„Männer töten“

Das Matriarchat mitten in Oberösterreich

Eva Reisinger

Foto: Clemens Fabry
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In ihrem Debütroman „Männer töten“ entwirft Eva Reisinger eine matriarchale Gemeinde in Oberösterreich, die vor Selbstjustiz nicht zurückschreckt.

Auf den ersten Blick ist Engelhartskirchen wie jedes beliebige kleinere Dorf in Oberösterreich: Es gibt eine Kirche, ein Wirtshaus, ein Lagerhaus und einen Friedhof. Und doch hebt es sich nach näherer Betrachtung von vergleichbaren Gemeinden ab. Zum einen ist es – um ganz transparent zu bleiben – fiktiv, immerhin ist es der Schauplatz für Eva Reisingers Debütroman „Männer töten“, der am Montag erschienen ist. Zum anderen gestalten hier auffallend viele Frauen das öffentliche Leben, eine Pfarrerin hält etwa die Messe in der ansonsten herkömmlich katholischen Gemeinschaft, eine Postlerin trägt die Briefe aus, die Tierärztin ist gerade unterwegs und versucht als Kabarettistin durchzustarten. Der Rest der Dorfbewohnerinnen ist laut, raumgreifend, trinkt gern, hantiert mit Gewehren, kümmert sich um die Viehzucht. Männer gibt es sehr wohl auch, aber die hüten sich davor den Frauen in die Quere zu kommen, denn viele die negativ auffallen, überleben nicht lange. Protagonistin Anna Maria ist gerade erst von Berlin wieder zurück nach Oberösterreich gezogen und Landwirt Hannes nach Engelhartskirchen gefolgt. Viele der Frauen, die sich in diesem Dorf jung als Witwen wiederfanden, haben mehr als das gemein: Sie haben Gewalterfahrungen gemacht und sich daraufhin kurzerhand in Selbstjustiz geübt.

In der Provinz

Den Anstoß zur Romanidee gab Reisinger ihre Arbeit als Journalistin. Nach der Ibiza-Affäre in Wien durfte sie ihren deutschen Kollegen bei der „Zeit“ und natürlich ihren Lesern regelmäßig die Alpenrepublik erklären. Als Österreich-Korrespondentin schrieb sie über diverse Themen von Politik über Skifahren, Schnitzel bis Landjugend, woraus dann auch ihre Essaysammlung „Was geht, Österreich?“ entstanden ist. Sie selbst ist übrigens nahe Wels aufgewachsen, „zwischen Zeltfest und Wodka Bull“, wie es auf ihrer Webseite heißt. 

2019 erreichte dann die Anzahl der Femizide in Österreich schon im Jänner abermals ein Rekordhoch im Vergleich zu den Jahren zuvor und Reisinger schrieb dazu einen Artikel, interviewte Expertinnen, Frauenhäuser. „Ich hatte das Gefühl, ich hätte jeden meiner Sätze so oder ähnlich schon irgendwo gelesen. Ich war ermüdet davon, immer das gleiche über dieses Thema zu schreiben und zu lesen, ohne dass sich die Situation verändert. Mit meiner journalistischen Arbeit stand ich bei dem Thema an“, sagt Reisinger. Auch eines gewissen Abnützungseffekts konnte man sich als Nachrichtenkonsument zeitweise schwer erwehren, es gab oft wenig persönlichen Bezug zu den Opfern. Es war zu dieser Zeit, dass Reisinger anfing in Stichworten eine Romanidee zu umreißen: eine fiktive matriarchale Gemeinde in Oberösterreich begann in ihren Gedanken Form anzunehmen.

»Wie die Öffentlichkeit mit den Opfern in der Causa Rammstein umgeht ist abermals ein Beispiel dafür, wie es nicht sein sollte.«

„Ich hatte nie den Traum vom eigenen Roman, es ist einfach passiert“, so Reisinger. Über zwei Jahre hinweg hat die Oberösterreicherin Seiten geschrieben und wieder verworfen und dabei langsam ihre literarische Stimme gefunden. Sie schreibt schnörkellos, knapp und unvermittelt, rechnet sowohl mit dem Leben in der Provinz als auch mit städtischen Klischees darüber ab. Immer wieder spinnt sie die Ursprünglichkeit des Lebens am Hof ohne viel Kitsch in ihre Erzählung mit ein, schreibt über das Schlachten, das Decken der Rinder, die Begegnung mit einem tollwütigen Fuchs. Gleichzeitig findet auch ihr Leben in Berlin seinen Weg in ihren Text, sie erzählt von Clubnächten und einem Bürojob in einer Agentur. „Es war mir aber immer klar, die Handlung muss am Land in Oberösterreich spielen, da komme ich her, da kenne ich mich aus“, sagt Reisinger.

Selbst ist sie zwar auf einem Bauernhof aufgewachsen, zu Recherchezwecken hat sie trotzdem nochmal ein paar Wochen auf einer Landwirtschaft in der Ramsau verbracht und hat sich mit einem befreundeten Jäger auf die Pirsch begeben. „Es hat Spaß gemacht diese Welt zu erschaffen, diese Mischung aus Utopie und Dystopie. Es ist doch das Schöne an der Kunst, dass man seinen Rachegedanken auch mal nachgehen kann“, so Reisinger. Am wichtigsten sei ihr aber, dass ihr Buch dazu anregt, mit anderen über Gewalt gegen Frauen zu sprechen, vielleicht auch in einer Runde, in der man bisher noch nicht darüber gesprochen hat. Immerhin erleben drei von vier Frauen sexuelle Belästigung in Österreich, jede fünfte schwere sexueller Gewalt. „Wie die Öffentlichkeit mit den Opfern in der Causa Rammstein umgeht ist abermals ein Beispiel dafür, wie es nicht sein sollte.“ Bei der Lesungsreihe „O-Töne“ im Wiener Museumsquartier wird Reisinger am 31. August Auszüge des Romans vorlesen.

Zur Person

Eva Reisinger ist selbstständige Journalistin und Autorin und kommt aus Oberösterreich. Für die „Zeit“ pendelte sie mehrere Jahre zwischen Berlin und Wien und erklärte ihren deutschen Kollegen Österreich. „Männer töten“ ist ihr erster Roman, erschienen im Leykam Verlag, und handelt vom fiktiven ländlichen Matriarchat Engelhartskirchen.

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