40 Jahre Metallerlohnrunde: Würstel oder Schnitzel?

Rainer Wimmer, Karl Proyer
Rainer Wimmer, Karl Proyer(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
  • Drucken

Das Ritual der Lohnrunde ist seit 40 Jahren gleich. Die Arbeitgeber scheren nun aus. Ist es der Anfang vom Ende oder der Beginn neuer Gehaltsmodelle?

Das Zeremoniell ist gut eingeübt - schließlich hatten die "Darsteller" in 40 Jahren genügend Zeit, um zu üben oder um sich bei ihren Vorgängern Tipps zu holen. Am 19. September war es wieder so weit: Die Metallerlohnrunde startete mit der Übergabe der Forderung durch die Gewerkschafter. Ihr Wunsch: fünf Prozent mehr Lohn für ihre 180.000 Kollegen.

Benchmark

Dieser Artikel erscheint in Benchmark - dem Wirtschaftsmagazin der "Presse".

Mit der Forderungsübergabe in der Wirtschaftskammer ist heuer die Tradition schon zu Ende. Denn die sechs bisher gebündelten Branchenverbände wollen nicht mehr gemeinsam mit den Gewerkschaften Pro-Ge und GPA-djp feilschen, sondern getrennt verhandeln. Den Auftakt machte die Maschinen- und Metallwarenindustrie, mit 120.000 Beschäftigten die größte Gruppe. Dann folgen Stahl- und Bergbau, Gießerei, Fahrzeuge, Nichteisenmetalle und Gasund Wärmeversorger. Mit diesem Plan haben die Industriellen für einen Knalleffekt gesorgt und die Gewerkschafter gehörig erzürnt. Die Unternehmer blieben hart – trotz heftigen Säbelrasselns der Gegenseite inklusive des Vorwurfs, die „heilige“ Sozialpartnerschaft aufs Spiel zu setzen.

Viel davon dürfte Theaterdonner sein. Das alljährliche Muskelspiel zum Auftakt gehört zur Lohnrunde wie das Amen zum Gebet. Man gebärdet sich, droht, greift zu scharfen Worten – bis man nach der Einigung friedlich bei traditionellen Würsteln oder Schnitzeln sitzt.

Möglicherweise ist schon etwas dran, wenn Rainer Wimmer, Chef Produktionsgemeinschaft Pro-Ge, von den schwierigsten Lohnverhandlungen seit Langem spricht. Für die Arbeitgeber sind die geforderten fünf Prozent „nicht nachvollziehbar und schwer erfüllbar“. Aber sie haben auch klargemacht, dass es ihnen bei Weitem nicht nur um die Löhne geht. „Nur an der Lohnschraube zu drehen ist zu wenig“, sagte Christian Knill, der bei den Verhandlungen für die Arbeitgeber spricht, nach der Forderungsübergabe Mitte September.

Es sieht fast so aus, als wären die Löhne für sie das kleinere Problem. „Theoretisch könnte ein einheitlicher Kollektivvertrag passen. Uns geht es vor allem darum, dass wir eigenständige Verhandlungen führen und einen eigenständigen Abschluss haben“, sagte Knill in kleiner Runde vor Verhandlungsbeginn.

Es geht also schon lange nicht nur um mehr Geld. Zumal die Regel, nach der die Gewerkschaft ihre Forderung berechnet, in die Urzeiten der Metallerrunde zurückreicht und deshalb als unzeitgemäß abgetan wird. Es ist die Benya-Formel, benannt nach dem Gewerkschafter Anton Benya (1912– 2001). Der langjährige ÖGB- und Nationalratspräsident war ein glühender Verfechter der Sozialpartnerschaft. Die Gleichung lautet: Lohnerhöhungen ergeben sich aus der Abgeltung der Inflation sowie dem halben Produktivitätszuwachs. Letzterer bezieht sich auf die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität (BIP pro Beschäftigtem).

Dogma. In Zeiten wachsenden Wohlstands murrten die Arbeitgeber zwar ob dieses Dogmas, aber es wurde nicht daran gerüttelt. Als die Finanzkrise 2009 auch zwischen Neusiedler- und Bodensee wütete, war jedoch Schluss mit der simplen Formel. Angesichts einer extrem niedrigen Inflation bei gleichzeitig sinkender Produktion wären die Löhne laut Benya-Formel nämlich gesunken. Das passierte nicht, aber der Ruf nach einem Aufbrechen der einzementierten Vorgangsweise wurde lauter. Die Unternehmen wollen heutzutage vor allem eines: Arbeitszeitflexibilisierung. Mehr arbeiten lassen, wenn es wirtschaftlich gut läuft. Und dafür die Mitarbeiter heimschicken, wenn die Auslastung schlecht ist.

