Gusenbauer: "So ist das eben in der Marktwirtschaft"

Gusenbauer eben Marktwirtschaft
Gusenbauer eben Marktwirtschaft(c) Clemens Fabry
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Lästigen Journalisten muss Alfred Gusenbauer nun nicht mehr ständig antworten. Reisen kann er, wohin, und essen, was er will. Der ehemalige Bundeskanzler über das unnötige Tiki-Taka in der Tagespolitik, sein Verhältnis zum Geld und das Positive am politischen Engagement von Frank Stronach.

Wie schwer war der Stein, der Ihnen vom Herzen gefallen ist, als Sie Ihre politische Karriere beendet haben?

Alfred Gusenbauer: Ich habe mich doch eher kurzfristig dazu entschlossen, zurückzutreten. Insofern habe ich vorher meine politische Tätigkeit nicht unbedingt als Belastung empfunden. Ich habe da einen pragmatischen Zugang: Wenn ich mit etwas aufhöre, dann höre ich damit auf – und zwar ganz. Dann fange ich etwas Neues an. Und alles, was man neu macht, hat Vorteile, aber auch Nachteile. Summa summarum ist mein jetziges Leben schon ganz gut.

Welche Vorteile sehen Sie darin?

Ein Vorteil ist, dass ich nicht jedes Mal, wenn mich so ein lästiger Journalist anruft, auf seine Fragen antworten muss. Ich kann nun einfach sagen: „Sorry, mich freut es nicht.“ Außerdem kann ich mehr über mich selbst und meine Zeit disponieren. Und es gibt weniger Verpflichtungen. Zumindest wenn man diese Art von Selbstständigkeit wählt, die ich gewählt habe.

Sie haben dennoch einiges zu tun.

Ich habe meine Aufgaben. Es schenkt dir niemand das Geld. In der Gestaltung bin ich trotzdem einfach freier. Wenn ich heute eine Reise nach Südostasien oder Lateinamerika machen will, dann mach ich das einfach. Ich gehe zum Fußballmatch, wann ich will, trinke den Wein, den ich will.

Es ist also der öffentliche Druck, der abgefallen ist.

Sicher. Die dauernde Beobachtung fällt weg. Das ist angenehm. Außerdem fallen die sinnlosen Kommentare der Besserwisser weg, die glauben, dass sie bei allem Haltungsnoten vergeben müssen.

Hat sich Ihr Blick auf die Politik verändert?

Ja. Ich weiß nun, dass Entscheidungen generell zu schnell und zu kurzfristig gefällt werden. Wenn man zum Beispiel an die sogenannte Zypern-Lösung denkt, dann muss man sich die Frage stellen, ob niemand unter den Verantwortlichen auf die Idee gekommen ist zu sagen: „Stopp, denken wir kurz noch eine Minute darüber nach.“ Nämlich darüber, wie unsere Entscheidung draußen ankommt und welche Auswirkungen das haben kann. Dann hätte man sich nämlich vorstellen können, dass man, wenn man die kleinen Sparer enteignet, einen Megavertrauensbruch – nicht nur in Zypern, sondern auch weit darüber hinausgehend – begeht.

Normalerweise ist doch genau die Frage, wie die Entscheidungen draußen bei den Wählern wirken, die bestimmende.

Offensichtlich ist das nicht so, wenn es um wirkliches Krisenmanagement geht. In einer Demokratie ist es nun einmal so, dass es auch bei scheinbar rein wirtschaftlichen Fragen darum geht, wie es die Leute aufnehmen. Wenn die nämlich ihr Geld abziehen, hat das enorme Auswirkungen. Und genau da habe ich oft den Eindruck, dass im politischen System oft Schnelligkeit vor Qualität geht. Und eines noch: Wenn man die Politik tagtäglich verfolgt, dann gewinnt man ohnehin den Eindruck, dass es häufig nicht um das Wesentliche geht. Es kommt einfach jeden Tag irgendein neues Tiki-Taka. Ein Großteil davon interessiert mich eigentlich gar nicht.

Könnte man dieses Tiki-Taka irgendwie reduzieren, oder gehört das dazu?

