Wagner

Der letzte Auftritt Prigoschins

Provisorische Gedenkstätten, die an Jewgeni Prigoschin erinnern, sind an mehreren Orten - wie hier in St. Petersburg - zu finden.
Provisorische Gedenkstätten, die an Jewgeni Prigoschin erinnern, sind an mehreren Orten - wie hier in St. Petersburg - zu finden. APA / AFP / Olga Maltseva
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Wird der mutmaßlich getötete Wagner-Chef als »Held« begraben oder als »Verräter« verscharrt? Die Beerdigung wirft Fragen auf. Wladimir Putin baut die Söldnergruppe inzwischen um.

In St. Petersburg, vor dem Gebäude, wo sich einst die Wagner-Gruppe eingemietet hatte, finden sich laufend Menschen ein. Rote Nelken werden abgelegt, Kerzen, eine Fahne mit dem Logo der paramilitärischen Gruppe weht im Wind. Die Menschen – oft sind es frühere und aktive Mitglieder – nehmen Abschied von Jewgeni Prigoschin sowie den anderen Wagner-Funktionären, die vor wenigen Tagen beim mutmaßlichen Attentat auf ihr Flugzeug getötet wurden. Ein Trauernder kam in seiner Sturmhaube, ein anderer brachte einen Vorschlaghammer mit. Prigoschin, sagte er den lokalen Reportern, habe Vorschlaghämmer geliebt.

Für die Menschen vor der Wagner-Zentrale ist der Oligarch, brutale Warlord und Anführer einer kurzlebigen Meuterei gegen Wladimir Putin ein Held. Was er für Putin ist, das wird der russische Präsident mit der Beerdigung Prigoschins zeigen. Einst hatte er Prigoschin und Wagner-Mitgründer Dmitri Utkin – auch er befand sich im abgestürzten Flugzeug – den höchsten Ehrentitel „Held Russlands“ verliehen. Mit anderen Ehrenbekundungen wurde ebenfalls nicht gegeizt, und so stellt sich in Moskau die Frage, ob sie den nunmehrigen „Verräter“ Prigoschin auch wie einen „Helden“ öffentlich beerdigen lassen. Ein Begräbnis, bei der auch Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow teilnehmen? Prigoschin hatte zuletzt erbittert die Absetzung der beiden Militärs gefordert.

„Zu plump und unprofessionell“

Noch befinden sich die Todesopfer in einer Leichenhalle nahe der Absturzstelle bei Twer, nördlich von Moskau. Derzeit würden sie „genetisch untersucht“, um die Identität festzustellen, wie die Ermittler per Telegram mitteilten. Das kann durchaus länger dauern, was dem Kreml aber Zeit verschafft. Spekuliert wird in Beobachterkreisen über viele Szenarien: von einer abgeschotteten Beerdigung in Russland bis hin zu einer Beisetzung in Afrika – Wagner war hier in verschiedenen Ländern tätig.

Eine Art vorgezogene Grabesrede hielt Putin bereits am Donnerstag. Er nannte den Wagner-Gründer gleichzeitig wichtig und fehlerhaft. Während Putin also umständlich nach Formulierungen sucht, kam der Putin-treue belarussische Machthaber gleich zur Sache: „Ich glaube nicht, dass Putin es getan hat“, sagte Alexander Lukaschenko am Freitag in Minsk. „Die Arbeit ist zu plump und unprofessionell.“ Er selbst habe Prigoschin und Utkin mehrfach und ergebnislos gewarnt. Und was die Wagner-Söldner betreffe, denen er nach der Meuterei Unterschlupf gewährte: „Wagner lebt und Wagner wird weiter in Belarus leben.“

Wo auch immer Wagner bleibt, die Umstrukturierung der hochgerüsteten Gruppe nach Putins Façon hat bereits begonnen. Von nun an müssen ihre Söldner dem russischen Staat die Treue schwören, das Dekret dazu ließ Putin am Freitag veröffentlichen. Als Nachfolger Prigoschins könnte Andrej Troschew infrage kommen. Schon wenige Tage nach der Meuterei soll Putin den 61-jährigen hochdekorierten und von der EU sanktionierten Kriegsveteranen informell als die Zukunft der Söldnertruppe eingeführt haben. Troschew als Mann der Armee wäre die Antithese zum erratischen Ex-Gastronom Prigoschin. Das mögliche Kalkül dahinter: Wagner soll seine Einsätze in der Ukraine, aber auch seine lukrativen Geschäfte in Afrika fortführen, aber fest in Putins System verankert werden.

Andrej Awerjanow: Über Wien gereist

Troschew wird auch der Name Andrej Awerjanows genannt, ehemals Leiter der Einheit 29155 des Militärgeheimdienstes GRU. Die Einheit führt unter anderem Mordanschläge und Sabotageakte im Ausland durch – Stichwort: Nowitschok –, und in diesem Zusammenhang wurde der Name Awerjanows auch bekannt. Bei Anschlägen auf tschechische Munitionslager im Jahr 2014 soll der Generalmajor persönlich vor Ort gewesen sein. Und zwar soll Awerjanow kurz vor den Anschlägen in Wien-Schwechat gelandet und anschließend zum Tatort nach Vrbětice gereist sein. Der Name seiner falschen Identität laut der Investigativplattform Bellingcat: Andrej Owerjanow. Erst im Juli ließ Putin Awerjanow bei seinem Afrika-Gipfel in St. Petersburg auftreten und stellte ihn seinen malischen Gästen als Sicherheitsexperten vor. Wagner ist in Mali ebenfalls aktiv. Und unmittelbar vor dem Absturz seines Flugzeuges soll sich Prigoschin in Mali aufgehalten haben.

Das Flugzeug, ein Privatjet mit insgesamt zehn Insassen, stürzte am Mittwochabend ab. Niemand überlebte – neben dem Naziverehrer Utkin waren auch andere hochrangige Wagner-Vertreter an Bord. Am Freitag stellten die Ermittler den Flugschreiber sicher, die Ursache des Absturzes bleibt vorerst unklar. US-Geheimdienstkreise gehen offenbar von einer Explosion während des Fluges aus; Präsident Joe Biden selbst sagte nur, dass seine Behörden die genaue Absturzursache noch ermitteln würden. Andere Beobachter wiederum sehen Awerjanow direkt in die Explosion involviert. (duö)

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