Morgenglosse

„Wiener Zeitung“ als Start-up ohne Mehrwert

Am 30. Juni erschien die letzte  gedruckte Ausgabe der „Wiener Zeitung“.
Am 30. Juni erschien die letzte gedruckte Ausgabe der „Wiener Zeitung“.APA / AFP / Alex Halada
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Die Regierung zeigt vor, wie man eine Zeitung auslöscht.

Eine Zeitungsredaktion ist ein sensibles Biotop. Es entsteht nicht in zwei, drei Wochen, sondern über Jahrzehnte hinweg – in einer ständigen Feedback-Schleife aus kritischem Austausch mit Politik und Lesern, Kolleginnen und Kollegen. Wie jedes Biotop lebt auch sie von der Vielfalt. Hat man es einmal zerstört, ist es unwiederbringlich vernichtet. Wie die Print-Redaktion der „Wiener Zeitung“, die Ende Juni zugesperrt wurde und jetzt digital auf das Niveau eines Start-ups zurückgeworfen wurde. Eines unter vielen.

Denn nichts an der Online-Ausgabe erinnert noch an die Qualitäten, die diese Zeitung hatte. Ein Feuilleton zum Beispiel. Von der ursprünglichen Redaktion ist kaum jemand übrig. Die Ressorts gibt es nicht mehr. Stattdessen beliebiges Allerlei. In der Rubrik „Lesen“ geht es um Unkraut gegen Artensterben, Tipps zur Mülltrennung und Töchter, die nicht ausziehen. Heraus sticht lediglich ein investigativer Artikel über ein Bauprojekt in Grafenwörth. Dazu gibt’s Podcasts über die hohen Mietpreise oder – Überraschung! – darüber, dass Oper auch Spaß machen kann. Und Videos über teure Sneaker.

Hier wird die Welt erklärt

Die WZ.at wirkt wie Material für den Schulunterricht. Dass man junge Leute ansprechen will, merkt man auch am Schreibstil (gegendert wird mit Doppelpunkt) und an den vielen Grafiken. Hier wird die Welt erklärt. Brav, bemüht, ohne den Leser zu sehr zu fordern.

Wo bleibt da der öffentlich-rechtliche Mehrwert, den man vom ORF – zu Recht – einfordert? Er ist auch von WZ.at zu verlangen, das den Steuerzahler 7,5 Millionen Euro pro Jahr kostet. Dass man diese Online-Seite als Übungsplatz für Trainees braucht, die in einem „Media Hub“ ausgebildet werden, der weitere sechs Millionen Euro kostet, kann kein Argument sein. Die Journalistenausbildung hat auch so gut funktioniert in Österreich.

Ist das Archiv verloren?

Man darf annehmen, dass ein Start-up wie WZ.at in einer Branche, in der ohnehin wenig zu holen ist, keinen privaten Mäzen gefunden hätte, der gewillt gewesen wäre, so viel Geld zu investieren. Und was haben wir alle davon? Nicht einmal das historisch bedeutsame digitale Archiv der „Wiener Zeitung“ ist noch abrufbar. Das zumindest ist einzufordern. Oder ist am Ende schon alles gelöscht? Als wollte man die „Wiener Zeitung“ völlig aus unser aller Gedächtnis tilgen! Die Regierung exerziert hier vor, wie man eine Zeitung auslöscht. Schade um dieses Biotop. Die „Wiener Zeitung“ ist tot. Kann sie digital wiederbelebt werden? So jedenfalls sicherlich nicht.

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