WEB-Skandal: Der Klavierspieler

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Gerhard Schmid war der erste hochrangige Bankmanager in diesem Land, der zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Bis heute beteuert er seine Unschuld. Für viele ist auch er ein Opfer des Salzburger WEB-Skandals.

Der Film beginnt mit Klaviermusik. Gerhard Schmid ordnet Akten. Schnitt. Nächste Szene. Franz Vranitzky sitzend. Er blickt in die Kamera und sagt: „Er ist ein Mensch, der zeit seines Lebens seinen geraden Weg gegangen ist, obwohl ihm übel mitgespielt worden ist.“ Szenenwechsel.
Im Erdgeschoß des schmucken Zweifamilienhauses in der Stadt Salzburg sitzt Gerhard Schmid. Noch einmal erzählt er seine Geschichte. Vier Stunden lang. Die erste Frage: „Wann wurde Ihnen klar, dass Sie im Gefängnis landen könnten?“– „Als der Richter das Urteil verkündete“, antwortet der 72-Jährige.

Das war im Juli 2003. Mehr als ein halbes Jahr lang hat der Prozess gegen Schmid und zwei Kollegen der Salzburger Sparkasse gedauert, Beihilfe zur Untreue hat ihnen der Staatsanwalt vorgeworfen. Für Gerhard Schmid stand bis zum letzten Verhandlungstag fest, dass es nur einen Freispruch und völlige Rehabilitation geben konnte.
„Mir ist im Gerichtssaal momentan schlecht geworden, ich musste mich setzen, sonst wäre ich ohnmächtig geworden“, erzählt er. Fünfeinhalb Jahre Gefängnis lautet das Urteil. Später wurde es in zweiter Instanz auf viereinhalb Jahre herabgesetzt. „Wir haben uns ursprünglich nicht einmal vorstellen können, dass gegen die Sparkasse Salzburg und uns Manager Anklage erhoben wird“, sagt Schmid.

Auch zehn Jahre nach seiner Verurteilung ist ihm die Fassungslosigkeit geblieben. „Wir hatten mit den Machenschaften der WEB-Manager nichts zu tun“, sagt er. „Wir hatten nur das Pech gehabt, dass der Girokontenverkehr seit den 1960er-Jahren über unsere Bank lief. Und plötzlich hieß es seitens der Staatsanwaltschaft, wir hätten Mitte der Achtzigerjahre erkennen müssen, dass hier Gelder veruntreut werden. Das ist aber eine absurde Idee.“

Es gab eine Zeit in diesem Land, in der es eine „absurde Idee“ war zu glauben, dass hochrangige Bankmanager für ihr Tun vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden. Es gab eine Zeit, in der man sich ab einer gewissen gesellschaftlichen Seehöhe in Sicherheit wähnte. Diese Zeit endete vor zehn Jahren. Und zwar mit Gerhard Schmid. Ausgerechnet Schmid. „Mich hat das sehr betroffen und getroffen. Es war ein Schock“, sagt Franz Vranitzky später vor der Kamera.

„Vranitzky hat mich sogar im Gefängnis besucht.“ Und auch die drei Notenbank-Granden, Adolf Wala, Herbert Schimetschek und Ewald Nowotny. „Weil sie wussten, dass ich nichts angestellt habe“, sagt Schmid. Die Salzburger Bürgermeister, Josef Reschen, Josef Dechant und Heinz Schaden, kamen regelmäßig in die Haftanstalt. „Das nützt zwar letztlich nichts, wenn man drinnen sitzt, aber es hilft einem zumindest moralisch.“

