Der Mediator

Prigoschin in den Medien: Ist schon Götterdämmerung in Russland?

Anhänger des mutmaßlich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen russischen Söldnerführers Jewgenij Prigoschin trauern. Hier legt eine Frau in Moskau Blumen an einer improvisierten Gedenkstätte nieder.
Anhänger des mutmaßlich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen russischen Söldnerführers Jewgenij Prigoschin trauern. Hier legt eine Frau in Moskau Blumen an einer improvisierten Gedenkstätte nieder. Reuters / M. Shemetov
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Die Story vom Sterben des Söldnerführers Jewgenij Prigoschin, der mit seiner Gang vom Himmel fiel, beflügelt die Fantasie, nicht nur im Boulevard. Wie soll man sie erzählen? Am besten nähert man sich der Materie kulturgeschichtlich.

Ein Flugzeug fällt vom Himmel. Das kommt vor. „Ehrenwerte“ Männer verlieren dabei ihr Leben. Das kommt vor. Wenn es sich aber bei diesem Flug um einen zwischen Moskau und Sankt Petersburg handelt, bei dem mutmaßlich Führer der Söldnertruppe Wagner sterben? Wenn zudem der russische Staatspräsident Wladimir Putin im Fernsehen einen seltsam verklausulierten kurzen Nachruf auf diesen Truppenchef Jewgenij Prigoschin hält? Dann kommen Journalisten aller Arten in Hochform, auf dem Boulevard wie in besserer Gesellschaft.

Prigoschin, nach seiner Gangsterzeit in Leningrad viele Jahre ein Favorit Putins, als Luxus-Caterer wie auch als Mann fürs Grobe, hatte den Boss aller Bosse in Moskau zuletzt herausgefordert, mit einem Marsch auf die russische Hauptstadt blamiert. Warum also ist dieses Flugzeug abgestürzt? Warum sind der Söldner und sein innerer Kreis an Mittätern nun wahrscheinlich tot? Ob man das je völlig aufklären wird? Leichter fällt es, die bisher abenteuerlichste Geschichte darüber zu küren.

„Es tut mir so leid, dass ich ihn umbrachte“

Die „Bild“, Deutschlands auflagenstärkste Zeitung, ist überraschend vorsichtig. Sie hüllt das „Todesrätsel um Putin-Feind Prigoschin“ in eine Schlagzeilenfrage: „Was geschah wirklich an Bord von RA02795?“ Im Blattinneren wird das Mörderische im „Prigoschin-Krimi“ fragend fortgesetzt: „Warum stürzte der Söldnerchef über Russland ab?“ Die „Kronen Zeitung“ weiß es hingegen längst. Österreichs Marktführer interpretiert bereits am Freitag, wie Verbrechen und Strafe zu bewerten seien. Der Titel auf Seite eins: „Prigoschins Fehler eiskalt ausgenutzt“. Denn der Wagner-Chef „war leichtsinnig“ und „Putin schlug sofort zu“.

Die „Sun“, das führende britische Fachblatt für Sensationen (Motto: „The People‘s Paper“), gestaltete die Titelseite wie eine Todesanzeige und erklärte dem lesenden Volk darin, was Putin tatsächlich meinte, als er der Familie des Wagner-Führers kondolierte: „Mit tiefstem Mitgefühl“ heißt es in bei solchen Textsorten üblicher Schönschrift. Darunter aber steht in fetten Lettern die Schlagzeile: „Es tut mir so leid, dass ich ihn umbrachte.“ „Metro“, die größte Gratiszeitung im Vereinigten Königreich, ist in der Trauerarbeit bereits einen Schritt weiter: „We‘re coming für you, Vlad“ lautet der Aufmacher. Wagner-Rebellen hätten für Putins Mord an ihrem Kriegsherren Rache geschworen.

Diese düstere Stimmungslage bedarf kulturgeschichtlicher Erläuterung. Den Lorbeer für die beste Begleitmusik zum fortgesetzten Verfall und Untergang des Russischen Reiches erhalten diesmal nicht Gazetten in Berlin, Wien oder London. Er geht in die solide Schweiz. Die „Neue Zürcher Zeitung“ bat einen österreichischen Philosophen, in einem Gastbeitrag für ihr Feuilleton diese Räuberposse kunstvoll zu kontrastieren. Unter dem Titel „Komponist der Kriegsverbrecher“ erledigt Konrad Paul Liessmann das mit Bravour. Das Schicksal des Söldnerführers, dessen Truppe unter dem Namen Richard Wagner firmiert, partizipiere auf vulgäre Weise an dessen faschistoidem Nimbus. Sie gehorche „der Logik eines wagnerianischen Finales“. Es gehe um Treuebruch, Verrat und Rache.

„Keiner gewinnt eine Schlacht“

Wer spricht von Siegen? Wagners Helden sind für den Philosophen allesamt Verlierer: „Keiner gewinnt eine Schlacht, keiner kann sich eines Erfolges freuen.“ Im besten Falle gebe es gnädige Erlösung. Friedrich Nietzsche, den eine intensive Hassliebe mit dem Gesamtkunstwerker verband, habe „mit untrüglichem Instinkt erkannt, dass Wagner jenseits seiner politischen Rhetorik ein ,décadent‘“ war.

Illustriert wird der Text mit trefflichen Porträts: Wagner und Prigoschin blicken heroisch ins Weite. Diesen Exkurs zu einer Historie, in der alles auf Niedergang deutet und wo weitere Abstürze nur eine Frage der Zeit sein dürften, kann man als Lektüre wärmstens empfehlen. Am besten liest man diese Saga zu dräuenden Klängen. Schostakowitsch? Nein! „Götterdämmerung“. Wehe, wehe, Wladimir!      

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