Analyse

Wieso der Konvoi der Wagner-Söldner nicht einfach aus der Luft zerschlagen wurde

Teile der Wagner-Kolonne in aufgelockerter Fahrt nahe Woronesch. Im Hintergrund Rauch nach der Explosion eines Öldepots.
Teile der Wagner-Kolonne in aufgelockerter Fahrt nahe Woronesch. Im Hintergrund Rauch nach der Explosion eines Öldepots.Reuters / Stringer
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Die rebellischen Wagneriten fuhren am Samstag Hunderte Kilometer Richtung Moskau. Am Boden gab‘s mangels rückwärtiger Kräfte kaum Gegenwehr, aber Russland hat doch eine große Luftwaffe. Dass die Söldner ihre Gewaltfahrt überlebten, hat mehrere Gründe. Darunter ihre Flugabwehr.

Das Verhältnis zwischen Luft und Land ist in militärischer Hinsicht seit dem Zweiten Weltkrieg ziemlich zu Ungunsten des Letzteren gekippt. Deutsche Bomber schossen Fahrzeuge, Fahrzeuggruppen und ganze Konvois auf Straßen etwa in Polen, Frankreich, Serbien und Russland zusammen; ab 1943, als die Alliierten immer mehr die Luftherrschaft errangen, stieß das umgekehrt deutschen Fahrzeugen und Konvois zu. Im Sommer 1944, während der Schlacht in der Normandie nach der alliierten Landung dort, konnten sich ganze deutsche Regimenter und Divisionen einschließlich der wertvollen Panzereinheiten bei Tag kaum noch bis gar nicht mehr bewegen, ohne von Jagdbombern attackiert zu werden.

Ähnlich sah es etwa in den Nahostkriegen zwischen Israel und arabischen Ländern aus (vor allem 1967 und 1973) und erreichte im Golfkrieg 1990/91 angesichts der Luftherrschaft der westlichen Interventionstruppen und der schwachen irakischen Flugabwehr einen Höhepunkt.

Dessen grausamste Spitze war der „Highway of Death“: Ende Februar 1991 flohen Zehntausende Iraker, darunter waren aber auch Gefangene und zivile Flüchtlinge, mit Abertausenden Fahrzeugen aller Art, vom Pkw bis zum Kampfpanzer, in Kuwait über die Fernstraße 80 nach Norden Richtung Basra. Dann griffen amerikanische, britische, französische und kanadische Flugzeuge und Hubschrauber an, dazu da und dort Bodentruppen. Es gab ein Gemetzel. Am Ende waren 2000 bis 3000 Fahrzeuge zerstört oder aufgegeben worden und wohl mehr als 500 Iraker tot, vermutlich sogar mehr als 1000. Die Zahl ist unklar, da viele Leichen verbrannten. Allein an einer bestimmten Stelle, dem Mutla-Grat, einer Erhöhung in der Wüste, standen mindestens 300 liegengebliebene Fahrzeuge hintereinander, man nannte das „Meile des Todes“.

Der Highway of Death nördlich von Kuwait-City, Februar 1991.
Der Highway of Death nördlich von Kuwait-City, Februar 1991. Capt. R.J. Worsley/US Central Command/gemeinfrei

Als vorigen Samstag in Südrussland bzw. der besetzten Ukraine die Söldnerarme Wagner unter ihrem Führer, Jewgeni Prigoschin, revoltierte und zunächst Rostow am Don besetzte, rollte bald auch ein langer Konvoi über die Autobahn M4 Richtung Moskau. Von Rostow ins Zentrum Moskaus sind es etwa 1080 Kilometer.

Es waren mehrere Kolonnen, die Sache ist kompliziert, weil die „Wagneriten“ schon über mindestens zwei Achsen aus den Regionen Donezk/Luhansk ins russische Kernland eingefahren waren und sich dort nicht zu einem einzigen Konvoi formierten. Es waren also mehrere Kolonnen, oder „Marschpakete“, wobei jenes an der Spitze mehr als 100 Fahrzeuge zählte - großteils Lkw, Kleinlaster und Pick-ups, aber auch minensichere Geländewagen, gepanzerte Mannschaftstransporter und Kampfpanzer auf Tiefladern.

Es waren mehrere Marschpakete

Dieses und andere Marschpakete, man vermutet darin insgesamt etwa 5000 Kämpfer Prigoschins, fuhren also praktisch ungehindert nach Norden. Es gab nur vereinzelte Scharmützel mit Armee- und Nationalgardeeinheiten. Und am selben Abend war alles wieder vorbei: Etwa 200 Kilometer vor Moskau stoppte Prigoschin seine Truppen. Der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, hatte einen Abbruch der Aktion vermittelt. Prigoschin bekam Exil in Belarus, seine Söldnerarmee wird weitgehend aufgelöst, kann nach Belarus ziehen oder sich der russischen Armee anschließen. Doch das ist eine andere bizarre Geschichte.

Wagner-Einheiten bei ihrem Abzug aus Rostow nach dem Ende des Aufstands, durchaus bejubelt von Schaulustigen.
Wagner-Einheiten bei ihrem Abzug aus Rostow nach dem Ende des Aufstands, durchaus bejubelt von Schaulustigen.APA / AFP / Roman Romokhov

Hier ist die Frage: Wieso wurden der bzw. die Konvois angesichts des offenkundigen Fehlens kampfstarker und/oder kampfeswilliger Militär- und Polizeieinheiten im russischen Hinterland nicht einfach aus der Luft zerschlagen, wie man es aus früheren Kriegen her kennt? Russland hat eine sehr große Luftwaffe mit (samt Marine) etwa 1500 Kampfflugzeugen aller Art, dazu etwa ebenso viele Kampfhubschrauber und leicht bewaffnete Hubschrauber. Die Straße nach Moskau führt weitgehend ungeschützt über flaches Land und in breiten, offenen Schneisen durch Waldstücke. Jedes Wagner-Fahrzeug dort war sozusagen auf dem Präsentierteller für Luftangriffe, zumal sich auch Fliegerhorste in der Gegend befinden.

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