Justiz im Zwielicht. „Österreich ist ein Rechtsstaat, davon bin ich trotz allem überzeugt. Es ist sogar einer der am besten funktionierenden auf der ganzen Welt. Aber auch dieser Rechtsstaat wird von Menschen verwaltet, mit all ihren Unwägbarkeiten und Fehlern. Und mich hat's halt erwischt.“ Dass bei der juristischen Aufarbeitung des damals größten Finanzskandals der Zweiten Republik unglaubliche Fehler gemacht worden sind, bezweifelt heute kaum noch jemand. 25.000 Anleger sind um 140 Millionen Euro geprellt worden. Am Ende wurden Manager, Steuerberater und Bankdirektoren zu insgesamt fast 50 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Aber der mutmaßliche Drahtzieher des Großbetrugs, Norman Graf, wurde nie gefasst. Er setzte sich nach Bayern ab, erwarb die deutsche Staatsbürgerschaft und lebte bis zu seinem Tod in Freilassing nur wenige Kilometer hinter der Grenze.
Bevor Graf in der Privatwirtschaft groß abkassierte, war er selbst Staatsanwalt in Salzburg. Er kannte sie also. Fast alle, die gegen ihn ermittelten. Und sie kannten ihn. Das sei wohl der Hauptgrund gewesen, warum Graf nie erwischt wurde, meinen prominente Zeitzeugen. Der Salzburger Rechtsanwalt Werner Steinacher nannte es 2006 eine „schwärende, offene Wunde der österreichischen Justiz“. Der Richter, der Schmid verurteilt hat, ist heute Präsident des Landesgerichts Salzburg. „Vranitzky hat damals zu mir gesagt: Du musst das als eine Krankheit betrachten, für die du nichts kannst“, erzählt Schmid.

Am 7. März 2006 berichteten die „Salzburger Nachrichten“: Ex-Sparkassen-Manager wurden zur Haft „abgeholt“. Die Gänsefüßchen sollen wohl Schadenfreude bekunden. Schmid war in der Salzburger Nervenklinik in Behandlung. Er hatte einen leichten Schlaganfall erlitten. „Der Primar hat gemeint, übers Wochenende gibt es ohnehin keine Therapie, ich kann ruhig nach Hause gehen und am Montag wiederkommen“, erzählt Schmid. Montagfrüh saß er im O-Bus. Irgendetwas hat ihn an der jungen Blondine gestört, ein Gefühl, als ob sie ihn beobachte. Plötzlich ging alles blitzschnell. Ein Auto bremste sich vor dem Bus ein, ein Mann sprang heraus. „Was machen S' denn? Ich muss ja weiterfahren“, brüllte der Busfahrer. „Wir haben eine Verhaftung“, antwortete der Mann. Nun stürmte auch die Blondine auf Schmid zu.

Er habe den Eindruck, als wollte man damals „einen demütigenden Akt“ setzen, sagt Schmid. Mit Rettung und Blaulicht wurde er in die Krankenabteilung der Haftanstalt Krems/Stein gebracht. Seine Frau erhielt am späten Nachmittag einen Anruf: „Ihr Mann wurde verhaftet.“

Kein großes Aufsehen. Ursprünglich wollte das Gericht kein großes Aufsehen. Wenn sich alle Beteiligten zumindest in einem Anklagepunkt schuldig bekennen, gebe es einen „kurzen Prozess“ – und milde Strafen, hieß es. „Damals hätte ich begreifen müssen, dass ich auf jeden Fall verurteilt werde“, sagt Schmid. Heute sei ihm völlig klar, dass der Schuldspruch schon lange vor dem Prozess gefällt worden sei.

Die tausenden Anleger mussten schließlich einen Teil ihres Geldes zurückbekommen. Von der Wohnbaugesellschaft WEB war nichts zu holen. Wer konnte also zahlen? „Zahlen kann eine Bank. Um Geld von der Bank zu bekommen, muss man ihre Organe verurteilen“, antwortet Schmid. Zweieinhalb Jahre nach seiner Verurteilung verglichen sich die Bank und die Anwälte auf eine Zahlung von 19,1 Millionen Euro. Schmid musste 430.000 Euro Schadenswiedergutmachung leisten.

Dass die Anleger Geld zurückbekommen haben, verdanken sie einer Frau, die einst in der Salzburger Arbeiterkammer die Abteilung Konsumentenschutz geleitet hat. Sie brachte die Affäre 1989 ins Rollen. Ihr Name: Gabi Burgstaller. Als Aufdeckerin avancierte sie zum Polit-Star. Dass sie sich heute als Landeshauptfrau mit einem ganz anderen Finanzskandal in Salzburg herumschlagen muss, ist eine Ironie des Schicksals.

