175 Jahre „Die Presse“

Die Reizfigur Anna Schneider

Anna Schneider
Anna SchneiderManu Gruber
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Die 32-jährige Anna Schneider schaffte in der deutschen Medienlandschaft den Durchbruch. Der „Presse“ erzählt sie, warum ihr der so in Österreich nicht gelungen wäre.

Wer erfahren will, was anders ist am deutschen Journalismus, kann mit Anna Schneider in den Lift einsteigen. Stockwerk um Stockwerk geht es nach oben, zur Dachterrasse mit der Blumenwiese, dem Blick auf den Berliner Fernsehturm, das Brandenburger Tor, Checkpoint Charlie. Der niederländische Stararchitekt Rem Koolhaas hat den Flaggschiff-Bau für den milliardenschweren Axel-Springer-Verlag entworfen, das größte Verlagshaus Deutschlands.

„Das Raumschiff“ nennt Schneider das Gebäude, in dem sie seit zwei Jahren arbeitet. Außer ihr sage das zwar niemand so. Aber sie versuche nun, das Wort unter ihren deutschen Kollegen durchzusetzen, scherzt sie. Und mit dieser Episode ist im Kleinen schon ein bisschen etwas erzählt über das Phänomen Anna Schneider.

Die Österreicherin hat Karriere damit gemacht, ihre Meinung in die deutsche Medienlandschaft zu stellen. Dabei geht es meist um Kontroversielleres als einen Spitznamen für ein Haus. Anna Schneider ist in Deutschland eine Reizfigur. Sie ist zu Gast in den großen Polit-Talkshows. In den sozialen Medien wird sie angefeindet. Ihr Gesicht tauchte auf einem inszenierten Fahndungsplakat auf, das der Satiriker Jan Böhmermann für eine seiner Sendungen entwerfen ließ. „In Deutschland ist die linke Medienblase schon noch einmal fünf Dezibel lauter, vor allem mit dieser moralischen Inbrunst“, sagt sie.

„Ich mache gern Leserverwirrung“

Die Marke Anna Schneider entstand, wo komplexe Themen auf wenige Sätze reduziert werden, auf Twitter. Dort arbeitet sie sich an Kulturkämpfen ab: Gendern, sexuelle Identität, Klimawandel, Fleischessen, den Grünen – alles, was laut ist. Ohne die US-Plattform wäre sie nicht in Berlin, hätte sie nicht diese Karriere in Deutschland hingelegt, glaubt die 32-Jährige. Die beginnt mit einem Jobangebot aus dem Berliner Büro der „Neuen Zürcher Zeitung“ („NZZ“). Den „Liberalo-Helden“, wie Schneider das Schweizer Medienhaus nennt. Dort seien sie wegen ihrer Tweets auf die studierte Juristin aus Wien aufmerksam geworden. „Wenn man sich die journalistische Entwicklung anschaut, merkt man, dass einzelne Menschen größer werden als die Marke, für die sie arbeiten. Bei mir weiß jeder: Das ist Anna Schneider“, sagt Anna Schneider.

Sie hätte bei den Schweizern bleiben können, sagt sie, „eine klassische Journalistenkarriere anstreben“ und „fünf Nannen-Preise für meine tollen Reportagen“ gewinnen können. Stattdessen ging sie im Sommer 2021 zum Axel-Springer-Blatt „Welt“. Dort ist sie vom journalistischen Alltag entbunden (Jobtitel: „Chefreporterin Freiheit“, bezeichnet sich als Kolumnistin („Meinungsjournalistin ist ein bisschen ein blödes Wort“). In Kommentaren hält sie ihre Lesart des Liberalismus hoch („Ich sag‘ manchmal brutalliberal zum Spaß“). Eine junge Frau, die gegen das Gendern schreibt. Für Abtreibungen. Gegen die Impfpflicht. Und ihre tätowierten Arme nicht verbirgt.

„Ich mache gern Leserverwirrung“, sagt sie. „Ich kriege Shitstorms abwechselnd von links oder rechts, sitze in der Mitte und bin ganz glücklich.“ Die Zuschreibung von außen, im Kern eine Rechte zu sein, kennt sie noch aus Österreich, als sie nach drei Jahren als Referentin im Parlamentsklub der Neos bei der mittlerweile eingestellten Rechercheplattform Addendum des verstorbenen Red-Bull-Milliardärs Dietrich Mateschitz anfing. „Da haben auch alle gedacht: O mein Gott, die kriegen Geld vom Mateschitz, das muss ja zum Nazi-Medium werden“, sagt sie. Als sie den Vorwurf des zu lauten Beifalls von rechts bei „NZZ“ oder „Welt“ wieder hörte, war sie abgestumpft. „Ein Argument wird nicht schlecht, weil Leute es beklatschen, die ich nicht mag“, sagt sie. „In Deutschland ist das ganz schlimm, was die AfD angeht. Politiker glauben, sie dürfen Sachen nicht sagen, weil die AfD die gesagt hat.“

„Für jede Talkshow pures Gold“

Dass in Deutschland manches ernster genommen wird als in Österreich, merkte Schneider aber auch an anderer Stelle: Nachdem sie bei der „Welt“ begonnen hatte, durchleuchtete ein Medienjournalist einen ihrer ersten Artikel. Er fand Falsches, die „Welt“ korrigierte den Text an mehreren Stellen. „Das war kein ungerechtfertigter Angriff“, sagt Schneider. „Da sind echt Fehler passiert, mir auch.“

In die deutschen Talkshows wurde die Meinungsmacherin trotzdem eingeladen. „Junge Frau, nicht links, das ist in der Medienblase für jede Talkshow pures Gold“, sagt Schneider. „Ich weiß um diese Dinge, die mir angeboren sind und für die ich nichts kann. Ich kann nur was für meine Klappe.“ Sie habe ihre Position aber nie danach ausgerichtet, für eine Talkshow gebucht zu werden. Die „brutalliberale“ Nische, sie ist ihre Überzeugung.

Ob Schneider damit in Deutschland – das sie als „ein bisschen spaßbefreit“ empfindet – eher auffallen und damit auch aufregen konnte? „Die Bühne ist größer, es knistert viel mehr“, sagt die 32-Jährige. „Wenn meine linken Kollegen glauben, sie sehen das neue Böse, so AfD-mäßig, dann regt die das furchtbar auf. Ich spiele nicht damit, aber es zeigt, dass Platz für eine Position gelassen wurde, die nicht rechts ist, die sie nicht recht einordnen können.“

Der Aufzug fährt wieder nach unten. In den Redaktionsräumen der Springer-Medien rumort es: Chats mit den politischen Ansichten des Vorstands landeten in der Öffentlichkeit. Das Geld ist knapp, bei der „Welt“ steht ein Stellenabbau an. „Print is deader than dead“, sagt Schneider. Sie sieht die Zukunft in Video, der Mensch als Marke werde wichtiger. Ob es Anna Schneider bald auf YouTube zu sehen gibt? „Schau‘ ma mal“, sagt sie. In Deutschland bedeutet dieser Satz eher Ja, in Österreich eher Nein.

Anna Schneider

wuchs im Waldviertel auf, ging zum Studium nach Wien und vor vier Jahren nach Berlin. Sie arbeitet als „Chefreporterin Freiheit“ für die „Welt“.

Jubiläum

Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

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