Vilnius

Selenskij bei Nato-Gipfel eingetroffen: „Beispiellos und absurd, wenn es keinen Zeitplan gibt“

Gruppenbild - noch ohne Schweden und Ukraine - beim Auftakt zum Nato-Gipfel in Vilnius.
Gruppenbild - noch ohne Schweden und Ukraine - beim Auftakt zum Nato-Gipfel in Vilnius.Imago / Celestino Arce Lavin
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Der ukrainische Präsident fordert einen klaren Zeitplan für sein Land in die Nato. Doch das Bündnis setzt beim Gipfel in Vilnius auf andere Signale. Deutschland und Frankreich sichern Waffenlieferungen zu. Russland warnt deswegen erneut vor einem direkten Konflikt.

Das Flugzeug des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij ist auf dem Flughafen von Vilnius gelandet. Selenskj wird also nach am Gipfel der Nato-Staats- und Regierungschefs teilnehmen. Doch mit welchen Erfolgsmeldungen er in Richtung Kiew wieder abreisen wird können, ist unklar. Der Weg in die Nato für sein Land ist noch ein weiter. Es wird wohl symbolische Schritte in Lettland geben. Selenskij wünscht sich eine konkrete Einladung für sein Land, dürfte sie aber wegen des Widerstandes von Ländern wie Deutschland und den USA erst einmal nicht bekommen.

Mit Beratungen über die weitere Unterstützung der Ukraine und den Ausbau der Verteidigung gegen Russland hat am Dienstag der zweitägiger Nato-Gipfel begonnen. Zu dem Treffen in der litauischen Hauptstadt Vilnius werden neben US-Präsident Joe Biden und den anderen Staats- und Regierungschefs der 31 Nato-Staaten auch zahlreiche Gäste erwartet.

Die Ukraine sollte nach Auffassung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg jetzt ein deutliches Signal für eine Aufnahme in die transatlantische Allianz erhalten. „Die Ukraine ist einen langen Weg gegangen“, sagte Stoltenberg am Dienstag vor Beginn des Nato-Gipfels in Vilnius. Daher sollte das Bündnis auf den sonst üblichen Membership Action Plan (MAP) zur Heranführung von Beitrittskandidaten im Fall der Ukraine verzichten. „Die Ukraine ist sehr viel näher an der Nato, insofern sollte sich dies auch in den Entscheidungen der Nato widerspiegeln“, betonte Stoltenberg.

Stoltenberg wertet die voranschreitende Erweiterung des Verteidigungsbündnisses als Zeichen für ein Scheitern der Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin. „Er zog in den Krieg, weil er weniger Nato wollte. Er bekommt mehr Nato“, sagte der Norweger. Dass Finnland schon Mitglied sei und Schweden nun Mitglied werde, zeige, dass Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ein „großer strategischer Fehler“ gewesen sei. Er habe sowohl die Ukrainer und die Geschlossenheit der Nato als auch die politischen Konsequenzen in Ländern wie Schweden und Finnland unterschätzt.

Selenskij sieht die Ukraine auf Nato-Kurs 

Auch nach Angaben des litauischen Nato-Botschafters wird die Ukraine in Vilnius keine Einladung in die westliche Allianz erhalten. Es werde keine Einladung geben, sagte Deividas Matulionis am Dienstag im litauischen Radio. „Aber es wird ein viel klareres Verfahren eingeführt, wie diese Einladung zustande kommen könnte, wenn die Bedingungen stimmen.“

»Es ist beispiellos und absurd, wenn es keinen Zeitplan gibt, weder für die Einladung noch für die Mitgliedschaft der Ukraine.«

Wolodymyr Selenskij

Ukrainischer Präsident

Selenskij selbst nannte es „absurd“, sollte die Nato seinem Land keinen klaren Zeitplan für einen Beitritt zur transatlantischen Militärallianz anbieten. „Es ist beispiellos und absurd, wenn es keinen Zeitplan gibt, weder für die Einladung noch für die Mitgliedschaft der Ukraine“, erklärt Selenskij in den sozialen Medien. „Und zugleich gibt es vage Formulierungen über Bedingungen, sogar für eine Einladung der Ukraine“, schreibt er weiter. Ein Zögern der Nato würde Russland nur dazu motivieren, „den Terror fortzusetzen“. Gleichwohl werde er zu dem Nato-Gipfel in der litauischen Hauptstadt Vilnius reisen. „Unsicherheit ist Schwäche“, betont Selenskij. „Ich werde das offen ansprechen bei diesem Gipfel.“

Dennoch zeigte sich der ukrainische Präsident vor dem Gipfel in Vilnius zuversichtlich. Sein Land werde dem Militärbündnis nach Ende des russischen Angriffskriegs angehören. Der Gipfel in Vilnius müsse bestätigen, dass die Ukraine de facto Mitglied des Militärbündnisses sei. „Auch wenn unterschiedliche Positionen geäußert werden, ist es immer noch offensichtlich, dass die Ukraine es verdient, im Bündnis zu sein. Nicht jetzt – jetzt ist der Krieg, aber wir brauchen ein klares Signal“, sagte er in einer am Montagabend in Kiew verbreiteten Videobotschaft. „Die Mehrheit der Allianz ist eindeutig für uns.“