„Als mich meine Frau und meine beiden Töchter das erste Mal im Gefängnis besuchten, saß ich hinter einen Glaswand und wir sprachen über ein Telefon.“ Dieses beklemmende Gefühl hatte Gerhard Schmid schon einmal erlebt. Als kleiner Bub. Sein Vater war bis 1934 stellvertretender Leiter des Arbeitsamts in Wels. Ein gestandener Sozialist, der im Ständestaat seinen Job verlor. Seine Familie ernährte er mit seinem Geigenspiel. Er gründete ein Salonorchester, gab Unterricht. Unter den Nazis arbeitet er in der Deutschen Arbeitsfront.

Nach dem Krieg war er zweieinhalb Jahre im Lager Glasenbach, einem Internierungslager der Amerikaner für Nazi-Verdächtige. „1946 durften wir ihn besuchen. Meine Mutter brachte kein Wort heraus, ich brachte kein Wort heraus. Einzig mein 14-jähriger Bruder konnte mit dem Vater reden“, sagt Schmid.

Jetzt saß er selbst im Zuchthaus Stein. Einmal in der Woche durfte er telefonieren. „Den Bürgermeister Schaden haben sie einmal weggeschickt. ,Der Schmid hat sein Besuchskontingent für diese Woche schon ausgeschöpft‘, hat es geheißen.“ Vier Monate saß er im berüchtigten Gefängnis in Stein. Dann wurde er in die Außenstelle Oberfucha verlegt. Gelockerter Vollzug. Die Sträflinge arbeiten in der Landwirtschaft. Marillenernte, Gartenarbeit. „Eines Tages brachte mir mein Bruder ein E-Piano.“ Die Wärter erlaubten, dass es in der Gefängniskapelle aufgestellt wurde. Dort feierten die Häftlinge Weihnachten. Schmid spielte Weihnachtslieder. Von nun war er für die anderen Häftlinge „der Klavierspieler“.

Der Geigenvirtuose. Schmid war 14, als er in der Kapelle seines Vaters auf der Ziehharmonika spielte. Oft kam er um drei Uhr früh ins Bett. „In der Schule bin ich oft eingeschlafen.“ Nein, die Begabung seines Vaters habe er leider nicht geerbt, die sei erst auf die nächste Generation übergesprungen. Vor allem auf Sohn Benjamin. „Der wollte schon als Vierjähriger eine Geige haben, das Klavier hat ihn nicht interessiert.“ Aus Benjamin wurde ein Virtuose. Mit 18 trat er erstmals als Solist bei den Salzburger Festspielen als Partner von Yehudi Menuhin auf. Heute ist der Sohn Professor am Mozarteum. Seine 80 bis 100 Konzerte pro Jahr spielt er auf einer Stradivari der Donald-Kahn-Stiftung.
Im Erdgeschoß stehen zwei Bösendorfer-Flügel und ein Cembalo. An den Wänden hängen Geigen. „Meine Frau und ich musizieren täglich auf zwei Gamben, und mehrmals im Jahr spielt hier ein Amateurorchester Klavierkonzerte von Mozart mit mir. Aus meinen Funktionen im Salzburger Kulturleben habe ich mich fast gänzlich zurückgezogen“, erzählt Gerhard Schmid.

Am 24. Dezember 2007 wurde er nach 22 Monaten noch vor Verbüßung der Hälfte seiner Haftstrafe entlassen. Der Bundespräsident hatte den Gnadenantrag des Justizministeriums, der auf Intervention des Europäischen Gerichtshofs in Straßburg zustande kam, unterschrieben.
Es ist eine lange Geschichte, sie ganz zu erzählen, würde ein Buch füllen. Gerhard Schmid hat sie voriges Jahr dem bayerischen Filmemacher Matthias Kessler erzählt. „Der Film ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Er ist für meine Enkelkinder. Vielleicht fragen sie sich eines Tages: Warum war der Opa im Gefängnis?“

