Stoß auf die Gleise: Wie sicher ist die U-Bahn?

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Samstagabend wurde eine 36-jährige Kenianerin in der Station Taborstraße von einem 51-jährigen Mann aufs Gleis gestoßen. Trotz der Serie an Verbrechen in und um U-Bahnen sei es dort sicher, sagt die Polizei.

Wien. Wie gefährlich ist es in der U-Bahn? Diese Frage hat nach einem Vorfall in der U2-Station Taborstraße erneut an Aktualität gewonnen. Ein 51-Jähriger stieß am Samstagabend eine 36-Jährige auf die Geleise. Die Frau erlitt einen Fersenbeinbruch und konnte sich nicht selbst auf den Bahnsteig retten – ein Fahrgast drückte den Notstopp und rettete ihr damit das Leben. Denn nur 30 bis 40 Sekunden später wäre ein Zug in die Station eingefahren.

Das Motiv des Mannes soll nach Angaben der Polizei Rassismus gewesen sein – beim Opfer handelt es sich um eine Kenianerin. Sie und ihre Begleiterin, eine eingebürgerte Ghanaerin, stänkerte der Mann an, weil sie zu laut mit dem Handy telefoniert hätten. Schließlich versetzte er der 36-Jährigen einen Faustschlag und stieß sie auf die Schienen in Fahrtrichtung Aspern. Während andere Fahrgäste die Frau wieder auf den Bahnsteig zogen, flüchtete der 51-Jährige. Die Begleiterin des Opfers hielt die Lebensgefährtin des Täters fest – somit konnte der Mann schnell ausfindig gemacht werden. Er selbst gab an, keine rassistischen Äußerungen getätigt zu haben. Er habe sich bedroht gefühlt und mit dem Stoß nur versucht, die 36-Jährige auf Distanz zu halten. Die Frau wurde operiert, der Mann sitzt wegen Mordversuchs in der Justizanstalt Josefstadt.

„Keine Verbrechensbekämpfer“

Der Vorfall wurde von der Stationsüberwachung der Wiener Linien erfasst – das Videomaterial soll der Polizei nun dabei helfen, den genauen Tathergang zu klären. Das ist ein Beitrag, den die Wiener Linien schon in anderen Fällen leisteten – und in jüngster Zeit gab es derer einige. Als eine Reaktion auf die jüngsten Vorfälle wird die Videoüberwachung nun noch stärker ausgebaut. Darüber hinaus planen die Verkehrsbetriebe aber keine weiteren Maßnahmen. „Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass die Wiener Linien Verbrechensbekämpfer sind“, sagt Sprecher Dominik Gries. Es sei nicht möglich, dass man in jedem Beiwagen und jeder Station jemanden sitzen hat.

Mit der Videoüberwachung könne man aber Täter leichter ausforschen – und schon allein das Wissen, dass man beobachtet wird, habe eine verbrechensverhindernde Komponente. Insgesamt sei die U-Bahn sowieso ein verhältnismäßig sicherer Ort – „es ist hell, es sind viele Menschen unterwegs, es gibt viele Videokameras und mehrere Möglichkeiten, Hilfe zu holen“, sagt Gries. „Das hat man sonst im öffentlichen Raum nicht.“

„Nicht mehr Vorfälle in U-Bahn“

Eine Argumentation, die auch die Polizei nachvollziehen kann. Denn trotz der zuletzt bekannt gewordenen Fälle – U-Bahn-Stoßen, Vergewaltigungen, Schlägereien – sei es in der U-Bahn nicht unsicherer als sonst, das sei nur subjektive Wahrnehmung. „Zu Jahresende hatten wir nicht mehr Delikte in den öffentlichen Verkehrsmitteln als im Jahr zuvor“, sagt Thomas Keiblinger, Sprecher der Landespolizeidirektion Wien. Auch im Bundeskriminalamt bestätigt man, dass die Zahl der Raubüberfälle und Diebstähle in öffentlichen Verkehrsmitteln in den vergangenen Jahren tendenziell sogar gesunken sei.

Der Eindruck einer Kriminalitätswelle entstehe, so Keiblinger, weil nun jedes Verbrechen gleich mit der U-Bahn in Verbindung gebracht werde. „Wir haben es hier mit zwei extremen Verbrechen zu tun: Vergewaltigung und das U-Bahn-Stoßen. Der Rest, wie Schlägereien oder Handgreiflichkeiten, gehört für Wiener Polizisten zum Alltag.“ Soll heißen – diese Delikte finden an verschiedenen Orten statt, und einige davon eben auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch der Fall jenes Vergewaltigers, der im November und Dezember drei Opfer in der U6 ausgespäht hat, habe nichts mit der U-Bahn an sich zu tun. „Das ist täterabhängig“, so Keiblinger. „Dass dieser Täter seine Opfer dort aussucht, ist ein reiner Zufall. Fakt ist, dass immer der Weg vom öffentlichen Verkehrsmittel zum Haus oder zur Wohnung am gefährlichsten ist. Aber der Täter hätte seine Opfer genauso schon im Lokal oder von einem Auto aus aussuchen können.“

Ein subjektives Unsicherheitsgefühl in der U-Bahn mag nach den Vorfällen der vergangenen Wochen nachvollziehbar sein. Doch aus polizeilicher Sicht, so Keiblinger, sei die U-Bahn kein unsicherer Ort, „das ist derzeit vor allem eine Mediengeschichte“.

Gewalt in der U-Bahn

Am späten Samstagabend des 5. Jänner wurde in der Station Taborstraße eine Frau von einem 51-Jährigen vor die U-Bahn gestoßen. Diese Tat ist die jüngste einer ganzen Serie an Verbrechen in und um die Wiener U-Bahnen: Am 30. Dezember wurde in Ungarn ein Mann verhaftet, der Ende des Jahres drei Frauen in der U6 beobachtet, dann auf deren Heimweg überfallen, ausgeraubt und vergewaltigt haben soll.

In der Nacht auf Sonntag, den 23. Dezemberwurde eine 39-Jährige zum Opfer: Sie war um 3.30 Uhr in der U6 auf dem Heimweg, als eine junge Frau von zwei Männern angepöbelt wurde, die 39-Jährige griff ein, einer der jungen Burschen schlug zu, die 39-Jährige erlitt einen Oberkieferbruch.

Am 17. Dezember wurde eine 23-Jährige kurz nach 18 Uhr in einem leeren U6-Zug zwischen den Stationen Alt Erlaa und Philadelphiabrücke von einem 25-Jährigen misshandelt und vergewaltigt. Ende November ist es in der Station Handelskai zu einer Messerstecherei gekommen, ein 49-Jähriger stach einem 33-Jährigen im Streit in den Unterschenkel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2013)

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