EU-Beamte: Abwehrkampf gegen „Großen Bruder“

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Beamte des EU-Rats streiken und die EU-Kommission wehrt sich gegen eine Diktatur der Transparenz à la George Orwell bei der Offenlegung der Beamtengehälter.

Brüssel. Alle Räder stehen still, wenn unser starker Arm es will – dieses Leitmotiv der kämpfenden Arbeiterschaft hatte bei dem gestrigen Streik der Brüsseler Beamten nur bedingt Geltung. Zum einen, weil die Eurokraten nicht geschlossen auf die Barrikaden gingen, sondern ausschließlich die Mitarbeiter des Rats; und zum anderen, weil sich die Ratsbeamten bei ihrem Arbeitskampf betont umgänglich zeigten: Jene Journalisten, die Dienstagvormittag ihre Pässe für den am morgigen Donnerstag beginnenden EU-Gipfel abholen wollten, wurden ohne Murren bedient. Was wohl auch damit zu tun hatte, dass die Beamten des Rats rechtlich dazu verpflichtet sind, auch während eines Streiks „grundsätzliche Verwaltungsfunktionen“ wahrzunehmen – und dazu zählt offensichtlich auch die Vergabe von Pressekarten.

Den Beamten, die gestern ihre Keyboards niederlegten, um am frühen Nachmittag vor dem Ratsgebäude Transparente zu schwingen, ging es (wieder einmal) ums Geld. „Die Absicht, bei dem kommenden Gipfel das Budget der EU zu schrumpfen, gefährdet die Arbeit der EU-Beamtenschaft und bedroht die wirtschaftliche Erholung in Europa“ – so sieht es jedenfalls der Gewerkschaftsverband FFPE, der zum Streik aufgerufen hat. Der Zeitpunkt ist günstig, denn am Donnerstag und Freitag geht es in Brüssel um den neuen Finanzrahmen der Union, der in etwa eine Billion Euro ausmacht und die Ein- und Ausgaben der EU von 2014 bis 2020 fixieren soll. Und die Gewerkschafter treibt die Angst, dass die EU-Nettozahler bei dem Gipfel weitreichende Kürzungen im Brüsseler Etat durchsetzen könnten (die Presse berichtete am 5. Februar).

Öl ins Wahlkampffeuer

Für die streikenden Beamten mag die Gelegenheit optimal sein, aus politischer Perspektive hingegen ist das Timing alles andere als günstig. Denn in Italien und Deutschland stehen heuer Wahlen an, und Diskussionen um vermeintliche Zuckerln für Eurokraten drohen den Wahlkampf anzuheizen. Zu Wochenbeginn musste bereits ein Sprecher der EU-Kommission ausrücken, um klarzustellen, dass – anders als in deutschen Medien berichtet – kein europäischer Beamter mehr verdient als Bundeskanzlerin Angela Merkel, die inklusive Zulagen auf rund 25.000 Euro pro Monat kommt.

Ist Mario Monti ein EU-Pensionist?

Gestern wiederum war Italien an der Reihe – und zwar die (innenpolitisch durchaus brisante) Frage, ob der momentan wahlkämpfende Ministerpräsident Mario Monti als ehemaliger Kommissar der Union bereits eine EU-Pension bezieht oder nicht. Dem 69-Jährigen steht sie jedenfalls seit vier Jahren zu (Kommissare sind mit 65 Jahren pensionsberechtigt, EU-Beamte bereits mit 63 Jahren – eine Angleichung ist gemäß der EU-Kommission für 2036 vorgesehen). Was Mario Montis Ruhegehalt anbelangt, hüllte sich die Kommission am Dienstag jedenfalls in Schweigen: Man habe keine Informationen darüber, ob Monti bereits Euro-Pensionist ist, eine Verpflichtung zur Offenlegung aller Bezüge sowie der exakten Höhe aller Gehälter der EU-Beamtenschaft gebe es aber nicht. „Es muss einen klaren Trennstrich zwischen Rufen nach Transparenz und dem Roman ,1984‘ von George Orwell geben“, hieß es.

Von den Zuständen, die sich Orwell für den totalitären Überwachungsstaat des „Großen Bruders“ ausgedacht hatte, ist der europäische Verwaltungsapparat allerdings noch Lichtjahre entfernt – auch wenn die Kommission darauf hinweist, dass „jeder Hochschulabsolvent im Internet herausfinden kann, welche Verdienstmöglichkeiten er als EU-Beamter hätte“. Denn der Gehaltsvergleich lässt sich nicht so einfach anstellen – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die europäischen Funktionäre Anspruch auf Gratifikationen wie einen Schulgeldzuschuss von 1000 Euro pro Kind haben, die in den publizierten Einkommensklassen nicht aufscheinen.

Auf einen Blick

Der Disput um Gehälter der EU-Beamten wird im deutschen und italienischen Wahlkampf zum Thema. Zu Wochenbeginn musste die Kommission klarstellen, dass kein Eurokrat mehr verdient als Kanzlerin Angela Merkel. In Italien wiederum wird spekuliert, ob der ehemalige EU-Kommissar und jetzige Premier Mario Monti eine EU-Pension bezieht. Dem 69-Jährigen stünde sie jedenfalls zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2013)

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