Salzburger Festspiele

So wird „Falstaff“ sicher kein Blockbuster

Elena Stikhina als Mrs. Alice Ford in „Falstaff“.
Elena Stikhina als Mrs. Alice Ford in „Falstaff“.APA / Barbara Gindl
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Bei den Salzburger Festspielen musste Regisseur Christoph Marthaler vor Verdis „Falstaff“ kapitulieren – oder er streckte aus Lustlosigkeit die Waffen. Stattdessen tat er so, als würde er auf der Bühne Orson Welles einen Falstaff-Film inszenieren lassen. Unter Ingo Metzmacher kämpfen die Sänger mit ihren Charakteren ebenso wie gegen ein akustisch feindliches Bühnenbild. 

Dieser „Falstaff“ ist ein Trauerspiel. Aber nicht in einem Sinn, dem man auch etwas hätte abgewinnen können: als Stück über menschliche Schwächen, in dem hinter dem Lachen ein tiefes Unglück berührend hervorgelugt hätte – also hinter all dem Spott über sozialen Status und körperliche Statur, über vermeintliche Verführungskräfte und ewig glosende Eifersucht, über Standesdünkel und Aberglauben aus der Welt von Gestern sowie über die Freude am Mummenschanz. Und auch eine darübergelegte alternative Story hätte man sich gefallen lassen, etwas, das auf erhellende Weise der herkömmlichen Komik etwas Neues, Frisches entgegengesetzt hätte. Dass Regisseur Christoph Marthaler Giuseppe Verdis letzte Oper für „eigentlich gar keine Komödie“ hält, wäre ein interessanter Ansatz gewesen: ein „Falstaff“ für Fortgeschrittene, wie man ihn sich bei Festspielen leisten kann. Doch in dem Wie, da liegt der ganze Unterschied.

Was tut also Marthaler im Verein mit Anna Viebrock, seiner langjährigen Bühnenbild-Partnerin? Er setzt einen weiteren Regisseur auf die Bühne und lässt den dort gewissermaßen statt seiner arbeiten. Obwohl oder gerade weil dieser Regisseur Orson Welles heißt. Ja, Orson Welles, der Harry Lime aus dem „Dritten Mann“, vor allem aber der legendäre Schöpfer und Hauptdarsteller von „Citizen Kane“ (1941), der vielfach immer noch als der beste Film aller Zeiten gilt. Wie das mit Verdis „Falstaff“ zusammengeht? Nun, die Opernhandlung sei „banal und absurd“ hat Marthaler vorab wissen lassen – durchaus mit der Nachbemerkung, dass ihm das natürlich gefalle. Die Ankündigung, Falstaff und Orson Welles zusammenzudenken und ihn einen Falstaff-Streifen drehen zu lassen, was dieser 1965 übrigens wirklich getan hat, mit ihm selbst in der Hauptrolle, diese Ankündigung hat durchaus Neugierde geweckt. Auch wenn ein Filmset nicht mehr unbedingt zu den originellsten Einfällen der Opernregie zählt: Orson Welles an seinem Comeback als Filmregisseur arbeiten zu sehen, hätte schon Parallelen zum Stehaufritter Falstaff haben können. 

Nahkampf mit dem Wäschekorb

Aber ach, das Aufregendste, was der von Marc Bodnar als (fast) stumme Rolle gespielte Orson Welles vollbringt, das erlebt man im Finale des zweiten Akts. Da durchbricht er plötzlich die vierte Wand und erschrickt, weil er auf einmal begreift, dass die Welt hinter der Bühnenrampe weitergeht und im Dunkel ein Publikum sitzt. Hinter ihm, auf dem Filmset, nimmt derweil das Tohuwabohu überhand. Der Regieassistent (Joaquin Abella), ohnehin Kummer gewöhnt, da er in akrobatischem Slapstick-Nahkampf mit einem renitenten Wäschekorb zugange war und immer wieder, zum Teil abwechselnd mit dem Scriptgirl (Liliana Benini), in den Swimmingpool gestürzt ist, bekommt auch noch Stromstöße ab, weil die Kabel in Pfützen am Beckenrand liegen. Das passte immerhin zu dem heftigen Gewitter über Salzburg, das zu dieser Zeit niederging und dessen Regenprasseln bis in den Saal hinein zu hören war. Zugleich regierte das Chaos der hektisch wuselnden Charaktere, der herumgeschobenen Kulissen, der Knutscherei im Filmvorführraum und der Suche des eifersüchtigen Ehemanns nach dem vermeintlichen Liebhaber seiner Frau, der freilich in einem Liegestuhl eingeklemmt liegt … Diese Turbulenz war noch eine der besten Szenen eines Abends, der vieles war. Nur keine Komödie. 

