Ungarn: Die Freiheit zur Selbstentfaltung

THEMENBILD: KRISE IN UNGARN
THEMENBILD: KRISE IN UNGARN(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
  • Drucken

Wenn Unternehmertum keine Quelle des Stolzes ist, wird es keine Vorbilder geben, die zur Nachahmung inspirieren. Wenn harte Arbeit und Verdienste nicht belohnt werden, gehen Begabungen verloren. Plädoyer eines Ungarn und Kosmopoliten.

Ich liebe die Wissensgesellschaft. Die Idee, dass jeder Mensch gemäß seiner Interessen und Begabungen lernen kann und ein glückliches Leben auf Grundlage seiner Verdienste (und nicht danach, wo er geboren wurde oder welche Schule er besuchte) führen kann, schenkt uns allen Hoffnung auf eine erfüllte Zukunft. Außerdem glaube ich, dass die weltweiten Herausforderungen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, eine gemeinsame Anstrengung der klügsten Köpfe unseres Planeten erforderlich machen, und ich kann kein besseres Modell dafür erkennen.
Letztlich wird der Erfolg der Wissensgesellschaft auf das hinauslaufen, was die schlauen Kinder in der Schule entscheiden, aus ihrem Leben zu machen. Sie werden ihre Entscheidung auf der Grundlage dessen treffen, wozu wir sie bemächtigen, was sie um sich herum wahrnehmen, wen sie sich als Vorbilder wählen und wer sie dazu inspiriert, sich Herausforderungen zu stellen.

Auf Basis meiner eigenen Kindheitserfahrung finde ich es sehr einfach zu verstehen, wie vor zwei Jahrzehnten in der Schweiz eine Generation von Weltklasse-Architekten entstand und wie Schweden zu einem Land voller Pioniere der Online-Werbeagenturen unter voller Ausnutzung des sich entfaltenden Internets wurde. Am Ende ist es nur eine Frage der gegenseitigen Inspiration der Menschen.

Die Bürde des Unternehmers. So wie die Wissensgesellschaft Wissenschaft, Design und die Künste braucht, um Ideen zu erforschen, braucht sie auch Unternehmer, um Ideen in etwas Greifbares zu verwandeln. Das ist es, was unsere Art zu leben, Wissen auszutauschen und die Herausforderungen der Menschheit anzunehmen wirklich betrifft und verändert. Viele glauben, dass große Unternehmer eine angeborene Fähigkeit haben, sich Herausforderungen zu stellen und ungeachtet der Hindernisse niemals aufzugeben. Während das für einige zutreffen mag, ist die anfängliche Entscheidung, ein Unternehmer zu werden, oft unsicherer, als wir denken. Wenn das Geschäftsumfeld harte Arbeit, Talente und Verdienste nicht belohnt, werden die Begabungen eines Kindes letztlich nicht den Erfolg bestimmen. Wenn erfolgreiche Unternehmensgeschichten keine Quelle des Stolzes sind, wird es keine Vorbilder geben, die zur Nachahmung inspirieren.

Ich erinnere mich, wie mir eine Journalistin ihre Erfahrungen mit der allerersten Geschichte über die 100 reichsten Ungarn erzählt hat. Nach der Veröffentlichung verlangten viele Personen voller Ärger von ihr die Entfernung ihrer Namen von der Liste. Es stellte sich heraus, dass sie sich für die Herkunft ihres Reichtums schämten.

Das Problem der Korruption. Bedauerlicherweise ist Korruption immer noch allgegenwärtig in Ungarn. Viele Machthaber denken, dass Korruption weniger ein Problem als eine weltweite Norm ist. Es gibt zahlreiche Beispiele, die diese Ansicht unterstützen: Enron, Helmut Kohl, Bernie Madoff – treffen Sie Ihre Wahl! Dieser Glaube wird von der Einstellung unterstützt, dass es besser ist, wenn ein Freund oder ein lokaler Geschäftsmann einen Vertrag erhält. Warum sollte es auch anders sein?
Natürlich ist das fehlende Puzzlesteinchen in diesem Weltbild, dass in gut funktionierenden Gesellschaften Korruption die Ausnahme und nicht die Norm ist. Wir erfahren vom Missbrauch und der Zweckentfremdung der Macht, weil diese globalen Gesellschaften ordnungsgemäß funktionieren.