Ich glaube, dass sich echte politische Führungspersönlichkeiten aus dem heraushalten. Sie sollten sich nur zu den wesentlichen Fragen äußern. Dass die Medien aber immer irgendein Futter brauchen, das wissen wir. Immerhin ist jeden Tag ziemlich viel Papier zu bedrucken. Dieses Bedürfnis sollte man dem nachgeordneten politischen Personal überlassen. Damit sollten sich Parteisekretäre beschäftigen.

Warum gewinnt man den Eindruck, dass sich vor allem ehemalige Sozialdemokraten nach Karriereende in der Wirtschaft pudelwohl fühlen?

Ich glaube, dass in gewissen Teilen der Sozialdemokratie die Auseinandersetzung mit der Wirtschaft und wirtschaftlichen Fragen viel intensiver ist als in anderen Kreisen. In der ÖVP hat man zwar Leute, die selbst in der Wirtschaft tätig sind. Die Auseinandersetzung mit der Wirtschaft passiert aber dort nicht so grundlegend. Der Wirtschaftsbund versteht sich etwa häufig lediglich als Interessenvertretung.

Stört es Sie, wenn Sie als geldaffiner Sozialdemokrat bezeichnet werden?

Was heißt geldaffin?

Man gewinnt angesichts Ihrer vielen Jobs und Aufsichtsratsposten den Eindruck, dass Sie gern Geld scheffeln.

So ist das eben in der Marktwirtschaft. Du lieferst eine gewisse Dienstleistung ab, und die hat einen gewissen Preis. Der wird bezahlt – oder auch nicht. Das hat also wenig mit Affinität zu tun, sondern mehr mit den Funktionsmechanismen der freien Marktwirtschaft.

Mögen Sie diese? Bzw. haben Sie diese mehr zu schätzen gelernt?

Ich bin immer ein Gegner des Kapitalismus und ein Anhänger der Marktwirtschaft gewesen. Ich habe schon früher gesagt: Die Sozialdemokratie sollte der Anwalt des Wettbewerbs sein. Wettbewerb heißt nichts anderes, als dass verschiedene Akteure versuchen, im Wettbewerb bessere und kostengünstigere Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Das wirkt sich auf die Konsumenten, den Fortschritt und auf die Produktentwicklung aus.

Da könnte man von links argumentieren, dass dadurch die Kosten geringer werden und somit die Gehälter schrumpfen müssen.

Das ist eine ökonomische Milchmädchenrechnung. Die Frage des technologischen Fortschritts dabei völlig außer Acht gelassen. Die Marktwirtschaft wird nie ihren Idealzustand erreichen. Das würde nämlich heißen, dass es eine gleiche Anzahl von Produzenten, Konsumenten und eine optimale Informationssituation gibt. Das ist eine Fiktion. Man kann nur versuchen, sich der idealen Marktwirtschaft anzunähern und den Kapitalismus zurückzudrängen.

Würden Sie sagen, dass Vermögende und Bestverdiener mehr Steuern zahlen sollten?

Ich bin der Auffassung, dass man die Staatsschulden irgendwie eindämmen muss. Dabei muss es eine gewisse soziale Symmetrie geben. Ich kann nicht von den Leuten, die ohnehin wenig haben, noch mehr verlangen. Insofern ist es legitim, dass Bestverdienende höhere Steuern zahlen. Das darf aber nicht die einzige Maßnahme sein. Man muss auch darüber nachdenken, wo man nicht sinnstiftende Ausgaben einsparen kann.

Sind Vermögensteuern eine Option?

Bei Vermögensteuern bin ich skeptisch. Ich bin für Vermögenszuwachssteuern. Vermögensteuern selbst sind eine weitere Besteuerung von etwas, was schon aus besteuertem Einkommen entstanden ist. Und vor allem müsste man darüber nachdenken, wie weit Vermögensteuern gehen dürfen. Muss ich dann jede Uhr und jedes Bild deklarieren? Da geht es um die Frage, wie sehr sich der Staat einmischen darf.

Wo könnte man denn einsparen?

