Eine verlängerte Schulbank reicht nicht

Der Vorschlag für eine Ausbildungspflicht bis 18 sollte die Debatte darüber antreiben, was schon bisher auf dem regulären österreichischen Bildungsweg schiefläuft.

Die Situation sorgt für Unverständnis und Frustration aufseiten der Eltern genauso wie bei Wirtschaftstreibenden. Mütter und Väter und auch betroffene Jugendliche selbst sind enttäuscht: Für den Herbst findet sich für so manchen Schulabgänger kein Ausbildungsplatz. Ein Einstieg in den Arbeitsmarkt ist nicht möglich, obwohl etliche Betriebe dringend Lehrlinge suchen. Unternehmer wiederum beklagen, dass so mancher Absolvent nach neun Jahren Schulpflicht nicht ausreichend schreiben und rechnen kann. Diese Fakten sind ernüchternd, nicht nur für die Betroffenen. Sie sind auch ein Beleg dafür, dass das österreichische Schulwesen Reparaturbedarf aufweist. Immerhin wird im internationalen Vergleich viel Geld dafür ausgegeben.

Der Integrationsbericht, der heute, Dienstag, vorgestellt wird, ist diesbezüglich eine Art Weckruf – zufällig mitten im Nationalratswahlkampf: Ja, es gibt auch hierzulande tausende Junge, die ihre Schulpflicht absolviert haben und keine Zukunftsperspektive haben. Auch wenn andere EU-Länder, in denen junge Menschen massenweise keine Arbeit finden, noch neidvoll nach Österreich blicken und sich das heimische duale Berufsausbildungssystem in Betrieb und Schule als Vorbild anschauen.

Für unmittelbar Betroffene ist die Situation dennoch auch hier deprimierend: Für sie besteht akute Gefahr, ein Leben lang von den Sozialleistungen des Staates abhängig zu sein. Damit ist indirekt ein weit größerer Personenkreis „betroffen“. Denn dahinter steht die Frage, ob Steuerleistungen und Beitragszahlungen der Bürger für das Sozialsystem nicht frühzeitiger und sinnvoller eingesetzt werden könnten und sollten.


Es wäre auch kurzsichtig, all das bloß als ein Problem für Kinder von Migranten abzutun, nur weil deren Anteil im Segment der Schulabbrecher und jener ohne Ausbildung viermal so groß ist. Österreich wird – da genügt ein Blick auf die Geburtenstatistik – auch die Jungen mit Migrationshintergrund dringend brauchen, um seinen Wohlstand halten zu können. Einmal ganz abgesehen vom möglichen sozialen Sprengstoff bei einem Anwachsen der Zahl der Unzufriedenen ohne Perspektive.

So gesehen ist es begrüßenswert, dass der Expertenrat, der an dem Integrationsbericht gearbeitet hat, den Vorschlag macht, statt der neunjährigen Schulpflicht eine Ausbildungspflicht bis zum 18.Lebensjahr einzuführen. Es ist immerhin ein konkreter Denkanstoß. Damit würde praktisch eine Art staatliche Nachhilfe geleistet werden, um das Abrutschen ins Sozialnetz zu vermeiden.

Mit etlichen Aktivitäten – von Lehrwerkstätten bis hin zu Coachingmaßnahmen – hat die Regierung schon seit einiger Zeit einen Weg eingeschlagen, mit dem eine „verlorene Generation“ Jugendlicher verhindert werden soll. Freilich bleibt ein Manko: Schon das ist teuer – und eine nachträgliche Reparatur.


Ein Paradebeispiel für Versäumnisse zeigt sich bei den Polytechnischen Schulen. Für die (Schul-)Politiker fristete das Polytechnikum in der Vergangenheit stets bestenfalls eine Stiefmütterchenexistenz. Eine Aufwertung, wie nun für den Herbst angekündigt, wurde für das Polytechnikum auch nicht zum ersten Mal versprochen.

Viel war in der jüngeren Vergangenheit davon die Rede, wie entscheidend die frühe Förderung von Mädchen und Buben schon im Kindergarten ist. Dabei rückte in den Hintergrund, wie wichtig es etwa in Volksschulen ist, Rechtschreiben und Rechnen entsprechend intensiv zu lernen und zu üben.

Oder: Seit Monaten und Jahren wird zwar auf Teufel komm raus um ein neues Dienstrecht für die Lehrer gerangelt. In weiterführenden Schulen nach der Grundstufe wäre man schon froh, würde beim Entrümpeln von Lehrplänen nur ähnlich viel Energie entwickelt. Dann wäre vielleicht auch Zeit, Schülern mehr Wissen über die Wirtschaft nahezubringen, so wie das engagierte Lehrer jetzt schon quasi in Eigenregie machen.

Bei einer Ausbildungspflicht bis 18 Jahre ist hingegen die Gefahr groß, dass es sich einfach um eine bloße Verlängerung der Schulzeit handelt. Vor allem: Der Druck, zuvor im Schulwesen etwas zu ändern, wird dadurch bestimmt nicht steigen.

E-Mails an: karl.ettinger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2013)

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