Zinsen

Die schädlichen Folgen der Geldpolitik

Die kurzfristigen Wirtschaftsaussichten haben sich verschlechtert, meint selbst EZB-Chefin Christine Lagarde.
Die kurzfristigen Wirtschaftsaussichten haben sich verschlechtert, meint selbst EZB-Chefin Christine Lagarde.Imago/Hannelore Foerster
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Zinsen. Die Kombination aus höheren Zinsen und Zurückhaltung bei den Staatsausgaben erhöht das Risiko einer schweren Rezession, fürchten Ökonomen.

Frankfurt. Die Lenker der Eurozone haben die Weichen für den größten Wachstumsschock seit Einführung der gemeinsamen Währung gestellt. Die Kombination aus höheren Zinsen und Zurückhaltung bei den Staatsausgaben droht das Wirtschaftswachstum zu drosseln und das Risiko einer schweren Rezession zu erhöhen.

Die zeitlich gestreckt eintretenden konjunkturellen Belastungen durch die im letzten Jahr begonnenen Zinserhöhungen werden im kommenden Jahr ihren Höhepunkt erreichen und die Wirtschaft mit 3,8 Prozent belasten, so eine Analyse von Bloomberg Economics auf der Grundlage ihres Shok-Modells. Der Effekt der Fiskalpolitik ist zwar deutlich kleiner, aber ein vorschnelles Ende von Unterstützungsmaßnahmen gegen die hohen Energiepreise könnte die Schrumpfung sogar auf fünf Prozent bringen.

Der doppelte Wachstumsschock spiegelt die Erhöhung der Zinssätze der Europäischen Zentralbank (EZB) um 425 Basispunkte wider, sowie die sich abzeichnende Rückkehr zur Ausgabenzurückhaltung auf europäischer Ebene, für die sich vor allem die deutsche Bundesregierung starkmacht. Die Kombination aus hohen Zinsen und fehlenden staatlichen Investitionen setzt die Eurozone von zwei Seiten unter Druck.

Politik zu sorglos?

„Die Gefahr besteht darin, dass die bisherige Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft zu Sorglosigkeit führt und die Straffung der Geldpolitik mit Verzögerung und einem Paukenschlag kommt“, sagt Jamie Rush von Bloomberg Economics, der die Studie zusammen mit Maeva Cousin verfasst hat. „In dem Moment könnten die Regierungen in einer ungünstigen Position sein, um die Konjunktur zu stabilisieren.“

Während die US-Notenbank jetzt eine weiche Landung für die USA erwartet, deuten die Berechnungen für die Eurozone darauf hin, dass sich die Aussichten für ein solches Szenario dort verschlechtern. Die Auswirkungen könnten den vorangegangenen Straffungszyklus vor der globalen Finanzkrise übertreffen und mit den Folgen der Staatsschuldenkrise vor einem Jahrzehnt vergleichbar sein.

Die Frage, ob die Wirtschaft robust genug ist, um diesen Druck ohne eine schädliche Rezession auszuhalten, ist das Dilemma, vor dem die EZB und die Finanzministerien stehen. Auf den Geldmärkten wird darauf gewettet, dass die Währungshüter einknicken und die Zinsen rasch senken werden, aber die offiziellen Signale der EZB deuten auf eine längere Phase höherer Zinsen hin.

Aussichten „verschlechtert“

Nachdem die EZB wegen des verspäteten Beginns der Straffung in die Kritik geraten ist, steht sie nun im Visier etlicher Politiker, weil die Zinserhöhungen nach anfänglicher wirtschaftlicher Widerstandsfähigkeit nun zu schmerzen beginnen. Die Eurozone umschiffte eine Winterrezession und erholte sich dann im zweiten Quartal, wenn auch mit einer ungleichmäßigen Entwicklung, da Deutschland stagnierte und Italien schrumpfte. Doch wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde letzten Monat eingeräumt hat, haben sich kurzfristige Wirtschaftsaussichten „verschlechtert“.

Im Jänner werden 18 Monate seit der ersten Zinserhöhung vergangen sein. Dann wird nach der gängigen Wirtschaftslehre der Höhepunkt der Auswirkungen erreicht. Zugleich endet die Aussetzung der EU-Fiskalregeln zur Begrenzung von Defiziten nach vier Jahren, in denen die Regierungen die Wirtschaft mit Geld versorgen konnten, um die Schocks der Pandemie und der Energiekrise abzufedern. Verhandlungen über einen neuen Rahmen laufen, doch dürfte wieder eine Art von Begrenzung kommen. Vor Kurzem haben sich die Finanzminister der Eurozone geeinigt, dass „eine schrittweise und realistische Haushaltskonsolidierung geboten ist“.

„In den nächsten zwölf Monaten werden wir erleben, dass wir den maximalen Effekt einer monetären Straffung zur gleichen Zeit wie eine fiskalische Straffung haben“, sagt Gregory Claeys, Senior Fellow bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. „Um ehrlich zu sein, bin ich ein wenig besorgt.“ Ein wichtiger Teil der Debatte ist die Frage, ob Regeln flexibel genug sein werden, um Regierungen in Zeiten wirtschaftlicher Anspannung eine Anpassung zu ermöglichen. Dies hat zu einer erneuten Spaltung zwischen den nord- und südeuropäischen Ländern geführt, wobei eine von Deutschland angeführte Gruppe automatische Begrenzungen fordert, während andere wie Frankreich für Flexibilität eintreten.

Populismusgefahr

Auch ohne den Regimewechsel in der EU könnten die aus der Corona-Zeit stammenden hohen Schuldenstände, die höheren Finanzierungskosten und die ständige Überwachung durch die Märkte den Handlungsspielraum einschränken. Sollte es zu einem Konjunktureinbruch kommen, würde die EZB nicht zuletzt im Vorfeld der Europawahlen im Juni 2024 in den Fokus politischer Scharfmacher geraten. Die Zentralbank ist zwar unabhängig, aber Angriffe auf ihre Politik werden nicht leicht zu ertragen sein. „Es wird immer schwieriger werden, die Beibehaltung der hohen Zinsen zu verteidigen“, so Raffaella Tenconi von ADA Economics. „Wenn es keinen Schwenk gibt, wird das nächste Jahr brutal schmerzhaft werden.“ (Bloomberg)

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