Die traurige Tatsache, dass Wettbewerbe durch Beziehungen und nicht etwa durch harte Arbeit und Verdienste gewonnen werden können, löscht jede Flamme des Interesses aus, das unsere klugen Kinder am Unternehmertum haben mögen. Es ist nicht unmöglich, sich in jene Personen einzufühlen, die ihre Machtposition missbrauchen. Wir alle wollen, dass unsere Freunde und Nachbarn erfolgreich sind, aber wenn wir diesen Wunsch zur Grundlage zentraler Geschäftsentscheidungen machen, werden wir niemals eine erfolgreiche Gesellschaft für alle entwickeln.

Ein trauriger Artikel. Ist das also ein trauriger Artikel? Werde ich nichts tun, außer über die Mängel der modernen Welt um uns herum zu klagen? Ganz im Gegenteil! In direktem Gegensatz zu dem Negativen entstehen in Ungarn mehr und mehr fantastische Unternehmen in so unterschiedlichen Sektoren wie der Landwirtschaft, den Finanzdienstleistungen oder der Computertechnik, auf die wir alle stolz sein können.

Es gibt zudem eine ganz spezielle und sehr junge Entwicklung, die ich im Detail vorstellen möchte. Es scheint, dass Internetfirmen (insbesondere Neugründungen) leicht die Gefahren des bestehenden Systems umgehen können. Es ist ein sehr einfaches Modell: Man braucht nicht wirklich Kapital, nur Begabungen. Und wenn die Kunden entscheiden, ob jemand wirklich gut ist oder nicht, hat man vom ersten Tag an Zugang zu einem globalen Markt. Es besteht auch keinerlei Grund für irgendeine Form der Scham, sondern vom ersten Tag an kann in aller Offenheit stolz sein, wer gute Leistungen erzielt.

Im Jahr 2008 habe ich gemeinsam mit Peter Halacsy (CTO) und Peter Arvai (CEO) das Unternehmen Prezi.com mitbegründet, wo wir den Austausch von Ideen mit Hilfe eines revolutionären, neuen Online-Präsentationswerkzeugs unterhaltsam und fesselnd machen. Heute haben wir 20 Millionen registrierte Benutzer und gewinnen jeden Monat weitere eineinhalb Millionen dazu. Vor einem Monat benutzte Bono von der Rockgruppe U2 unser Online-Tool auf der Bühne der wichtigsten TED-Konferenz des Jahres. Vergangenes Jahr verwendeten die beiden Bewerber um die Präsidentschaft Südkoreas Prezi, um im Fernsehen live für ihre Kandidatur zu werben. Wir haben schöne Büros in Budapest und San Francisco und 120 wunderbare Mitarbeiter aus 22 Ländern, von denen 80 Prozent in Budapest arbeiten. Diese Fachleute haben die USA, Großbritannien, Chile, Südkorea und die französische Karibik verlassen, um nach Ungarn zu kommen und Prezi zu verbessern. Ich bin sehr stolz darauf; offen und öffentlich.

Ungarn als Heimat der Internetfirmen. Und wir sind nicht allein. Das Unternehmen Ustream, das jedermann die Liveübertragung von Videos über das Internet ermöglicht, wurde in Ungarn von Gyula Feher gegründet. Ustream hat heute 50 Millionen Seher im Monat, und US-Präsident Obama benützte das System während seines Wahlkampfs. Dann gibt es auch Logmein, in Ungarn von Marton Anka gegründet und heute Marktführer in Remote-Desktop-Dienstleistungen, an der Nasdaq notiert und mit 125 Millionen Verbindungen weltweit aktiv.

Wir sind alle bestrebt, die Einstellung zum Unternehmertum in Ungarn zu ändern. Wir glauben, dass Unternehmensgründung eine großartige Erfahrung ist. Man formt ein Team aus wunderbaren und inspirierenden Menschen und bekommt die Zuneigung der Kunden, während man gleichzeitig schöpft, schafft und ermöglicht. Nichts wünschen wir uns mehr, als die klugen Kinder draußen, in der Schule, zu inspirieren, unserem Weg zu folgen.

