Findet die Fabrik zurück in die Stadt? Und bringt das etwas?

Seit der Finanzkrise hoffen viele Länder auf eine Rückkehr der Industrie. Trotz Platzmangels und hoher Löhne sollen die Fabriken auch die Städte zurückerobern.

Wien. Detroit ist pleite. In Liverpool lebt jeder dritte Haushalt von Sozialleistungen. Der industrielle Niedergang hat die einstigen Metropolen der Fabrikanten in die Armut gestürzt. Jahrelang wurde die Industrie von den Städten wie ein ungeliebtes Stiefkind aus der Vergangenheit behandelt. Die Folge: Produktionsstätten wichen in das Umland oder gleich auf andere Länder und Kontinente aus. Alte Industriestaaten wie Großbritannien setzten stattdessen auf Dienstleistungen und den Staat als Arbeitgeber. Doch seit der Finanzkrise bauen Banken und Behörden Stellen ab. Angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen träumen viele von einer neuen industriellen Revolution: Die Fabriken sollen zurück in die Städte.

Weniger Industrie in Städten

Aber ist das so einfach möglich? Und wenn ja, brächte es das, was sich die Politiker davon erhoffen? Genau mit dieser Frage beschäftigt sich derzeit der Ökonom Peter Mayerhofer am Wiener Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Und seine erste Einschätzung ist wenig ermunternd.

„Ich bin sehr skeptisch, was die Re-Industrialisierung von Städten angeht“, sagt er zur „Presse“. Es sei zwar klar, dass die Industrie für eine Volkswirtschaft, ja sogar für eine Region von entscheidender Bedeutung sei. Aber für die Städte selbst hätten Produktionsbetriebe in den vergangenen Jahrzehnten massiv an Bedeutung verloren.

Kommt nur die „joblose Fabrik“?

Er illustriert die Entwicklung am Beispiel Wien: 1970 waren noch 300.277 Wiener in der Sachgüterproduktion beschäftigt. Bis ins Jahr 2007 sank ihre Zahl um 60 Prozent auf 118.017. Der Anteil der Industriearbeiter an allen Wiener Beschäftigten beträgt heute nur noch neun Prozent, so ein Ergebnis der Studie „De-Industrialisierung in Wien (?)“. Ohne den Rückgang der Fabriksjobs wäre die Beschäftigung der Arbeiter und Angestellten in Wien seit Mitte der Neunziger nicht um 3,5 Prozent gesunken, sondern um zwei Prozent gestiegen. „Die eigentliche Produktion ist nicht mehr in der Stadt“, sagt Mayerhuber. „Das wird sich auch mit der erhofften Re-Industrialisierung nicht mehr ändern.“

Denn die Wiener Betriebe sind nicht etwa abgewandert, weil die Löhne zu hoch, die Auflagen zu streng oder die Arbeiter zu faul wären. Im Gegenteil: Die Wiener Arbeiter zählen immer noch zu den produktivsten der Welt. Die Arbeitskosten pro Stück sind seit 1995 laut dem aktuellen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit Wiens um elf Prozent zurückgegangen. Viel stärker als in 65 ähnlichen Großstädten, die nur ein Minus von 3,7 Prozent aufweisen können.

Die vermeintliche Abwanderung der Wiener Industriebetriebe ist vielmehr Effekt der hohen Produktivitätsgewinne. Immer weniger Arbeiter schaffen immer mehr Output. Das wird auch bei einer Re-Industrialisierung so sein, erwartet Mayerhuber. Denn die Rückkehr der Fabriken in Hochlohnländer müsse zwangsläufig auf ein hohes Maß an Automatisierung setzen. Mit der „joblosen Fabrik“ verliere die Industrie in den Städten aber ihren Nimbus als „Beschäftigungsmotor.“ Genau den könnten Städte wie Wien aber gut gebrauchen. Denn die Bundeshauptstadt hat zwar einen starken Zuzug an jungen Menschen zu verzeichnen, schafft es aber bisher nicht, die Neuankömmlinge auch in der Wirtschaft unterzubringen.

Teuer, aber gut ausgebildet

Die Nachteile der Stadt als Produktionsstandort blieben bestehen, so Mayerhuber: hohe Löhne, wenig Platz, viele Anrainer und schwache Verkehrsanbindung. Aber es gibt auch Vorteile. Auf sie konzentriert sich das deutsche Fraunhofer-Institut, das derzeit einen Innovationscluster aufbaut, der die Verlagerung von Produktionsstandorten vom Land in die Stadt erforschen und erleichtern soll. Bei der Frage, wo die Rückkehr der Industrie gelingen kann, sind sich die Forscher einig: Überall dort, wo es um mehr geht als reine Massenproduktion, wo gut ausgebildete Arbeiter und die Nähe zur Entwicklungsabteilung gebraucht werden, haben Städte gute Karten.

Auf einen Blick

Hohe Löhne, wenig Platz, viele Anrainer, Auflagen und schwache Verkehrsanbindung: Die Probleme von Fabrikanten in der Stadt ändern sich kaum. Dennoch setzen viele Länder nach der Finanzkrise auf eine Re-Industrialisierung der Ballungszentren.

Das erhoffte Jobwunder bringe das aber nicht, warnt Wifo-Forscher Peter Mayerhuber. Die Automatisierung lasse die Jobs in der Industrie stetig sinken. Allein Wien verlor seit den Siebzigern 60 Prozent der Fabrikarbeiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2013)

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