Alpine-Baustellen: „Jedes Projekt einzeln anschauen“

Alpine Baustellen
Alpine Baustellen (c) EPA (ULI DECK)
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Nicht immer muss ein aufwendiges neues Ausschreibungsverfahren sein, sagen Experten. Mitunter kann die Neuvergabe auch rascher gehen.

Wien. „Ich habe den Eindruck, dass viele Auftraggeber jetzt voreilig die Flinte ins Korn werfen“, sagt Manfred Essletzbichler, Vergaberechtsexperte bei Wolf Theiss. Zu viel vorauseilender Gehorsam werde da geübt, vermutet der Anwalt. Bei jenen öffentlichen Stellen nämlich, die sich mit der Neuvergabe von Bauprojekten der insolventen Alpine herumschlagen müssen. Und sich bereits auf neuerliche langwierige Ausschreibungsverfahren und monate- bis jahrelange Bauverzögerungen einstellen („Die Presse“ berichtete).

Um Missverständnissen vorzubeugen: Dass für die öffentlichen Bauaufträge neue Vergabeverfahren nötig sind, steht außer Zweifel. Die Frage ist aber, ob in jedem Fall das volle Programm – inklusive langer Ausschreibungsfristen – gefahren werden muss. Oder ob man auf raschere Verfahrensarten ausweichen kann. „Da muss man sich jedes einzelne Projekt individuell anschauen“, sagt Essletzbichler.

Konkret könnte seiner Ansicht nach in manchen Fällen das „Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung“ ins Spiel kommen. Dabei genügt es, dass der Auftraggeber mindestens drei Unternehmen einlädt, ein Angebot zu legen. Danach wird darüber verhandelt. Erlaubt ist das laut Gesetz, wenn aus „dringlichen, zwingenden Gründen, die nicht dem Verhalten des Auftraggebers zuzuschreiben sind“, die vorgeschriebenen Fristen nicht eingehalten werden können. Diese Gründe müssen „im Zusammenhang mit Ereignissen, die der Auftraggeber nicht voraussehen konnte“, stehen. All das kann bei einer Großinsolvenz wie dieser gegeben sein, könnte man meinen. Auch Essletzbichler sieht das so.

Was ist ein „zwingender Grund“?

Die herrschende Lehre ist da allerdings anderer Ansicht. Als dringlichen, zwingenden Grund lässt sie praktisch nur die Gefahr für Leib und Leben gelten, etwa nach Naturkatastrophen. „Das steht aber so nicht im Gesetz“, sagt Essletzbichler, in Österreich gebe es zum Thema Insolvenz auch noch keine Judikatur. Wohl aber in Deutschland: Dort habe die Vergabekammer des Bundes in einem Fall die Pleite eines Auftragnehmers als einen solchen Grund anerkannt. Das könnte auch für Österreich Aussagekraft haben, meint er, zumal die vergaberechtlichen Regeln in beiden Ländern ähnlich sind.

Stephan Heid von der auf Vergaberecht spezialisierten Kanzlei Heid Schiefer sieht das anders. Er verweist auf die EuGH-Rechtsprechung: Diese sei restriktiv und lasse rein wirtschaftliche Interessen nicht gelten. Dass eine Insolvenz als „zwingender Grund“ anerkannt wird, sei nur in Ausnahmefällen denkbar, etwa bei dringend benötigten Medikamentenlieferungen an ein Spital. „Bei Infrastrukturaufträgen aber kaum. Vielleicht bei einer einsturzgefährdeten Brücke.“ Von den Alpine-Auftraggebern, die nun Neuausschreibungen vorbereiten, zeigt er sich „angenehm überrascht“ – weil sie eben sichtlich nicht versuchen, auf „nur vermeintlich passende Ausnahmebestimmungen“ auszuweichen.

Dass es legale, weniger zeitaufwendige Verfahrensvarianten gibt, die zumindest bei einigen der Alpine-Baustellen greifen können, bestätigt allerdings auch er. Naturgemäß betrifft das vor allem solche mit nicht allzu großem (Rest-)Volumen. So dürfen Aufträge bis 100.000 Euro direkt vergeben werden. Jedenfalls bis Jahresende, so lange die – schon mehrmals verlängerte – Schwellenwerteverordnung noch gilt. Bis 500.000 Euro ist eine Direktvergabe mit vorheriger Bekanntmachung möglich. Und bis zu einer Million Euro Auftragswert (ebenfalls laut Schwellenwerteverordnung) kann man auf ein Verfahren zurückgreifen, bei dem, ähnlich wie beim schon erwähnten Verhandlungsverfahren, mindestens drei Unternehmen zum Mitbieten eingeladen werden („nicht offenes Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung“).

Aufträge legal splitten

Bei Projekten, die insgesamt den Schwellenwert für EU-weite Ausschreibungen nicht überschreiten, kann man auch einzelne Leistungen extra vergeben, so Essletzbichler. „Zum Beispiel das Aufgraben, das Liefern von Rohren oder Schalungsarbeiten.“ Der EU-Schwellenwert liegt im Baubereich bei fünf Millionen Euro. Aber selbst bei größeren Aufträgen muss nicht zwingend alles EU-weit ausgeschrieben werden: Laut Heid können bis zu 20 Prozent solcher Großprojekte nach den österreichischen Regeln vergeben werden. Voraussetzung: Jedes einzelne „Gewerk“ darf nicht mehr ausmachen als eine Million Euro.

Und was passiert, wenn ein Auftraggeber die falsche Verfahrensart wählt und zum Beispiel etwas direkt vergibt, was ausgeschrieben werden müsste? Beschwert sich ein Konkurrent, kann der Vertrag für nichtig erklärt und sogar eine Geldbuße verhängt werden. Auch Schadenersatzansprüche übergangener Mitbewerber können entstehen.

In Grenzfällen können sich Auftraggeber dagegen aber absichern, so Essletzbichler. Und zwar durch eine sogenannte „freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung“. Dabei veröffentlicht man vor Vertragsabschluss – und in einer bestimmten, vorgeschriebenen Form – die beabsichtigte Vergabe. Zehn Tage lang können Wettbewerber dann die Unterlassung verlangen, danach kann aber niemand mehr anfechten. Ein Freibrief, sich am Vergaberecht vorbeizuschummeln, sei das aber nicht, sagen beide Experten. In der Praxis versuche das auch niemand. Im Extremfall könnten sogar strafrechtliche Konsequenzen drohen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2013)

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