Was etwa die oben geschilderte Erkenntnis des Orson Welles für Konsequenzen hat? Was damit in der Folge gemacht und erzählt wird, weil er sich nun seiner selbst als Figur in einem Spiel gewahr geworden ist? Nichts. Denn Marthaler und sein Team ersetzen in erster Linie das in ihren Augen Banale und Absurde durch noch Banaleres, Absurderes. Nun ja, Marthaler eben – und das funktioniert, man weiß es längst, genau dort am besten, wo dieser Regisseur auch musikalisch frei schalten und walten kann, wo er Collagen aus eigener Werkstatt auf die Bühne bringen darf. Komplette Opern und fixe Partituren engen ihn eigentlich nur ein. Da reagiert er mit Ausbruchstendenzen – zu Lasten der Stücke. 

Es mag reizvoll klingen, wenn es heißt, man wisse nie so recht, ob hier am Set geprobt oder gefilmt werde oder ob die Menschen vor und hinter der Kamera sie selbst seien. Aber hier verliert man schlicht das Interesse am Personal, weil dieser Punkt szenisch einfach nicht klar durchgearbeitet ist und man die Charaktere mit ihren Motivationen und Gefühlen gar nicht wirklich zu fassen bekommt – nicht einmal als die bekannten Komödientypen der Oper. Das Ganze bleibt in Ansätzen stecken. Wenn etwa Orson Welles sich laufend Whiskey an den Regiestuhl servieren lässt und der Falstaff-Darsteller ständig Pillen schluckt, sind das Details, die nirgendwohin führen. Es wirkt, als wäre der Schauplatz nur ein Vorwand, kein wirklich ausgeführtes Konzept, das wenigstens bis auf einen poetischen Rest durchdacht und logisch nachvollziehbar sein müsste. Oder war der Haupteinfall der, den Charakteren möglichst alle Komik auszutreiben und diese durch weitgehend aus der Luft gegriffenen Slapstick der Statisterie zu ersetzen, den man ein Weilchen mit bemühtem Schmunzeln, sehr bald aber mit Augenverdrehen quittierte? Darin ist die Inszenierung immerhin konsequent. Das Ergebnis: bleierne Langeweile.

Gerald Finley sang mit großer Noblesse

Die musikalische Seite konnte den Abend nämlich auch nicht wirklich herausreißen. Pech, dass ausgerechnet Gerald Finley sich wegen einer hartnäckigen Laryngitis ansagen lassen musste. Er sang den Falstaff mit großer Noblesse, an diesem Premierenabend aber auch mit merklicher Vorsicht, im Volumen etwas reduziert und manchmal nicht ganz sauber. Das alles lastete als Hypothek auch auf seiner Darstellungskraft – zumal das Bühnenbild die Stimmen in keiner Weise unterstützt. So richtig im theatralen Saft stand freilich niemand, auch nicht Simon Keenlyside als anfangs recht raustimmiger Ford, der sich zwar konsoldieren konnte, im Verdi-Fach aber eigentlich immer ein bisschen über seine Verhältnisse gesungen hat. Dafür schien er als einer von wenigen Spaß an der grotesken Formung seines Charakters zu haben: Sein Ford ist, wie auch Thomas Ebensteins Cajus, eine Art spießiger Nerd, der wie die meisten Männer auf der Bühne den Hosenbund in Höhe des Brustbeins trägt. Doch auch Elena Stikhina als tadellos singende Alice, die im dritten Akt Orson Welles im Regiestuhl ablöst, bleibt stimmlich wie darstellerisch ähnlich blass wie Tanja Ariane Baumgartners Quickly. Die große Ausnahme war, an der Seite des guten Fenton von Bogdan Volkov, Giulia Semenzato als vokal glänzende Nannetta, die mit perfekt gefluteter Pianissimo-Höhe erfreute. 

In den zart aufgefächerten Naturmalereien des letzten Bildes hatte auch Ingo Metzmacher am Pult der Wiener Philharmoniker seine stärksten Momente. Ansonsten passte er sich in gewisser Weise und durchaus sensibel der Lesart der Regie an. Er hatte angekündigt, nicht zuletzt Verdis originale Metronomzahlen beachten zu wollen. Wenn das so stimmt, dann ist der „Falstaff“ eine herbstlichere, wehmütigere Oper, als sie gemeinhin oft aufgeführt wird. Metzmacher nahm jedenfalls auf die Stimmen Rücksicht, spielte die Effekte der Partitur nicht zu drastisch aus, hatte aber auch eine merkliche Lust an kleinen Ecken und Kanten. So richtig blitzen und funkeln wollte es jedoch nicht – zumal rhythmisch komplexe Ensembles schwer zu bändigen sind, wenn die Herren ganz links, die Damen ganz rechts singen müssen. 

Am Ende gab’s massive Buhrufe für das Regieteam, etwas Missfallen auch für Metzmacher, ansonsten höflichen bis punktuell begeisterten Applaus: die bisher schwächste Operninszenierung dieses Salzburger Sommers.

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