Lionel Logue, dem Sprachtrainer des Königs. Logues Sohn stellte die Bedingung, die Witwe, Queen Mum, um Erlaubnis zu bitten. „Sie bat mich, es nicht während ihrer Lebenszeit zu machen, die Erinnerungen wären zu schmerzhaft. Ich dachte nicht, dass ich lange warten müsste . . .“

Ob für ihn der späte Erfolg eine Genugtuung sei? Seidler lächelt. „Es ist wunderschön, in diesem Alter der, sagen wir, Reife, Applaus und spannende Projektangebote zu bekommen.“ „Kill George Washington“ heißt ein Projekt, das die Revolution aus britischer Sicht erzählt („Es war ein Aufstand von Terroristen, Washington war Bin Laden“). Er schreibt ein Drehbuch für Swarovski, eines für Martin Scorsese. „Ich genieße es sehr.“ Und sein Schulfreund Francis Ford Coppola, mit dem er im Streit auseinanderging? Soll, sagt Jeff Bridges, bei der Oscar-Verleihung gemeint haben, David Seidler sei ein großartiger Kerl. „Ich schätze also, dass wir wieder Freunde sind.“

Zur Person

David Seidler (geb. 1937 in London) lebt als Drehbuchautor in Santa Monica. Einen ersten Erfolg bei Kritikern hatte er mit „Tucker“, gemeinsam mit seinem Schulfreund Francis Ford Coppola. Lange Jahre schrieb er hauptsächlich Fernsehdrehbücher. 2010 holte „The King's Speech“ vier Oscars. Gestern, Donnerstag, hatte die Theaterversion Premiere in den Kammerspielen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.