Schließlich: Wenn wir es geschafft haben, dann können Sie es auch schaffen. Wir haben alle erfolgreich den Status quo gestört, und alles, was wir dafür hatten, waren unsere eigenen Ideen, unsere Bereitschaft zu harter Arbeit und die Integrität, aus Fremden wunderbare Mannschaften zu formen.

Schließlich möchte ich Sie um etwas bitten: Wenn auch Sie glauben, dass die Errichtung einer Wissensgesellschaft eine große Sache ist, helfen Sie uns bitte, die Rolle des Unternehmers zu einer wirklich inspirierenden zu machen. Wenn Sie eine große Geschichte haben, teilen Sie sie mit. Wenn Sie ein kluges Kind kennen, erzählen Sie ihm motivierende Geschichten. Wir sind alle Menschen und von Natur aus soziale Wesen. Wir lernen voneinander . . .


von Adam Somlai-Fischer, aus dem Englischen übersetzt von Gabriel Rath.

INFO

Adam Somlai-Fischer ist Mitbegründer von Prezi.com. Davor war er Mitbegründer und Leiter des Budapester Kücheninnovationslaboratoriums (Kitchen Budapest Innovation Lab) und arbeitete als Medienkünstler. Er gewann die World Technology Awards, New York, in der Kunstkategorie mit Usman Haque und stellte mehrmals auf der Biennale Venedig aus.

"Ungarn macht im Grunde dasselbe wie Österreich"

Österreichs Bauern in Ungarn fürchten um ihr Land. Aber nicht alle Landwirte verstehen die Aufregung um das neue Bodengesetz.

„Es ist eine regelrechte Hetze gegen Ausländer“, erzählt Heinrich Polsterer. Hier, am Rande „seines“ Ackers im ungarischen Györ, bekommt der österreichische Landwirt die frostige Stimmung gegen ihn und seine Landsleute auch zu spüren. Seit vier Jahren pachtet der Niederösterreicher 30 Hektar in Ungarn und baut dort Weizen und Roggen an. Sein Ansinnen, nach der gesetzlichen Wartefrist von drei Jahren auch Eigentümer zu werden, wurde abgeschmettert. Zu Unrecht, wie Polsterer findet.

Der 75-Jährige ist einer jener Landwirte aus Österreich, die im Mittelpunkt des jüngsten Streits zwischen Budapest und Wien stehen. Seit Ungarns rechtspopulistischer Regierungschef Viktor Orbán zum Kampf gegen „in- und ausländische Bodenspekulanten“ aufgerufen hat, ist Feuer auf dem Dach. Ein neues Bodengesetz soll es Ausländern praktisch unmöglich machen, ungarisches Land zu kaufen. Der österreichische Landwirtschaftsminister, Nikolaus Berlakovich, warnte Ungarn bereits vorsorglich vor „blanken Enteignungen“. Selbst EU-Binnenmarktkommissar Michael Barnier versicherte, sich die Causa genau ansehen zu wollen.

Umweg zum Glück. Seit 1994 gelten in Ungarn strikte Regelungen, wenn ein Nicht-Ungar Land kaufen möchte. Nur wer vorher drei Jahre lang als Pächter Landwirtschaft betrieben hat, bekommt eine Chance. Genau das hat Polsterer getan. Gereicht hat es trotzdem nicht. Sein Fall liegt beim Obersten Gerichtshof. Manch andere Österreicher hatten mehr Glück: Sie haben einen positiven Bescheid von den lokalen Behörden in der Tasche. Doch da diese zu dem Zeitpunkt gar nicht zuständig war, müssen auch sie jetzt um ihr Land zittern.

Schuld an der Misere sei nicht Ungarn allein. „Auch Österreicher haben Fehler gemacht“, sagt Christoph Hartig. Der 58-jährige Landwirt ist selbst Österreicher ungarischer Abstammung und stellvertretender Obmann des Ungarischen Vereins der Guts- und Immobilienbesitzer. „Im Zweifel sind die Österreicher die mit den Taschenverträgen, die in großem Stil nach Ungarn gekommen sind, um billig viel Land aufzukaufen“, sagt er.