Deutschland liefert weitere Waffen und Munition, Frankreich Langstreckenraketen

Stoltenberg ist jedenfalls überzeugt, „dass die Verbündeten zur Frage einer Mitgliedschaft bekräftigen werden, dass die Ukraine ein Mitglied werden wird.“ Er erwartet vom Gipfeltreffen in Litauen zudem auch ein Signal für eine stärkere Unterstützung der Ukraine. Besonders wichtig sei es, die weitere Versorgung der Ukraine mit Munition zu sichern, sagte er.  Deutschland gab bereits weitere Unterstützung bekannt: Es liefert der Ukraine weitere Waffen und Munition im Wert von knapp 700 Millionen Euro. Das wurde am Rande des Nato-Gipfels aus Regierungskreisen bekannt.

Frankreich wird der Ukraine Langstreckenraketen liefern. Damit könne sich das Land besser gegen den russischen Angriff verteidigen, begründete Präsident Emmanuel Macron die Entscheidung. „Ich habe beschlossen, die Lieferungen von Waffen und Ausrüstung zu erhöhen, um den Ukrainern die Fähigkeit zu geben, tiefgreifende Angriffe vorzunehmen und gleichzeitig an unserer Doktrin festzuhalten, die es der Ukraine ermöglicht, ihr Territorium zu verteidigen“, sagte Macron bei seiner Ankunft in Litauen. Im Mai hat Großbritannien als erstes Land die Lieferung von Langstreckenraketen vom Typ „Storm Shadow“ bestätigt

Russischer Botschafter warnt vor direktem Konflikt

Russland zeigt sich verärgert über die auf dem Nato-Gipfel erwartete Solidarität mit der Ukraine. „Es wird alles getan, um die öffentliche Meinung vor Ort auf die Zustimmung zu antirussischen Entscheidungen vorzubereiten, die in den kommenden Tagen in Vilnius getroffen werden“, schreibt der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, auf dem Telegram-Kanal der Vertretung in Washington. Die USA trieben die Nato mit den erwarteten Beschlüssen in die „ungünstigste“ Konfrontation mit Moskau.

Und nach Einschätzung des russischen Botschafters in Belgien, Alexander Tokowinin, erhöht die Politik der Nato gegenüber Russland das Risiko eines direkten Konfliktes. Die regionalen Verteidigungspläne, die die Nato auf ihrem Gipfel in Vilnius beschließen wolle, würden die Konfrontation des westlichen Militärbündnisses mit Russland angespannter und länger machen, zitiert die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Tokowinin.

Europa müsste nach russischer Darstellung als erster mit „katastrophalen Folgen“ rechnen, sollte der Krieg in der Ukraine eskalieren. Die USA trieben eine solche Eskalation voran, sagte der in Wien ansässige russische Diplomat, Konstantin Gawrilow, der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA zufolge. Gawrilow ist einer der führenden Unterhändler Russlands in Sicherheitsfragen.

US-Präsident Biden will beim Nato-Gipfel in Vilnius zu einem bilateralen Treffen mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskij zusammenkommen. Die beiden wollten am Mittwoch über langfristige Sicherheitszusagen der USA für die Ukraine sprechen, teilte Bidens nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan am Dienstag mit. Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) plant nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen am Mittwoch ein bilaterales Treffen mit Selenskij. Bereits am Dienstagnachmittag will Scholz demnach mit dem türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan zusammenkommen. Selenskij soll als Gast am Gipfel des Verteidigungsbündnisses in der litauischen Hauptstadt teilnehmen.

Ja von Erdogan zu Schweden-Beitritt

Schweden bekam wenige Stunden vor dem Start des Gipfels doch noch Grünes Licht für den Beitritt zum Bündnis. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg teilte am Montagabend nach einem Vermittlungsgespräch mit den Spitzen Schwedens und der Türkei in der litauischen Hauptstadt mit, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sein Veto gegen das nordische Land zurückgezogen habe. Erdogan habe zugesichert, die Ratifizierung des schwedischen Beitritts dem türkischen Parlament zuleiten zu wollen. Vor seinem Abflug zum Krisengespräch hatte Erdogan überraschend den EU-Beitritt seines Landes zur Bedingung für ein Ende des Vetos gemacht, woraufhin auch EU-Ratspräsident Charles Michel an den Beratungen in Vilnius teilnahm.

Biden wird in Absprache mit dem Kongress in Washington den Transfer von F-16-Kampfflugzeugen in die Türkei vorantreiben. Biden habe „klar zum Ausdruck gebracht, dass er den Transfer unterstützt“, sagt der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, vor dem Nato-Gipfel in Vilnius. „Er hat diesbezüglich keine Vorbehalte gemacht. ... Er beabsichtigt, diesen Transfer voranzutreiben.“ Am Montagabend hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Schwedens Antrag auf Beitritt zur Nato zugestimmt. Sein monatelanges Zögern in der Frage werten einige Nato-Partner als Druckmittel auf die USA, der Türkei die seit langem gewünschten F-16-Kampfflugzeuge zu liefern. (APA/dpa/Reuters)

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