Erdgas: Eine schwere Geburt mit anderem Namen

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Nabucco ist tot. Aber nach über zehn Jahren träumen erhält die EU künftig doch endlich Gas aus dem Kaspischen Raum. Der große Sieger ist die Türkei.

Moskau. Wladimir Putin hat sich durchgesetzt und die Nabucco verhindert: Mit Häme reagierte man gestern in russischen Internetforen auf das Aus für die Nabucco-Pipeline. Es entspricht dem Niveau solcher Plattformen, ist aber auch repräsentativ für den Wissensstand hinsichtlich der diskutierten Gasströme aus dem Kaspischen Raum.

Europa erhält ab Ende 2017 nämlich sehr wohl zum ersten Mal jenes Gas aus Aserbaidschan, das es sich auch gewünscht hat. Dass dieses von der Westtürkei aus nicht durch die sogenannte Nabucco nach Wien, sondern durch die Transadriatische Pipeline (TAP) über Griechenland nach Italien und von dort vielleicht noch in andere Länder Europas fließt, mag die Österreicher wurmen. Europa als Ganzes genommen ist mit seinem Versuch, Gas über den sogenannten Südkorridor in Umgehung Russlands aus dem Kaspischen Raum zu beziehen und so die einseitige Abhängigkeit von Russland zumindest ein wenig zu verringern, letztendlich doch erfolgreich gewesen. Denn auch wenn das Kind nun einen anderen Namen und einen anderen vorgezeichneten Lebensweg hat: Eine schwere Geburt, die mehr als zehn Jahre gedauert hat und durch eine stringentere Koordination der EU anders und vor allem schneller hätte verlaufen können, ist vollzogen.

EU hoffte auf Ressourcen in Turkmenistan

Zustande gekommen ist sie etappenweise. Als Nabucco-Projekt 2002 von der österreichischen OMV gewissermaßen gezeugt und von der russischen Regierung immer belächelt, erlebte der Embryo eine Vielzahl von Transformationen. Das hatte auch mit der Komplexität der Materie zu tun. So war man sich zwar in Europa grundsätzlich einig, dass man Lieferanten im Kaspischen Raum für sich gewinnen möchte. Auch stieg die Überzeugung von dieser Notwendigkeit ab dem Jahr 2006, als die Gaskonflikte zwischen Russland und dem Transitland Ukraine eskalierten und auch zu Lieferengpässen im Westen führten, rapide an. Aber dennoch fehlte es die längste Zeit an einem koordinierten Vorgehen seitens der EU.

Erst als mit Günther Oettinger ein EU-Kommissar für Energie installiert wurde und in dieser Funktion 2010 erstmals in den Kaspischen Anrainerstaaten aufzutauchen begann, kam Bewegung in das Unterfangen. Beschleunigt wurde es durch den Fund des viertgrößten Gasfeldes der Welt in Turkmenistan. Nur zu gern hätte die EU an diesen Ressourcen angedockt. Und nur zu gern hätte sie die angedachte Nabucco-Pipeline mit dem Gas aus den drei Quellen – Turkmenistan, Aserbaidschan und Nordirak – gefüllt.

Türkei als Gewinner

Was als vernünftiger Dreieransatz zur Vermeidung neuerlicher Abhängigkeiten daherkam, war aber gleichzeitig einer der größten Schwachpunkte des Unterfangens. Abgesehen davon, dass Russland eine Lieferung turkmenischen Gases durch das Kaspische Meer mit allen Mitteln torpediert, erwies es sich als schwierig, die drei potenziellen Lieferanten zu koordinieren. Am Ende nahm Aserbaidschan, das sich möglichst schnell aus seiner schwierigen geopolitischen Lage durch die Schaffung neuer Exportrouten befreien wollte, das Heft in die Hand. In Koordination mit BP, mit dem es gemeinsam das große Gasfeld Shah-Deniz erschließt, kam es zur Kooperation mit der Türkei, die sich immer mehr ihrer Rolle als Transitland bewusst wurde. Am Ende einigte man sich darauf, ohne Abstimmung mit der EU eine neue Pipeline durch Anatolien (TANAP) bis in die Westtürkei zu errichten und von dort dann entweder einen Strang nach Österreich oder eben – wie jetzt entschieden – nach Italien hinzuzustückeln.

Wenn sich also jemand in der Frage des Südkorridors, der lange auf die Marke Nabucco reduziert war, durchgesetzt hat, dann nicht Russland, sondern die Türkei. Sie nämlich hat mit der TANAP als Transitland für Gas eine Bedeutung gewonnen, die in der Öffentlichkeit noch nicht angemessen registriert wurde. Während Europa in den vergangenen Jahren ständig nach Moskau schielte, wurde mancher Poker zwischen Russland, Aserbaidschan und der Türkei in Istanbul entschieden.

Für Russland bleibt, das Faktum der europäischen Diversifizierung des Gasimports zu konstatieren und zur Kenntnis zu nehmen. Aber auch die Diversifizierung gilt es differenzierter zu betrachten und weniger hysterisch zu diskutieren. Europa sieht in den Lieferungen vom Kaspischen Meer den Durchbruch, die Abhängigkeit von Russland zu verringern. Russland wiederum fürchtet, das Monopol auf die Lieferungen aus dem Osten zu verlieren. Beide Positionen haben zwar ihre Berechtigung, müssen aber entmythisiert werden.

Russland liefert 150 Mrd. Kubikmeter

Wahr ist, dass Russland, das bislang sein Gas über die drei „nördlichen Exportwege“ – sprich die Ukraine, Weißrussland und die Nord-Stream durch die Ostsee – nach Europa liefert und Europa mit einer South-Stream-Pipeline über den Südkorridor gern in die Zange genommen hätte, nun kein Monopol mehr auf dem Südkorridor errichten kann. Wahr ist auch, dass Russland die South-Stream-Pipeline nicht unbedingt für zusätzliche Gaslieferungen nach Europa verfolgt, sondern als Ersatzroute, um den Transit durch die schwierige Ukraine vermehrt zu umgehen.

Wahr ist aber auch, dass Westeuropas Diversifizierung auf dem Südkorridor zwar große Symbolkraft hat, in der Menge aber eher mickrig ausfällt. Hätten über die ursprüngliche Variante der Nabucco-Pipeline 31 Mrd. Kubikmeter fließen sollen, so landen nun über die TAP gerade einmal zehn Mrd. Kubikmeter in Italien, was etwas mehr als dem österreichischen Jahresverbrauch entspricht. Gewiss, die EU geht davon aus, dass das Spiel mit Aserbaidschan eben erst begonnen hat und Europa mittelfristig an die 50 Mrd. Kubikmeter aus dem Kaspischen Raum bezieht.

Gegenwärtig aber ist dennoch zu betonen, dass Russland jährlich an die 150 Mrd. Kubikmeter nach Europa liefert und dort etwa ein Viertel des Bedarfs deckt. Ob es den Marktanteil – wie von Moskau gewünscht – ausbauen kann, steht in den Sternen und hängt von vielen Faktoren auf dem sich rapide ändernden Gasmarkt ab. In jedem Fall findet der Energieclinch Russlands mit Europa nicht auf dem Südkorridor statt. Die Schauplätze des Zwists tragen Namen wie Flüssiggas, Drittes EU-Energiepaket und Razzien gegen den Gazprom-Konzern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2013)

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