„Ich: Gerhard Schmid“ lautet der Titel der 50-minütigen Dokumentation. Klaviermusik. Gerhard Schmid ordnet Akten. Schnitt. Nächste Szene. Franz Vranitzky sitzend. Er blickt in die Kamera und sagt: „Er ist ein Mensch, der zeit seines Leben seinen geraden Weg gegangen ist“, sagt der frühere Bundeskanzler und fügt hinzu: „Ich habe das Ganze als einen beachtlichen Justizirrtum empfunden.“

Der längste Skandal der Zweiten Republik


Im Juni 1989 flog in Salzburg der WEB-Skandal auf. Die juristische Aufarbeitung des Betrugsfalls dauerte mehr als 16 Jahre.

Der Anfang 1975. Die WEB-Gruppe, die es schon seit den 1960er-Jahren gibt, begann erstmals sogenannte Hausanteilsscheine auszugeben. Anlegern wurden dabei sehr hohe Renditen bei geringem Risiko versprochen. Die Anteilsscheine fanden reißenden Absatz. Schon bald dürfte sich intern abgezeichnet haben, dass die hehren Versprechungen nicht eingehalten werden können.

Zahlungsunfähigkeit 1983. Gutachter rekonstruierten, dass die WEB de facto bereits 1983 zahlungsunfähig war. Doch das Unternehmen, das über gute Kontakte zu den Banken und vor allem in die Politik hatte, konnte den Zusammenbruch verhindern. Die Banken stundeten die Rückzahlungen bis Mitte 1985. Um die Bankschulden in Höhe von 600 Millionen Schilling (43,6 Mio. Euro) zu begleichen, verkaufte die WEB noch viel aggressiver als zuvor Anteilsscheine. Tausende Anleger zahlten ein. Ihr Geld wurde aber nicht in Immobilienprojekte investiert, sondern zum Stopfen alter Finanzlöcher verwendet. Ein Pyramidenspiel begann.

Erste Alarmsignale 1988. Erstmals meldeten sich Anleger und klagten darüber, dass ihre Forderungen von dem Immobilienkonzern nicht erfüllt wurden. Sie wandten sich an die Konsumentenschutzabteilung der Salzburger Arbeiterkammer.

Die Anzeige 1989. Am 28. Juni 1989 erstattete die Arbeiterkammer unter der Federführung ihrer Mitarbeiterin Gabi Burgstaller Anzeige gegen rund 30 Personen, darunter befanden sich nicht nur die WEB-Eigentümer und -Mitarbeiter, sondern auch Bankmanager. Die Anzeige lautete auf Verdacht des Betrugs und der Untreue. Der WEB-Skandal flog auf.

Erster Prozess 1996. Mehr als sieben Jahre später begann der erste Prozess gegen mehrere WEB-Manager. Die Verhandlung fand ohne den Hauptverdächtigen Norman Graf statt. Der frühere Staatsanwalt hatte sich kurz zuvor nach Deutschland abgesetzt, die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen und somit einer Auslieferung entzogen. Die übrigen Manager wurden im Juni 1999 zu Haftstrafen zwischen neun und sechs Jahren verurteilt.

12. September 2001. Einen Tag nach dem Anschlag auf das World Trade Center startete in Salzburg der zweite WEB-Prozess. Er ging medial völlig unter. Zwei Manager und ein Wirtschaftstreuhänder wurden zu jeweils fünf Jahren Haft verurteilt.

Prozess gegen Bankdirektoren. Der Prozess gegen fünf Manager der Sparkasse Salzburg endete mit drei Schuldsprüchen und Haftstrafen von vier bis viereinhalb Jahren. Unter den Verurteilten war auch der frühere Direktor Gerhard Schmid.

19,1 Millionen für Anleger 2005. Im Herbst 2004 startete der Zivilprozess gegen die Sparkasse Salzburg. Das Verfahren, bei dem auch prominente Zeugen wie Gabi Burgstaller auftraten, endete am 13. Dezember 2005 mit einem Vergleich. Die 3256 Anleger, die sich der Sammelklage angeschlossen hatten, erhielten 19,1 Millionen Euro.

von Gerhard Hofer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

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