Nachruf

Abschiedswalzer: Milan Kundera ist tot

Milan Kundera im September 1982 in Paris.
Milan Kundera im September 1982 in Paris.Francois Lochon/Gamma-Rapho via Getty Images
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Die Leichtigkeit des Seins und die Last der Geschichte: Das waren zwei wesentliche Themen des großen Schriftstellers Milan Kundera, der 1975 aus der kommunistischen Tschechoslowakei nach Frankreich emigrierte. Dort ist er nun im Alter von 94 Jahren gestorben.

Milan Kundera ist gestorben, und uns, die wir seine Bücher gelesen, ja: geliebt haben, fällt ein: Wie für so viele große Romanciers war auch für ihn der Tod ein zentrales Thema. Aber er hat nicht wie etwa Thomas Mann oder gar Elias Canetti gegen ihn angeschrieben. Oder doch? Seinen zu Recht berühmtesten Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ (erschienen 1984) begann Kundera mit Nietzsches Mythos von der ewigen Wiederkunft: Das Leben sei „ohne Gewicht und tot von vornherein“, wenn nicht alles immer wiederkehre. Dann seien wir „an die Ewigkeit genagelt wie Jesus Christus ans Kreuz“, dann laste auf allem „die Schwere einer unerträglichen Verantwortung“. Erst vor der Folie dieser drückenden Vorstellung könne uns das Leben „in seiner ganzen herrlichen Leichtigkeit erscheinen“.

Herrlich und doch unerträglich: Zwischen diesen Polen ließ Kundera seine Figuren leben, den Arzt Tomas in der „Leichtigkeit“ oder den Trompeter Klima im „Abschiedswalzer“ etwa. Beide zeichnete er als Lebemänner, als „ladies’ men“ – denen man, wenn Kundera nicht so ein Gegner der Popmusik gewesen wäre, gern das eine oder andere Leonard-Cohen-Lied als Leitmotiv gegönnt hätte –, die sich aber vor der Last der Fortpflanzung scheuten, ja: schreckten. Aus diesem Schrecken bezieht der „Abschiedswalzer“ mit seinen irrwitzig verknoteten Schicksalen seinen Drive.

Gegen totalitären Kitsch

Die zweite Last, vor der sich Kunderas Hauptfiguren schrecken, ist die Last der Geschichte. Und deren Pathos, deren Kitsch. Dem „totalitären Kitsch“ setzte Kundera einige seiner eindringlichsten Passagen entgegen. Er hatte ihn bitter kennengelernt, im Kommunismus seiner ursprünglichen Heimat, der Tschechoslowakei. Wie der Student Ludvik in seinem ersten Roman „Der Scherz“ wurde er aus der Partei ausgeschlossen, 1967 wurde er wieder aufgenommen, 1970 wieder ausgeschlossen. Nach dem Scheitern des Prager Frühlings, das er in der „Leichtigkeit“ von Teresa, der vielleicht stimmigsten unter seinen vielen Frauenfiguren, manisch fotografieren, festhalten ließ. Ihre Konkurrentin Sabina ließ er nicht nur den Männern untreu werden, sondern auch ihrer Heimat, mehr noch: allen Orten. Ihr „ist die Vorstellung unerträglich, dass ihrer Flucht für immer ein Ende gesetzt wird“, schrieb Kundera.

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