Prognose

Steigende Reallöhne treiben Lohnstückkosten so stark wie seit 30 Jahren nicht mehr

Trotz hoher Inflation läuft das Geschäft in Dienstleistungsbetrieben wie der Gastronomie nach wie vor gut, so Wifo und IHS (Archivbild).
Trotz hoher Inflation läuft das Geschäft in Dienstleistungsbetrieben wie der Gastronomie nach wie vor gut, so Wifo und IHS (Archivbild). JOE KLAMAR
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Für die österreichischen Arbeitnehmer ist es eine gute Nachricht - für die Wirtschaft weniger. Heuer und 2024 werden die Reallöhne spürbar zulegen. Das treibt aber auch die Lohnstückkosten um zehn Prozent nach oben und senkt die Wettbewerbsfähigkeit, so die Prognosen von Wifo und IHS. Die Sachgüterproduktion ist bereits in der Rezession, während die Dienstleistungsbranchen noch zulegen.

Wien. „Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen. Man hätte früher Maßnahmen setzen sollen, die nicht nur die Symptome bekämpfen, sondern auch die Inflation.“ Mit diesen Worten fasst Wifo-Chef Gabriel Felbermayr am Mittwoch anlässlich der Präsentation der aktuellen Prognosen von Wifo und IHS die Diskussion über die sich zunehmend verselbstständigende Inflation zusammen. War diese ursprünglich durch importierte Energiepreise getrieben, so sind es nun inländische Kosten - etwa durch gestiegene Gewinnmargen in manchen Branchen oder die nun allgemein hohen Lohnrunden -, die die Preise treiben. Aufrufe der Ökonomen zur allgemeinen Mäßigung - bei Preisen und Löhnen - sind dabei ungehört verhallt. In den im Herbst anstehenden Lohnrunden dürfte es neuerlich zu kräftigen nominellen - und aufgrund der langsam schwächer werdenden Inflation - auch spürbaren realen Lohnzuwächsen kommen.

Felbermayr gibt dabei auch indirekt Finanzminister Magnus Brunner Recht, der am Dienstagabend davon sprach, dass sich Österreich bereits in einer Lohn-Preis-Spirale befinde. „Jeder versteht unter diesem Terminus etwas anderes. Wenn er damit die simple Tatsache meint, dass die steigenden Löhne die Kosten erhöhen und somit auch die Preise weiter steigen, dann hat er mit dieser Art von Spirale Recht.“ Es handle sich jedoch nicht um eine Spirale in dem Sinn, dass die Gewerkschaften „vorausschauend“ höhere Löhne verlangen würden.

Und auch die von Brunner genannte Zahl von 0,3 Prozentpunkten zusätzlicher Inflation je Prozentpunkt höherer Löhne, können die Ökonomen von Wifo und IHS nachvollziehen, da sie aus einer Studie der Nationalbank stamme. Laut Felbermayr könnte dieser Umlegungsfaktor aber sogar noch zu gering prognostiziert sein, da die Berechnungen aus einer Niedriginflationsphase seien. Klar sei jedoch, dass nur ein Teil der Lohnsteigerungen auch wirklich in den Preisen lande, so IHS-Direktor Klaus Neusser. Ein Teil davon werde auch die Margen der Unternehmen reduzieren.

Netto-Reallöhne steigen heuer um zwei Prozent

Für die Arbeitnehmer sind die Prognosen der Ökonomen natürlich freudige Nachrichten. So sollen die nominellen Bruttolöhne heuer um 8,2 und 2024 um 7,2 Prozent steigen. Netto und real würde dies ein Plus von zwei Prozent heuer und 3,4 Prozent im kommenden Jahr ergeben. Weniger gut ist die Nachricht jedoch für die heimischen Unternehmen, deren Lohnstückkosten sich laut Wifo heuer um zehn Prozent erhöhen werden. Der höchsten Zuwachs in 30 Jahren. Dies werde jedenfalls einen Verlust von Marktanteilen in der Exportwirtschaft bringen. „Die Kehrseite der Lohnsteigerungen ist eine verringerte Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Felbermayr. Und das sei kein triviales Thema, da 60 Prozent der nominellen Nachfrage aus dem Ausland kommen.

Die heimische Industrie trifft dieser Lohnstückkosten-Schock zur Unzeit. Denn bei dieser ist die Rezession schon da. Denn sowohl die Industrie als auch die Bauwirtschaft sind im ersten Halbjahr 2023 geschrumpft, wie aus den Prognosen hervorgeht.

Grund für die Probleme in diesem für die Gesamtwirtschaft so wichtigen Bereich sind einerseits die hohen Energiepreise, die zu einem „Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit“ geführt haben, wie das Wifo schreibt. Andererseits gibt es auch international eine Abschwächung, vor allem bei Österreichs wichtigem Handelspartner Deutschland. Die deutsche Wirtschaft wird heuer wohl generell in eine Rezession verfallen.