Das Thema beschäftigt die Verhandler in den Lohnrunden schon seit vielen Jahren. Bislang konnte es die Gewerkschaft aber stets abschmettern. 2010, im Jahr des Aufschwungs nach der ersten Krise, waren die Fronten in diesem Punkt verhärtet: Die Arbeitgeber wollten flexiblere, die Gewerkschaft kürzere Arbeitszeiten. Letzteres wurde zwar nicht umgesetzt, aber auch die Arbeitgeber mussten von der Flexibilisierung wieder einmal Abstand nehmen. Schon da ging es längst nicht mehr um Prozente. Sondern um Macht und Einfluss.

Die Gewerkschaft will die Verhandlungen über Arbeitszeitfragen auf der Ebene des Kollektivvertrags halten. Die Arbeitgeber wollen solche Entscheidungen lieber auf die Betriebsebene verlagern, weil sie sich dort die besseren Erfolgschancen ausrechnen.

Wäre da nicht das sture Gegenüber. Metallindustrie und Bergbau waren die ureigensten Bastionen der Gewerkschaftsbewegung. Darauf gründen sich Macht und Einfluss der heutigen Metaller- Gewerkschaft. Mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft hat sich das im Laufe der Jahrzehnte zwar verändert. Aber die Metaller- Gewerkschaft gilt nach wie vor als eine der am besten organisierten und einflussreichsten im Gewerkschaftsbund. Und so haben die Metaller bislang ihre Vorreiterrolle in den jährlichen Lohnverhandlungen behalten: Der Metaller-Abschluss gilt als richtungsweisend für die nachfolgenden Lohnrunden, etwa jene des Handels oder der Beamten.

Die Gewerkschaft hat auch keine Hemmungen, ihre Macht zur Schau zu stellen, wenn sie das für richtig empfindet. So war das zum Beispiel im Vorjahr. Trotz des sich ankündigenden wirtschaftlichen Abschwungs forderte sie 5,5 Prozent Lohnerhöhung für die damals in der Metallindustrie 165.000 Beschäftigten. Die Arbeitgeber boten einen Ausgleich der Inflation von damals 2,8 Prozent und Einmalzahlungen. Daraufhin zogen die Genossen um Wimmer und den Vizechef der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA), Karl Proyer, fast alle Register. In 150 Betrieben ging die Belegschaft in den Ausstand, die Gewerkschaft droht mit einem Arbeitskampf. Am Ende schauten satte 4,2 Prozent heraus. Über Arbeitszeitflexibilisierung wurde nicht einmal gesprochen, die Lage war auch so schon angespannt genug.

Heuer nehmen die Arbeitgeber einen neuen Anlauf. Arbeitgebersprecher Knill kündigte bereits an, die Arbeitszeitflexibilisierung in den Mittelpunkt zu stellen. Für die Gewerkschaft ist das ein Reizthema. Sie fürchtet, dass durch längere Durchrechnungszeiträume lukrative Überstundenzuschläge verloren gehen.

Derzeit müssen für Überstunden bis zur 45. Wochenstunde 25 Prozent Zuschlag bezahlt werden, sofern diese Mehrstunden innerhalb von 52 Wochen abgebaut werden. Gibt es keinen Zeitausgleich, kommen noch einmal 50 Prozent Überstundenzuschlag dazu. Für Unternehmen, deren Auslastung über mehrere Jahre schwankt, kann das teuer werden. Im Krisenjahr 2009, als sich viele Firmen mit staatlich gestützter Kurzarbeit über die Runden halfen, forderte die Industrie die Ausdehnung des Durchrechnungszeitraums von einem auf zwei Jahre.

Für die Gewerkschaft aber gilt: Arbeitszeitflexibilisierung ist gleich Lohnkürzung. Sie sagt auch nicht Arbeitszeitflexibilisierung, sondern „Arbeitszeitgestaltung“. „Wenn sie auch für die Beschäftigten Vorteile bringen, sind für uns viele Dinge möglich. Wenn es aber nur darum geht, dass die Einkommen der Beschäftigten sinken, ist das für uns nicht vorstellbar“, heißt es.

Laut Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS) spielt sich derzeit in puncto Arbeitszeitflexibilisierung vieles im gesetzlichen Graubereich ab. „Ich bin mir nicht sicher, ob nicht ohnehin schon vieles passiert.“ Dass eben heimlich Vereinbarungen getroffen werden. Flexible Arbeitszeiten kämen schließlich oft auch den Dienstnehmern entgegen.

