Personalabbau

Nach 320 Jahren: „Wiener Zeitung“ erscheint zum letzten Mal

ALEX HALADA/AFP
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Die bislang älteste Tageszeitung der Welt wird als Onlinemedium unter Leitung von Katharina Schmidt und Sebastian Pumberger mit deutlich kleinerem Team fortgeführt. Die Abschlussausgabe ist „von Nostalgie getragen“, beim letzten Druck war die Rede von Wut und Trauer.

Die „Wiener Zeitung“ ist am Freitag ein letztes Mal als gedruckte Tageszeitung erschienen. Erstmals kam sie am 8. August 1703 - damals noch als „Wiennerisches Diarium“ - auf den Markt und galt damit als älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. Künftig wird das republikseigene Blatt primär als Onlinemedium geführt, wobei die Redaktion deutlich auf ca. 20 Personen schrumpft. Die Umstellung basiert auf einem Gesetz der Regierung, das für heftige Kritik sorgte.

Am Donnerstagabend wurden in der Druckerei Herold im 3. Wiener Gemeindebezirk zum letzten Mal für die „Wiener Zeitung“ die Druckmaschinen angeworfen. Ein letztes Mal ratterten die Zeitungen bei gehörigem Lärm durch die Halle und wurden abgepackt. Viele aus der Belegschaft waren anwesend, darunter Thomas Seifert und Judith Belfkih, die die Redaktion zuletzt interimistisch geleitet hatten.

Mit Blick auf den Entschluss der Regierung spricht Seifert von einem „medienpolitischen Vandalenakt kulturloser Barbaren“. Er empfinde eine Mischung aus Wut, Wehmut und Trauer über das Ende von 320 Jahren Zeitungsgeschichte. Die Regierung habe es verabsäumt, einen Käufer zu finden. Auch Ex-Chefredakteur Walter Hämmerle war anwesend. „Was für ein unglaublich sinnloses Unterfangen. Ich glaube, die Entscheider ahnen, dass es sich um eine monumentale Fehlentscheidung handelt, diese lange Tradition einfach einzustellen“, sagte er.

„Von Nostalgie getragen“

„Die letzte Ausgabe ist von Nostalgie getragen. Wir erinnern an die lange Geschichte der Zeitung und verneigen uns vor den Leserinnen und Lesern“, so Seifert. Auf der weitgehend weißen Titelseite wird anhand mehrerer Zahlen die Geschichte der Zeitung vor Augen geführt: „116.840 Tage, 3.839 Monate, 320 Jahre, 12 Präsidenten, 10 Kaiser, 2 Republiken, 1 Zeitung“. Im Blattinneren finden sich etwa Interviews mit den zwei Altkanzlern Franz Vranitzky und Wolfgang Schüssel oder auch Arnold Schwarzenegger. Ex-Bundespräsident Heinz Fischer erweist der „Wiener Zeitung“ seine letzte Reverenz, und die Redakteurinnen und Redakteure verabschieden sich mit Kurztexten. Die Auflage wurde für die letzte Ausgabe auf 50.000 Stück weit über das Normalniveau aufgestockt. Der Umfang wurde ebenfalls erweitert.

Anlass für die Gesetzesänderung durch die schwarz-grüne Bundesregierung war, dass die Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt der „Wiener Zeitung“ wegfallen, womit der Großteil des Umsatzes der Wiener Zeitung GmbH wegbricht. Die Veröffentlichungen der Unternehmen erfolgen künftig digital. Pro Jahr sind 16,5 Millionen Euro aus dem Budget für die Wiener Zeitung GmbH vorgesehen. 7,5 Millionen Euro davon sind für die Redaktion reserviert, 6 Millionen Euro für einen „Media Hub Austria“, der eine praxisorientierte Journalismusausbildung bieten soll.

Neuer Onlineauftritt, markanter Personalabbau

Der neue Onlineauftritt der „Wiener Zeitung“ startet morgen, Samstag. Als interimistische Redaktionsdoppelspitze agieren dafür Katharina Schmidt und Sebastian Pumberger, teilte das Medienhaus am Freitag mit. Schmidt, Jahrgang 1983, ist seit 17 Jahren bei der „Wiener Zeitung“ tätig und hat zuletzt die Produktentwicklung für die neue „Wiener Zeitung“ verantwortet. Davor betätigte sie sich etwa als Innenpolitikredakteurin. Pumberger wechselt vom „Profil“, wo er an der digitalen Transformation des Nachrichtenmagazins arbeitete, zur „Wiener Zeitung“. Zuvor war er beim „Standard“ als Chef vom Dienst für derstandard.at tätig.

