Der ökonomische Blick

Das fragwürdige Vermächtnis von Sportmegaevents

Die Eröffnungsfeier der Frauen-Fußball-WM in Australien und Neuseeland. Hinter der glanzvollen Fassade derartiger Events verbergen sich auch Schattenseiten.
Die Eröffnungsfeier der Frauen-Fußball-WM in Australien und Neuseeland. Hinter der glanzvollen Fassade derartiger Events verbergen sich auch Schattenseiten.Imago / Bai Xuefei
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Am 20. Juli wurde die Endrunde der neunten Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland eröffnet. Organisatoren und Veranstalter erwarten eine weitere Popularisierung des Frauenfußballs und einen Aufstieg der Veranstaltung zu einem Sportevent von globaler Bedeutung. 

Sportmegaevents (SME) wie Fußball-Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele üben auf Sportbegeisterte in aller Welt eine besondere Anziehungskraft aus. Sie genießen eine hohe mediale Aufmerksamkeit und versprechen beträchtliche Einnahmen für Organisatoren und Veranstalter. Doch hinter dieser glanzvollen Fassade verbergen sich auch Schattenseiten. So veröffentlichte der Economist kürzlich eine Aufstellung, wonach seit 2010 ganze 37 Prozent aller SME in Ländern stattfanden, die als autokratisch einzustufen sind. Zwischen 1990 und 2010 lag dieser Anteil noch bei 15 Prozent.

Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass Autokraten in SME zunehmend eine Möglichkeit sehen, ihr nationales Image aufzupolieren und von den drängenden Problemen im eigenen Land abzulenken. In der Diskussion findet sich der Begriff des „Sportswashing“. Dieser bezieht sich vor allem auf die meist prekäre Menschenrechtslage in den Veranstaltungsländern.

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Dieser Beitrag ist auch Teil des Defacto Blogs der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Central European University (CEU). Die CEU ist seit 2019 in Wien ansässig.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse“-Redaktion entsprechen.

Menschenrechte in den internationalen Sportverbänden

Die Einhaltung von Menschenrechten ist in den Statuten der internationalen Sportverbände verankert. Grundsatzartikel 6 der Olympischen Charta untersagt etwa „… jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen …“. Der menschenrechtliche Katalog umfasst auch umwelt- und arbeitsrechtliche Standards und nimmt dabei explizit auf die UN-Menschenrechtskonvention Bezug. Verletzungen von Menschenrechten sind daher klar definiert und jedenfalls unabhängig von den Sichtweisen des Veranstaltungslandes.

Die Vorgaben der internationalen Sportverbände galten über lange Zeit als bloße Absichtserklärungen. Erst in den 2000er Jahren ist eine intensive Debatte darüber entbrannt, ob es vertretbar ist, SME an Länder mit systematischen Menschenrechtsverletzungen zu vergeben. Auslöser der Debatte war der Zuschlag von SME für China (OSS 2008 bzw. OWS 2022), Russland (OWS 2014 bzw. WM 2018) und Katar (WM 2022). Befürworter sehen die Chance von langfristigen Verbesserungen, die sich vor allem aus dem internationalen Mediendruck ergeben, während Gegner eine indirekte Legitimation von problematischen menschenrechtlichen Zuständen befürchten.

Die langfristigen Effekte auf die menschenrechtliche Lage

Die Argumentation der Befürworter lässt sich anhand einer Datenbank (Varieties of Democracy) überprüfen, die über einen längeren Zeitraum die menschenrechtliche Situation in mehr als 150 Ländern erfasst. Sie basiert auf Experteneinschätzungen und enthält unterschiedliche Indikatoren zu Menschenrechten wie freie Meinungsäußerung, Eigentumsrechte, Zwangsarbeit, Religionsfreiheit, Geschlechterdiskriminierung oder Frauenrechte.

Untenstehende Abbildung stellt anhand eines Sammelindex (Civil Liberty Index) die menschenrechtliche Lage zehn Jahre vor und zwölf Jahre nach Vergabe (senkrechte Linie) der SME in China (OWS 2022 mit Vergabe 2015), Russland (2007) und Katar (2010) dar. Je höher der Index, desto unproblematischer ist Situation im jeweiligen Land aus einer menschenrechtlichen Perspektive. Aus der Abbildung geht hervor, dass sich – gemessen am Durchschnitt der Welt (strichliert) – nach der Vergabe eines SME die menschenrechtliche Situation längerfristig entweder verschlechtert (China, Russland) oder nicht nennenswert verändert hat (Katar). 

Die Abbildung ist zwar deskriptiv aufschlussreich, kann allerdings nicht kausal interpretiert werden, weil der kontrafaktische Zustand – was wäre passiert, wenn das SME nicht in diese Länder vergeben worden wäre – unbekannt ist. Eine Annäherung lässt sich allerdings durch Wahl einer geeigneten Kontrollgruppe finden. Ein Vorher-/Nachher-Vergleich der menschenrechtlichen Situation zwischen Austragungsländern und Kontrollgruppe identifiziert daher unter bestimmten Annahmen den Kausaleffekt des SME.

Dazu wurden zwölf menschenrechtliche Indikatoren und drei unterschiedliche Methoden zur Berechnung des Kausaleffekts verwendet (Differenz-in-Differenzen, synthetische Kontrollgruppen, synthetische Differenz-in-Differenzen). In Summe wurden 108 Modelle geschätzt (drei Veranstaltungsländer, zwölf Menschenrechtsindikatoren, drei Methoden). Die Ergebnisse sind ernüchternd: Von den 108 geschätzten Parametern sind 32 signifikant negativ, alle anderen insignifikant. Wenn überhaupt, scheint sich die Menschenrechtslage seit Vergabe des SME sogar zu verschlechtert zu haben. 

Möchte man autokratische Länder nicht von Vornherein vom Vergabeprozess ausschließen, verbleiben für die internationalen Sportverbände nur zwei Möglichkeiten: Da die Hoffnung auf eine längerfristige Einhaltung von internationalen Menschenrechtsstandards offensichtlich unbegründet ist, könnten die Statuten aufgeweicht werden. Angesichts eines bereits ohnedies angekratzten Images von Verbänden wie IOC oder FIFA scheint dieser Schritt aber unrealistisch. Verbleibt als Alternative, die menschenrechtliche Lage nach Vergabe eines SME laufend und konsequent nach internationalen Standards zu evaluieren und den Veranstaltern bei Verstößen frühzeitig und glaubhaft mit Sanktionen bis hin zum Entzug der Austragung zu drohen.

Die Autoren

Martin Schnitzer ist Professor für Sportwissenschaft mit Schwerpunkt Sportökonomie an der Universität Innsbruck.

Hannes Winner ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Salzburg.

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