Kleines Plus für Gesamtwirtschaft

Dies bleibt Österreich erspart. Das Wifo rechnet für das Gesamtjahr mit einem kleinen Plus von 0,3 Prozent, das IHS ist mit 0,5 Prozent Zuwachs sogar noch etwas optimistischer. Grund dafür ist der Dienstleistungsbereich, der etwa bei Tourismus und Gastronomie aber auch in anderen Bereichen sich auch heuer über neuerlich kräftige Zuwächse freuen darf. „Die heimische Wirtschaftsentwicklung ist zweigeteilt“, heißt es in der Wifo-Prognose konkret. Und diese Aufteilung bleibe vorerst auch aufrecht.

Denn während es bei den Dienstleistungen aufgrund eines weiterhin hoch bleibenden privaten Konsums zu keiner nennenswerten Eintrübung kommt, müssen Industrie und Bau noch länger durch das Tal der Tränen. Vor allem letzterer leidet auch stark unter der Geldpolitik der EZB, die zur Inflationsbekämpfung die Zinsen kräftig auf inzwischen vier Prozent angehoben hat. Das soll Investitionen weniger attraktiv machen und so den Preisauftrieb reduzieren. Eine Therapie, die aber auch Nebenwirkungen hat. Etwa für den Bau, wo vor allem im Wohnbau die Vorhaben deutlich zurückgegangen sind, wie die Zahlen der Baubewilligungen zeigen, heißt es in der IHS-Prognose.

Konsumenten sind spendierfreudig

Auf der anderen Seite kann der Dienstleistungssektor weiterhin von der Ausgabenfreudigkeit der Endverbraucher profitieren. Diese wird zwar zunehmend durch die hohe Inflation getrübt. Noch haben die Menschen aber immer noch genügend Geld zur Verfügung, um trotz der stark gestiegenen Preise Restaurantbesuche oder andere Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. „Haushalte, die nicht mit unmittelbaren Liquiditätseinschränkungen konfrontiert sind“, dürften 2023 ihre Konsumausgaben sogar erhöhen, heißt es beim Wifo. Denn der negative Realzins verringere den Anreiz zum Sparen und rege zum Abbau von Ersparnissen an.

Dass die Menschen genügend Geld in ihren Börsen haben, dafür sorgten bisher auch die hohen Lohnrunden, die auch im europäischen Vergleich überdurchschnittlich stark ausgefallen sind, wie jüngst auch die Nationalbank bei ihrer Prognose anmerkte. Und damit dürfte es trotz aller Aufrufe zur Lohnzurückhaltung auch weitergehen. Denn wie eingangs erwähnt, prognostiziert das Wifo für heuer eine Steigerung der Bruttolöhne und -gehälter um 8,2 Prozent. Im kommenden Jahren soll es immer noch ein Plus von 7,2 Prozent sein. Das IHS geht von leicht geringeren Zuwächsen aus.

Inflation bleibt hartnäckig

Die hohen Lohnrunden sorgen allerdings auch für einen anhaltenden Aufwärtstrend bei der Kerninflation (Teuerung ohne volatile Produkte wie Energie und Lebensmittel). Diese wird zunehmend zum bestimmenden Faktor der Inflation, während die Energiepreise weiterhin sinken. „Allerdings mehren sich die Hinweise auf eine Entspannung“, schreibt das Wifo. So habe sich etwa die Erzeugerpreisinflation zuletzt stark abgeschwächt. In Summe soll die Inflation heuer dennoch bei 7,5 Prozent und 2024 bei 3,8 Prozent liegen. Das IHS geht von 7,5 Prozent und 4,0 Prozent aus.

Die schwächelnde Wirtschaft sorgt heuer auch für etwas, das es schon seit längerem nicht mehr gegeben hat: einen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Weil das Arbeitskräfteangebot – auch aufgrund von Flüchtlingen aus der Ukraine – weiterhin spürbar steigt, werde der Beschäftigungszuwachs nicht mehr ausreichen, um einen weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit zu ermöglichen. Die Arbeitslosenquote soll daher von 6,3 im Jahr 2022 auf 6,4 (Wifo) bzw. 6,5 (IHS) Prozent wieder leicht ansteigen.

EZB als größter Risikofaktor

All diese Prognosen sind jedoch ohne das Schlagendwerden von bestehenden Risiken. Und hier wurde der Krieg in der Ukraine nun von möglichen Turbulenzen durch die starken Zinserhöhungen als wichtigstes Risiko abgelöst. Konkret sei es nicht auszuschließen, dass es zu Verwerfungen im europäischen Bankensektor komme. Und auch stark sinkende Immobilienpreise könnten einen plötzlichen Anpassungsprozess auslösen, der bei kreditfinanzierten Immobilien Bewertungsänderungen für die Kreditsicherheiten nach sich ziehen könnte, die zu einer allgemein geringeren Kreditvergabe führen würden.

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