Italien: „Mehr Trümmer als nach Weltkrieg“

Beppe Grillo
Beppe Grillo(c) EPA (GUIDO MONTANI)
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Ex-Komiker Grillo beharrt auf Fundamentalopposition. Italiens wiedergewählter Präsident Napolitano setzt alle Hebel in Bewegung, um doch noch eine Regierung zu finden.

Rom/Ag./Hd. Mit 87 Jahren hat man gemeinhin andere Pläne. Die hatte Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano auch. Er wollte sich nach seiner ersten, siebenjährigen Amtszeit in den wohlverdienten Ruhestand zurückziehen.

Stattdessen legte der Linkspolitiker am späten Montagnachmittag vor dem Parlament in Rom den Amtseid für eine zweite Periode ab. Musste ihn ablegen, denn er war der Einzige, auf den sich die heillos zerstrittenen politischen Lager Italiens einigen wollten.

Erste und wichtigste Aufgabe, die Napolitano auch sofort am Montag nach seiner Vereidigung angehen wollte, ist es, diese Lager doch noch zur Bildung einer Regierung zu bewegen. Seit der Parlamentswahl im Februar gibt es in dieser Richtung keinerlei Fortschritte zu vermelden. Berlusconis Mitte-rechts-Lager stünde für eine Koalition mit den linken Demokraten bereit, diese wollten sich jedoch bisher lieber von der Protestbewegung des Ex-Komikers Beppe Grillo unterstützen lassen. Doch Grillo will gar nichts, also keine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit den etablierten Parteien und den Politikern der „Kaste“.

Nach Stand der Dinge dürfte es am Ende auf eine Art Übergangsregierung hinauslaufen, deren parlamentarischer Rückhalt – wie schon im Falle des bisherigen Expertenpremiers Mario Monti – nur bis auf Widerruf besteht und deren Stabilität daher alles andere als garantiert wäre.

Amato Favorit als Premier

Als heißester Kandidat für den Posten des Regierungschefs wurde in Rom am Montag Giuliano Amato genannt. Der Jurist und Ökonom war bereits zwei Mal Premierminister (1992–1993 und 2000–2001) – und er ist auch schon bald 75 Jahre alt. Sollte er tatsächlich noch einmal Regierungschef werden, dann brächte er gemeinsam mit Napolitano stolze 162 Jahre zusammen.

Obwohl eine Ernennung Amatos noch gar nicht feststand, protestierte Grillos Bewegung „Fünf Sterne“ vorsichtshalber schon einmal heftig dagegen: Der ehemalige Starkomiker prophezeite neuerliche vorgezogene Wahlen in einem Jahr, die seine Protestbewegung dann gewinnen werde. „Italien wird mit der neuen Regierung nur Zeit verlieren“, meinte Grillo. Das Land befinde sich in einem Kriegszustand. „Es gibt mehr Trümmer als nach dem Zweiten Weltkrieg.“

Renzi will Demokraten führen

In der Demokratischen Partei, die bei der Parlamentswahl zwar das Abgeordnetenhaus für sich gewann, im gleichberechtigten Senat aber unterlag, macht sich derweil Matteo Renzi bereit, die Führung zu übernehmen. Der bisherige Parteichef Pier Luigi Bersani war ja am Samstag zurückgetreten, nachdem er mit seinem Vorhaben gescheitert war, den ehemaligen Premier und EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi auf den Sessel des Staatschefs zu hieven.

„Wir müssen die PD erneuern, um Italien zu erneuern“, erklärte Renzi im Interview mit der römischen Tageszeitung „La Repubblica“. Mit einem ambitionierten Programm will der Hoffnungsträger der italienischen Linken die Spaltungstendenzen seines Lagers, das nach Bersanis Rücktritt vor einem Scherbenhaufen steht, beenden und der Partei neuen Schwung verleihen. „Bersani ist mit seiner Strategie gescheitert. Wenn die Partei einen neuen Kurs einschlagen will, stehe ich zur Verfügung. Wenn sie nur ihre Führungselite verteidigen will, nicht“, erklärte der 38-jährige Renzi.

Der Toskaner, der sich in den vergangenen Tagen für vorgezogene Wahlen ausgesprochen hatte, erklärte sich zu einer Regierung mit Mitte-rechts-Chef Silvio Berlusconi bereit. Dieses Kabinett sollte mit einer beschränkten Amtszeit längst notwendige Reformen wie ein neues Wahlgesetz über die Bühne bringen.

Renzi sprach sich im Gegensatz zu anderen in seiner Partei gegen eine Allianz mit der Protestbewegung Grillos aus: „Grillo sagt unglaublichen Blödsinn. Wir müssen ihn herausfordern.“

Auf einen Blick

Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano (87) wurde am Montag zu einer weiteren, theoretisch siebenjährigen Amtszeit vereidigt. Es wird jedoch vermutet, dass Napolitano, der sich eigentlich gar nicht mehr zur Verfügung stellen wollte, sein Amt vorzeitig abgeben wird, sobald die jüngste politische Krise überwunden ist. Priorität ist die Bildung einer neuen Regierung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2013)

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