„Es kann sein, dass ein Lesbenpaar das besser kann“

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Das Recht für Homosexuelle, Stiefkinder zu adoptieren, sei ein wichtiger erster Schritt, sagt Universität-Wien-Psychologin Ahnert. Nachteile für Kinder, die bei zwei Müttern aufwachsen, gebe es Studien zufolge nicht.

Die Presse: Nach dem EGMR-Urteil dürfen Homosexuelle bald Stiefkinder adoptieren. Was heißt das für die Entwicklung der Kinder?

Lieselotte Ahnert: Zunächst ist die juristische Komponente nicht zu unterschätzen. Es gibt dem Kind Sicherheit, sich etwa beim Tod eines Elternteils auf den zweiten Elternteil berufen zu können, auch finanziell. Dazu kommt, dass wir aus weltweiten Studien wissen, dass eine Mutter-Mutter-Kind-Konstellation wie im EGMR-Fall keine Auswirkungen auf die sexuelle Orientierung des Kindes hat. Kinder entwickeln sich mit zwei Müttern auch nicht anders als mit Mutter und Vater, wenn es um Identität, soziales Verhalten und Emotion geht.

Sind Nachteile oder Defizite bekannt?

Nein, bisher nicht.

Wie ist das bei zwei Vätern?

Dazu fehlen abschließende Erkenntnisse, die Studien laufen.

Bei lesbischen Eltern: Fehlt dem Kind nun eine männliche Bezugsperson, wie oft zu hören ist, oder nicht?

Ich halte das für überbewertet. Natürlich gehört zur Ausbildung der Identität auch ein Erleben mit dem anderen Geschlecht. Aber auch bei Vater, Mutter und Kind passiert vieles außerhalb der Familie. Und auch Alleinerzieherinnen können Buben diese Bezugsperson nicht ersetzen, das passiert in einem breiteren sozialen Netz.

Lobbys argumentieren auch damit, dass Kinder bei zwei sorgenden Müttern besser aufgehoben wären als bei Alleinerzieherinnen, die im Alltag überfordert sind. Stimmen Sie zu?

Die wenigsten Alleinerzieherinnen sind überfordert, da steht oft die ältere Generation oder ein neuer Partner zur Seite. Ich will das auch nicht gegeneinander ausspielen. Entscheidend ist: Was braucht das Kind? Beständige, sensible, vertrauenswürdige, warme Menschen, die es mit Verantwortung großziehen. Es kann der Fall sein, dass ein lesbisches Paar das besser kann als die leiblichen Eltern, etwa, wenn sie nicht erziehungstüchtig sind.

Macht es für das Kind über die juristische Komponente hinaus einen Unterschied, wenn es von der zweiten Mutter auch formal adoptiert ist?

Ja. Denn Kinder reflektieren stark, in welcher Familie sie aufwachsen. Auch den Prozess der Adoption erleben sie bewusst – als etwas, bei dem Menschen gezielt Verantwortung für sie übernehmen. Was die leiblichen Eltern betrifft, ist es wichtig, das mit dem Adoptivkind früh zu klären. Sonst gibt es Ängste, Unsicherheiten und Misstrauen.

Was raten Sie Justizministerin Karl, die für März eine Regierungsvorlage zur Adoption durch Homosexuelle plant?

Tolerant und großzügig zu sein. Und wenn man einen Schritt weiter gehen will, sollte man sich nicht scheuen. Man sollte sich auch besser von Experten beraten lassen: Was wünschen sich Kinder? Seien wir froh, wenn Homosexuelle sich entschließen, Kinder bei ihnen aufwachsen zu lassen, die etwa aus schwierigsten Verhältnissen kommen. Mit fast mystischen Ängsten sollte Schluss sein, wenn wir sehen, wie gut solche Praktiken laufen.

Zur Person

Lieselotte Ahnert, 61, ist Professorin für Entwicklungspsychologie sowie stellvertretende Vorständin des Instituts für Psychologie an der Universität Wien. Die Deutsche gilt als Expertin für frühe Bindung. [univie.ac.at]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2013)

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