„Die neue ‚Wiener Zeitung‘ erhält die Aufgabe, Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken“, hielt „Wiener Zeitung“-Geschäftsführer Martin Fleischhacker fest. Punkten wolle man mit „lösungsorientiertem Journalismus und Datenjournalismus“. Auf Tagesaktualität werde bewusst verzichtet, andere Medienhäuser sehe man nicht als Konkurrenz.

Mit der Umstellung geht ein markanter Personalabbau einher. Unternehmensweit sind insgesamt 63 Vertragsauflösungen geplant, davon 35 aus der Redaktion. Die Chefredaktion geht und auch drei Belegschaftsvertreter werden freigestellt. Künftig werden ungefähr 20 Personen ständig in der Redaktion beschäftigt sein. Die Gewerkschaft GPA zeigte sich über den „personellen Kahlschlag“ empört und kündigte an, speziell gegen die Kündigungen der Belegschaftsvertreter, die „jetzt massiv unter Druck gesetzt werden“, mit rechtlichen Mitteln vorzugehen.

Im Gesetz ist nach Maßgabe der finanziellen Mittel Spielraum für eine Printausgabe der „Wiener Zeitung“ vorgesehen. „Es ist geplant, dass die erste Printausgabe mit Jahresbeginn 2024 erscheint. Das Produkt und Erscheinungsintervall befinden sich in Entwicklung“, so Fleischhacker. Auch künftig soll es ein Redaktionsstatut geben, das die Unabhängigkeit sicherstellt. Auch werde ein wissenschaftlicher Beirat eingerichtet, so der Geschäftsführer.

„Ein Tiefpunkt in der Medienpolitik“

Bei Branchenvertretern sorgte nicht nur die Einstellung der Printtageszeitung für Kritik, sondern auch der „Media Hub Austria“. So befürchtete etwa der Presseclub Concordia eine „einschneidende Verstaatlichung journalistischer Aus- und Fortbildung“ in Weisungslinie des Bundeskanzleramts. Fleischhacker bezeichnet diese Bedenken als substanzlos. So werde die Unabhängigkeit durch einen Beirat sichergestellt und führe die angestrebte breite Basis an Kooperationspartner zusätzlich zu Transparenz, meinte er.

Der Presseclub Concordia sprach angesichts der Einstellung der Tageszeitung von einem „unwürdigen Ende“ und einem „undurchsichtigen Neustart“. „Dieses Gesetz ist ein Tiefpunkt in der schon bisher nicht sehr hochstehenden Medienpolitik dieses Landes“, so Concordia-Präsident Andreas Koller. Die Republik als Eigentümerin hätte die moralische Verpflichtung gehabt, ein tragfähiges Zukunftskonzept zu entwickeln.

SPÖ-Chef Andreas Babler ortete einen „bitteren Tag für Österreich als Medienstandort und Kulturland“. Er wolle diesen „medienpolitischen Skandal“ nicht akzeptieren und betonte, Mittel und Wege zu suchen, um die „Wiener Zeitung“ als gedruckte Tageszeitung zurückzuholen, sobald man wieder in Regierungsverantwortung sei. Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter sprach von einem „Totalversagen der Regierung“. Die älteste Tageszeitung der Welt sei gestorben, um als PR-Maschine der Regierung Wiederauferstehung zu feiern. „Das ist ein weiterer großer Schritt in Richtung Mediensystem a la Orbán.“

Nun „Die Presse“ die älteste erscheinende Tageszeitung

Mit der Einstellung der „Wiener Zeitung“ schrumpft die Zahl der Tageszeitungen hierzulande auf 13. Das Zepter für die älteste Tageszeitung Österreichs übernimmt „Die Presse“. Sie erschien erstmals 1848 und feiert demnächst ihr 175-jähriges Bestehen. Weltweit betrachtet ist ab 1. Juli die „Hildesheimer Allgemeine Zeitung“ neue älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. Die erste Ausgabe der deutschen Zeitung kam am 24. Juni 1705 auf den Markt und damit mehr als ein Jahr später als die „Wiener Zeitung“.

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