Man muss staatliche Verwaltungsstrukturen laufend nach ihrer Funktionalität überprüfen. Außerdem muss man dem Tribut zollen, dass wir Mitglied der EU sind. Diese übernimmt einen Teil der staatlichen Aufgaben. Wozu führt das jetzt bei uns? Welche Aufgaben, die verlagert worden sind, kann ich kostengünstiger oder gar nicht mehr machen? Das Problem ist, dass in der Verwaltung immer alles additiv ist.

Ist das nationalstaatliche Denken noch zu sehr ausgeprägt?

Nein. Das liegt daran, dass man sich nicht mit Interessenvertretungen anlegen will.

Die Verbesserungsvorschläge der Ex-Politiker setzen immer an denselben Punkten an: dem Föderalismus, den Staatsschulden, der Bildung. Die aktive Politik scheint das nicht zu interessieren.

Weil du dich letztendlich nicht gegen die enorm starken Interessen durchsetzen kannst. Ich habe einmal vorgehabt, die Bezirkshauptmannschaften abzuschaffen. Da gab es einen Sturm der Entrüstung. Ich bin landauf, landab verfolgt worden. Es war, als hätte ich das Neue Testament abgeschafft. Es wird so ein starker Druck gemacht – von Landeshauptleuten und Sonstigen –, dass dieser auch in die eigenen Reihen hineinwirkt. Die eigenen Funktionäre beginnen zu zweifeln. Dann hast du die notwendige Unterstützung verloren. Insofern sind die Gemeindereformen in der Steiermark ziemlich erstaunlich.

Das geht aber nur, wenn zwei sagen, das ziehen wir jetzt kompromisslos durch.

Außerdem muss das Wasser bereits bis zum Hals stehen. Österreich ist ein reiches Land. Wenn du hier von Veränderung sprichst, dann entsteht immer der Eindruck, dass etwas weggenommen wird. Die Leute glauben: Es kann nur schlechter werden.

Gesudert wird trotzdem sehr viel.

Dabei sind wir Weltmeister. Es bleibt aber ohne Konsequenz.

Womit hat das zu tun?

Mit mangelndem Selbstwertgefühl. In Österreich wird alles, auf das man stolz sein könnte, schamhaft versteckt. Das Sudern hat die Funktion, den Eindruck zu erwecken, dass eh alles nicht so gut ist, wie es eigentlich ist. Nehmen wir etwa die EU als Beispiel. Über die wird viel gesudert. Trotzdem: Würde man die Leute über den EU-Austritt entscheiden lassen, dann würden sie mit großer Mehrheit dagegen stimmen.

Bei der Großen Koalition ist es anders. Es wird über sie gesudert – und sie verliert wirklich Stimmen.

Da gibt es auch ein breiteres Angebot. Wenn sich die Leute zwischen der Großen Koalition und Strache entscheiden müssten, würde das anders aussehen. Aber da gibt es die Grünen, Stronach.

Hätten Sie mit Stronach Spaß gehabt?

Sind wir doch froh darüber, dass es im rechtspopulistischen Bereich eine Konkurrenz gibt. Bis jetzt hat sich die FPÖ ja hingesetzt und einfach alle Proteststimmen abkassiert.

Steckbrief

Alfred Gusenbauer
wurde am 8. Februar 1960 geboren.

Von 1990 bis 1999
war er in der niederösterreichischen Kammer für Arbeiter und Angestellte tätig.

Von 2000 bis 2008
war Gusenbauer SPÖ-Bundesparteiobmann.

Von Jänner 2007 bis Dezember 2008
war er Bundeskanzler.

Nach seiner politischen Karriere
fungierte Gusenbauer unter anderem als Osteuropa-Experte der WAZ-Mediengruppe. Er ist Europa-Direktor eines chilenischen Investmentfonds und sitzt in zahlreichen Aufsichtsräten. Außerdem ist er im Risikokapitalbereich tätig und lehrt an der Harvard University. Für Aufsehen sorgte er mit der Beratung des kasachischen Autokraten Nursultan Nasarbajew.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

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