Europäischer Staatsanwalt: „Wir schaffen eine kleine, schlagkräftige Truppe“

Justizkommissarin Viviane Reding
Justizkommissarin Viviane Reding(c) EPA (Christophe Karaba)
  • Drucken

Justizkommissarin Viviane Reding hofft, dass möglichst viele EU-Mitglieder bei dem Projekt mitmachen.

Die Presse: Inwieweit hat die von Ihnen vorgeschlagene Europäische Staatsanwaltschaft auch eine pädagogische Funktion? Wollen Sie die nationalen Behörden zu mehr Zusammenarbeit erziehen?

Viviane Reding: Eine Ermittlung hört heute viel zu oft an den Staatsgrenzen auf. Unsere Justizsysteme sind ja über Jahrhunderte gewachsen, diese Verschiedenheit ist also normal. Deshalb muss man zunächst einmal zentral die Marschrichtung vorgeben. Der Plan sieht vor, dass die delegierten Staatsanwälte der betroffenen Länder ihre Vorgangsweise auf europäischer Ebene koordinieren, dann gemeinsam zuschlagen und anschließend den Fall auf Basis der nationalen Rechtslage vor die eigenen Gerichte bringen. Das von Ihnen angesprochene erzieherische Element betrifft eher die Kriminellen. Denn die können sich heute hinter nationalen Grenzen verstecken. Jetzt werden sie lernen, dass das nicht mehr geht.

Der Löwenanteil der Ermittlungsarbeit soll ja von Staatsanwälten der EU-Mitglieder erledigt werden. Haben Sie keine Angst vor eventuellen Interessenskonflikten? Denn schließlich müssen die Betroffenen ihre „nationale“ Arbeit zurückstellen, um sich um europäische Belange zu kümmern.

Jeder Staat soll mindestens einen sogenannten abgeordneten europäischen Staatsanwalt bereitstellen – wie das funktionieren wird, müssen wir uns noch im Detail ansehen. Diese Person muss die europäischen Fälle prioritär behandeln, das wird zwischen den EU-Mitgliedstaaten und dem zentralen Europäischen Staatsanwalt genau geregelt. Diese öffentlichen Ankläger werden dezentralisiert und in voller Unabhängigkeit ihrer Arbeit nachgehen können.

Aber die von Ihnen angesprochene Priorität lässt sich doch nicht von Brüssel aus erzwingen.

Wenn es zu einem Interessenskonflikt – welcher Art auch immer – kommen sollte, dann muss das natürlich geklärt werden. Ich gehe aber davon aus, dass es bei Ausnahmefällen bleiben wird. In der Regel wird der delegierte Staatsanwalt die Verantwortung für die europäischen Fälle auf seinem Staatsgebiet haben, dafür wird er ja auch ernannt.

Stichwort Interessenskonflikt: Wie weit gibt es ihn auch auf nationaler Ebene? Vielen Ländern ist ja das Hemd näher als der Rock, nationale Betrugsfälle wichtiger als EU-Gelder.

Das ist eine sehr wichtige Frage. Für einen Luxemburger Staatsanwalt, der an einem nationalen Fall arbeitet, bei dem es um hohe Geldsummen geht, ist das EU-Budget weit entfernt. Das ist genau der springende Punkt: Niemand fühlt sich richtig verantwortlich für EU-Mittel. Und genau das soll durch das neue System geändert werden. Alle Staaten, die bei dem Projekt mitmachen, sollen sich für das europäische Budget verantwortlich fühlen. Aber nicht durch ein System, das quasi von außen auferlegt wird, sondern durch eine auf nationaler Ebene verankerte Lösung. Wir schaffen ja keinen großen europäischen Apparat, sondern eine kleine, aber schlagkräftige Truppe, die gemeinsam Entscheidungen trifft und sie dann national ausführt...

...auch um eventuellen nationalen Abwehrreaktionen vorzubeugen.

Das liegt ja auch in der Natur der Sache, also in der Verschiedenheit der europäischen Justizsysteme. Die EU-Kommission hat ja auch nicht die Aufgabe, das zu ändern.

Ließe sich dasselbe Ziel nicht auch durch eine Stärkung der bereits vorhandenen Agenturen Eurojust und OLAF erreichen?

Nein, das geht nicht. OLAF beispielsweise darf nicht im strafrechtlichen Bereich aktiv werden, das ist in den Verträgen nicht vorgesehen. Und Eurojust darf überhaupt keine Ermittlungen einleiten. Genau deswegen wurde dieser spezifische Artikel in den Vertrag von Lissabon eingebaut – ebenso wie der Automatismus einer verstärkten Zusammenarbeit, wenn nicht alle EU-Mitglieder mitmachen wollen, was sich abzeichnet.

Mit wie vielen Teilnehmern rechnen Sie? Großbritannien, Irland und Dänemark sind nicht zum Mitmachen verpflichtet. Bleiben also 25.

Mindestens neun müssen es sein. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es mehr als neun sein werden.

Aber weniger als 25?

Das ist natürlich möglich, aber jetzt muss erst einmal verhandelt werden.

Sie haben die EU-Betrugsbehörde OLAF angesprochen. Ihre Kompetenzen werden ja im Zuge dieser Umgestaltung geschmälert und sie bekommt einen unabhängigen Prüfer der Verfahrensgarantien beigestellt. Soll OLAF dadurch in die Schranken gewiesen werden?

Nein. OLAF hat eigentlich eine andere Zielsetzung. Die Agentur ist geschaffen worden, um administratives Fehlverhalten zu ahnden. OLAF hat keine strafrechtlichen Befugnisse – und kann folglich nicht die Aufgaben verrichten, die der Europäische Staatsanwalt überantwortet bekommt. Ein Teil der für OLAF tätigen Beamten kann allerdings zu der neuen Stelle übersiedeln, um dort die administrative Vorarbeit zu leisten.

Also wollen Sie OLAF-Ressourcen umschichten.

Genau. Aber die Zuständigkeiten von OLAF werden nicht beschnitten.

Zur Person

Viviane Reding ist seit 1999 Mitglied der EU-Kommission.
Die Luxemburgerin hat sich als zuständige Kommissarin für Justiz und Grundrechte vor allem durch ihre offene Kritik gegenüber einzelnen EU-Regierungen profiliert. Sie schreckte nicht davor zurück, sich mit Frankreichs Ex-Präsident Sarkozy wegen dessen Roma-Politik anzulegen. Auch die Politik von Ungarns Premier Orbán wurde von ihr scharf kritisiert. Redings jüngster großer Plan für einen verbesserten Datenschutz wird derzeit noch von einigen Mitgliedstaaten blockiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Leitartikel

Brüssel entgleiten Macht und Einfluss

Im Kampf gegen Betrug mit EU-Fördermitteln will die Kommission etwas erlangen, was ihr in vielen Bereichen abhandengekommen ist: ein Durchgriffsrecht.
EU Betrugsfälle.
Europa

Betrugsfälle: Millionen in der Weinkiste

EU-Gelder werden gern einmal fehlgeleitet oder sind Anlass für Bestechungen. Teilweise waren es auch systematisch falsche Rechnungslegungen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.