Nach dem Fall des Kommunismus hätten Österreicher das Land gestürmt. Kein Wunder, schließlich kostete das Ackerland jenseits der Grenze einen Bruchteil des österreichischen Bodens. Wer schnell genug zugeschlagen hat, hat heute gut lachen. Aber nach 1994 wurden die Gesetze strenger, so einfach war der Kauf nicht mehr möglich. Viele suchten einen Umweg zum Glück: den Taschenvertrag. Die Österreicher kauften weiterhin ungarische Äcker – nur eben über lokale Strohmänner. Sie selbst hatten einen Vertrag in der Tasche, der sie zu Eigentümern machen sollte, wenn die restriktiven Bestimmungen 2014 fallen würden. „Viele haben sich typisch österreichisch gesagt: Wenn es Gesetze gibt, die uns nicht passen, versuchen wir es trotzdem“, sagt Hartig. „Ganz nach dem Motto: Wir werden es uns schon richten.“ Heute seien es just die Österreicher, die am lautesten schreien. Von den Italienern, die viel mehr Land in Ungarn besitzen, höre man keine Klagen.

Kritik am Bodengesetz. Bei Österreichs Botschaft in Budapest sieht man das anders. Mehr als ein Dutzend Bauern hätten sich gemeldet, weil sie um ihr Land fürchten, sagt der Agrargesandte, Ernst Zimmerl. Wahr sei aber auch, dass in den Medien vieles vermischt werde. Zwangsenteignungen in Naturschutzgebieten würden etwa auch Ungarn treffen. Problematisch sei es aber, wenn ein Kauf erst genehmigt und dann widerrufen werde. Kritisch sieht er auch das neue Bodengesetz. Orbán habe angekündigt, dass „kein Ausländer einen Quadratmeter“ bekommen werde.

Tatsächlich sieht das Gesetz restriktive Bestimmungen vor. Allerdings auch für Ungarn. Nur wer hauptberuflich als Bauer arbeitet, darf kaufen. Hartig versteht die Aufregung nicht: „Ungarn macht im Grunde dasselbe wie Österreich.“ Auch hier sei es für Nichtlandwirte schwierig und für Ausländer faktisch unmöglich, Äcker zu kaufen.

von Matthias Auer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Gusenbauer eben Marktwirtschaft
Vier Jahre Presse am Sonntag

Gusenbauer: "So ist das eben in der Marktwirtschaft"

Lästigen Journalisten muss Alfred Gusenbauer nun nicht mehr ständig antworten. Reisen kann er, wohin, und essen, was er will. Der ehemalige Bundeskanzler über das unnötige Tiki-Taka in der Tagespolitik, sein Verhältnis zum Geld und das Positive am politischen Engagement von Frank Stronach.
WEBSkandal Klavierspieler
Vier Jahre Presse am Sonntag

WEB-Skandal: Der Klavierspieler

Gerhard Schmid war der erste hochrangige Bankmanager in diesem Land, der zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Bis heute beteuert er seine Unschuld. Für viele ist auch er ein Opfer des Salzburger WEB-Skandals.
Vieles klingt lustig aber
Vier Jahre Presse am Sonntag

"Vieles klingt lustig, aber das war es nicht"

Freiheit war Mangelware im kommunistischen Polen. Auch tägliche Dinge wie Fleisch und Kleider waren knapp. Den Kampf in der Warteschlange kann man jetzt nachspielen.
Unternehmer gegen jeden Widerstand
Vier Jahre Presse am Sonntag

Unternehmer, gegen jeden Widerstand

Johann Gutenbrunner spricht Japanisch und Koreanisch, hat zehn Jahre im Ausland gelebt und Tourismus studiert. Trotzdem bekommt er die Reisebüro-Lizenz nicht. Die Geschichte eines Mannes, der mit allen Mitteln um seine unternehmerische Freiheit kämpft.
Proell Petz Leben nach
Vier Jahre Presse am Sonntag

Pröll & Petz: Das Leben nach dem Leben

Josef Pröll hat die erste Reihe der Politik verlassen. Christian Petz hat die erste Reihe der Gastronomie verlassen. Wie lebt es sich für die beiden eigentlich nach dem Neuanfang? Ein Gespräch.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.