Medienrecht

Teichtmeister und der Mordverdächtige

Experte Thomas Höhne erklärt im Interview, wann identifizierende Kriminalberichterstattung erlaubt ist.

Wien. „Den Mörder, der den Apotheker vergangene Woche erschlagen und dann noch eine junge Mutter getötet hat“, habe man nicht namentlich genannt, „dem (Kinderpornos sammelnden) Schauspieler“ aber hätten die Medien viel Platz mit Bildern und Namensnennung eingeräumt. Diese „Ungleichstellung“ störte einen „Presse“-Leser massiv. Er drückte damit das Unbehagen aus, das viele angesichts der medialen Berichterstattung über die kriminellen Aktivitäten des Schauspielers Florian Teichtmeister verspürten.

Warum wird unter Nennung seines vollen Namens, oft samt Foto, berichtet, dass Teichtmeister Zehntausende Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen gehortet haben soll, während ein in zwei Fällen Mordverdächtiger anonym bleibt?

„In dem Moment, in dem der Betroffene selbst beziehungsweise sein Anwalt – das ist gleichzusetzen – gegenüber einem Medium darüber spricht, ist die identifizierende Berichterstattung erlaubt“, erklärt Anwalt und Medienrechtsexperte Thomas Höhne im Gespräch mit der „Presse“. Und Teichtmeisters Rechtsvertreter Michael Rami hat im ORF-Interview das Einverständnis mit der Veröffentlichung klargemacht. Mehr noch: Er hat sogar ein Schuldbekenntnis ausgerichtet, sodass neben dem Anonymitätsschutz auch die Unschuldsvermutung zurückweicht.

Und wie wäre der Fall ohne Ramis Auftreten zu beurteilen? „Medien müssen immer eine Abwägung vornehmen zwischen dem Persönlichkeitsrecht und dem legitimen – nicht dem voyeuristischen – Interesse der Öffentlichkeit“, sagt Höhne. Dazu komme die „aktive Informationsfreiheit“ der Medien, die berichten wollten und müssten. „Und da wägen wir ab“, so Höhne. Dabei laute die Grundfrage: Wie hängt die Angelegenheit mit der Stellung der betroffenen Person in der Öffentlichkeit zusammen, insbesondere mit deren beruflicher Position?

Ein solcher Konnex fehle beim Schauspieler klar, wie auch beim Mordverdächtigen – ohne dass die Taten vergleichbar wären – die Öffentlichkeit nicht zu wissen brauche, wie er heiße und aussehe. Höhne bringt ein Gegenbeispiel eines überwiegenden öffentlichen Interesses fernab des Strafrechts: Wenn ein Bundespräsident im Wahlkampf mit seiner heilen Familie werbe, dann aber eine außereheliche Beziehung führe – wie es Thomas Klestil (2004 verstorben) tat –, dürften Medien darüber berichten. Sonst wären aber Liebesleben oder sexuelle Vorlieben auch von Politikern tabu.

Zusammenhang mit öffentlichem Leben

Auch in der Kriminalberichterstattung rechtfertigen laut Mediengesetz nur die Stellung von Tätern oder Verdächtigen in der Öffentlichkeit, „ein sonstiger Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben“ oder ein „aus anderen Gründen überwiegendes öffentliches Interesse“ einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte durch Preisgabe der Identität. Nichts von alldem kann Höhne bei jenem Motorbootunfall auf dem Wörthersee erkennen, bei dem ein Manager in privater Runde grob fahrlässig jemanden getötet hat. „Ihn nicht zu nennen hat dem Gesetz entsprochen“, meint Höhne. Ebenso wenig hätte die vormals weithin unbekannte Meinungsforscherin Sabine Beinschab, mittlerweile unfreiwillige Namensgeberin eines Tools für Umfragen zugunsten der Türkisen, zu Beginn der Ermittlungen gegen sie genannt werden dürfen. Sehr im Gegensatz zu ihrer damaligen Arbeitgeberin, Ex-Familienministerin Sophie Karmasin, die unter Betrugsverdacht steht.

Und wie steht es um die Namensnennung im Fall jenes Arzts und Bruders eines ehemals führenden ÖVP-Politikers, der wegen psychischer Misshandlung seiner Kinder verurteilt wurde? Höhne: „Die Verwandtschaft mit dem Politiker ist kein relevanter Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben, aber weil es um den ersten Ansprechpartner in Gesundheitsfragen einer Gemeinde ging, ließ sich eine identifizierende Berichterstattung schon argumentieren.“

Im Inzestfall Josef Fritzl wiederum, der ausgehend von Amstetten weltweit für Aufsehen sorgte, verbot anfangs schon der Schutz der Anonymität der im Keller eingesperrten und missbrauchten Angehörigen (sie heißen mittlerweile anders, Josef Fritzl im Gefängnis übrigens ebenfalls) die Namensnennung. Höhne kann auch im weiteren Verlauf dem Gesetz keine Rechtfertigung für eine Namensnennung entnehmen; in der Praxis geschah sie dennoch unwidersprochen. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liefert dafür ein gewichtiges Argument: Demnach kann „das Informationsinteresse der Öffentlichkeit insbesondere in Fällen überwiegen, in denen eine an sich schwere strafbare Handlung ein derart über den Durchschnittsfall hinausgehendes Aufsehen erregt, dass auch die Preisgabe der Identität des Betroffenen gerechtfertigt erscheint“ (15 Os 96/14b). Das kann aber nicht als Freibrief zur identifizierenden Berichterstattung dienen, wie der OGH gleich einschränkt: „Hiebei ist jedoch ein strenger Maßstab anzulegen, weil für das Verständnis des Tathergangs, für das Wissen, dass eine bestimmte Tat aufgeklärt werden konnte oder dass der Täter verurteilt wurde, das Wissen um die Identität des Betroffenen grundsätzlich nicht erheblich ist.“

Verletzungen des Persönlichkeitsschutzes können seit der Verschärfung des Mediengesetzes 2021 Entschädigungen bis zu 100.000 Euro nach sich ziehen. Zuletzt wurde die „Kronen Zeitung“ – nicht rechtskräftig – zu 96.000 Euro verurteilt: wegen Berichten über den angeblichen Selbstmordversuch eines Ex-FPÖ-Politikers, die – ohne Konnex zum öffentlichen Leben – auch allerlei Unwahrheiten enthielten.

ZUR PERSON

Thomas Höhne ist Rechtsanwalt in Wien und einer der führenden Experten des Medienrechts. Der ehemalige Assistent am − damals so genannten − Institut für Handels- und Wertpapierrecht ist seit 1984 Rechtsanwalt. Er ist Gründungspartner der Kanzlei Höhne, In der Maur & Partner und Mitautor des Praxiskommentars „Mediengesetz“ (LexisNexis).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2023)

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