Aufsplittung. Auf dem Weg zu mehr Flexibilisierung war die Aufsplittung der Verhandlungen ein erster Schritt der Arbeitgeber. Statt in einem großen Verhandlungsverbund wie in den letzten Jahrzehnten verhandelt die Gewerkschaft heuer gesondert mit den sechs Metaller-Fachverbänden. Der größte und lauteste ist der Fachverband Maschinenund Metallwarenindustrie (FMMI). In diesem Verband sind 1200 Unternehmen organisiert. Hauptsächlich Klein- und Mittelbetriebe. Im Frühjahr ist der FMMI als Erster aus der Verhandlungsunion ausgeschert und hat damit die Gewerkschafter erzürnt.

Die Unternehmer versprechen sich, dass die Bedürfnisse der einzelnen Branchen stärker berücksichtigt werden. Denn sie fürchten um ihre globale Wettbewerbsfähigkeit. Auch der Fachkräftemangel wird in Österreich zunehmend zum Problem. „Es geht nur noch darum, wer im internationalen Wettbewerb seine Position verliert. Griechenland wird nie eine Maschinenbauindustrie haben“, sagte Gerhard Chlapek, Leiter des Finanzwesens bei der Münze Austria und beim FMMI für Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Im Vergleich zu Griechenland, Frankreich oder Spanien hat sich Österreich in den vergangenen 13 Jahren gleich wie Deutschland eher in Lohnzurückhaltung geübt. Die Lohnstückkosten (Arbeitseinkommen pro Kopf im Verhältnis zur Produktivität, dem BIP je Erwerbstätigen) sind im Durchschnitt der Eurozone seit der Jahrtausendwende um 1,7 Prozent (nominell) gestiegen. In Österreich waren es 1,4 Prozent. Der große Anstieg stammt allerdings aus den Jahren zwischen 2005 und 2010, als die Lohnstückkosten in Österreich um 1,9 Prozent anzogen. In Deutschland waren es im selben Zeitraum nur 0,7 Prozent. In den fünf Jahren zwischen 2000 und 2005 waren es in Österreich indes nur 0,5 Prozent.

Mit Firmen aus China, Indien und Osteuropa können heimische Betriebe bei den Kosten freilich trotzdem nicht mithalten. Zumal sich der Faktor Arbeit durch die Lohnerhöhungen bei gleichzeitigem Rückgang der Produktivität gerade in den Krisenjahren deutlich verteuert hat: 2009 und 2010 hat sich eine Arbeitsstunde in Österreich um zwölf Prozent verteuert. Christian Pochtler, Vorstand der Pochtler Industrieholding und Vizeobmann des FMMI, sagt: „Es geht darum, die Zukunftsfähigkeit der Branche zu erhalten.“

Vor- und Nachteile. Experten sehen in der Aufspaltung Vor- und Nachteile. Wolfgang Schwarzbauer vom IHS meint: „Es hat durchaus Sinn, wenn Branchen, die schlechteren Bedingungen ausgesetzt sind, anders verhandeln als jene, deren Geschäfte noch gut laufen.“ Gleichzeitig bestehe die Gefahr, dass gesamtwirtschaftliche Aspekte in den Hintergrund rücken und zu sehr auf die einzelnen Branchen geschaut werde. „Dieser Aspekt darf nicht verloren gehen.“

Die Lage für die Lohnverhandler ist heuer aber nicht nur wegen der Aufspaltung schwierig. Die Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung werden laufend nach unten korrigiert. Die Inflationsaussichten sind mit rund zwei Prozent verhältnismäßig niedrig. Die Experten vom IHS plädieren daher für moderate Lohnerhöhungen zwischen 2,5 und drei Prozent. „Österreich und Deutschland stehen durch moderate Lohnerhöhungen heute viel besser da als andere. Es bleibt zu hoffen, dass die Lohnentwicklung in Österreich weiter so bleibt wie in den vergangenen zehn Jahren.“ Bleibt nur noch die Frage: Würstel oder Schnitzel?

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Paar im Buero - couple at the office
Österreich

Wo die Liebe hinfällt

Beziehungen am Arbeitsplatz sind keine Seltenheit - und vor allem eines: Privatsache
Österreich

Mit dem Geldsack zum Bäcker?

Wir müssen uns auf mehr Teuerung einstellen. Hyperinflation droht aber nicht.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.