Die ÖVP will mit neuen Arbeitszeitregeln den Wirtschaftsstandort stärken, die SPÖ einen Anschlag auf die Arbeitnehmer abwehren.
Wien. Sichern flexiblere Arbeitszeiten die Arbeitsplätze? Oder werden damit die Arbeitnehmer ausgebeutet? SPÖ und ÖVP rücken das Thema Arbeitszeit in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes – mit durchaus konträren Ansichten.
ÖVP-Chef Michael Spindelegger legte am Montag in dem seit einer Woche schwelenden innerkoalitionären Konflikt nach: Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten im Betrieb Vereinbarungen treffen können, ohne dass diese „von gewerkschaftlichen Institutionen abgesegnet“ werden müssen, so der Vizekanzler. Sowohl Unternehmen als auch Beschäftigte sollten aus diesen spezifischen Lösungen ihren Vorteil ziehen.
Die Flexibilisierung ist Teil eines „Zehn-Punkte-Programms für mehr Arbeitsplätze“, das Spindelegger gemeinsam mit Wiens ÖVP-Chef Manfred Juracka und der Wiener Wirtschaftskammer-Präsidentin Brigitte Jank vorstellte. Den Zwölf-Stunden-Arbeitstag, der in der Vorwoche für heftige Kritik gesorgt hatte, nahm Spindelegger nicht in den Mund – schloss ihn aber auch nicht aus.
Die Äußerungen veranlassten die SPÖ zu einer heftigen Replik. Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos ortete einen Frontalangriff auf die Arbeitnehmer und geißelte arbeitnehmerfeindliche Vorschläge des schwarzen Parteiobmannes. Die SPÖ vermutet, dass die ÖVP-Vorschläge vor allem eines bewirken würden: Einkommensverluste für die Arbeitnehmer, weil Überstundenzuschläge nicht mehr ausbezahlt werden.
Den Mund verbrannt
Ob dies so ist, muss offenbleiben, solange die ÖVP keine konkreten Modelle auf den Tisch legt. Und die gibt es derzeit nicht: Das ÖVP-Wahlprogramm ist in diesem Punkt sehr allgemein gehalten, und auch der Wirtschaftsbund, treibende Kraft hinter der Diskussion, will vor der Wahl keinen Forderungskatalog vorlegen. Erst recht nicht, seit Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner den Zwölf-Stunden-Arbeitstag und längere Durchrechnungszeiträume in den Mund genommen und sich dabei selbigen verbrannt hat.
Im Wirtschaftsforschungsinstitut will man Wahlkampfpositionen von Parteien prinzipiell nicht bewerten. Die Frage, wem Flexibilisierung nützt, sei auch nicht generell zu beantworten, sagt Arbeitsmarktexperte Helmut Mahringer. „Entscheidend ist, wer die Flexibilisierungsmacht hat“ – ob also der Betrieb oder der Arbeitnehmer selbst über die Aufteilung der Arbeitszeit entscheidet. Generell sei aber Österreich im internationalen Vergleich recht flexibel – etwa was Kündigungsregeln betrifft.
Bei der Arbeitszeit gibt es jetzt schon etliche Modelle zu Flexibilität, wie auch Wirtschaftsbund-Generalsekretär Peter Haubner bestätigt. Festgelegt sind diese meist in Kollektivverträgen und darauf aufbauend in Betriebsvereinbarungen. Überstunden können – ohne Zuschläge – bis zu ein Jahr angespart werden.
Mitterlehner hat eine Verlängerung des Durchrechnungszeitraumes auf zwei Jahre angeregt, der ÖAAB will ein noch darüber hinausgehendes Modell: ein Zeitwertkonto, mit dem Arbeitszeit für spätere Auszeiten, Kinderbetreuung oder für einen früheren Pensionsantritt angespart werden soll. Klar ist: Je länger die Durchrechnungszeiträume, desto seltener fallen Überstundenzuschläge an.
10-Stunden-Limit mit Ausnahmen
Die tägliche Arbeitszeit ist derzeit per Gesetz auf zehn Stunden beschränkt – aber auch da gibt es Ausnahmen. So etwa kann bei Schichtarbeit der Kollektivvertrag Zwölf-Stunden-Schichten zulassen. Voraussetzung: Ein Arbeitsmediziner muss für die betreffende Tätigkeit die medizinische Unbedenklichkeit festgestellt haben.
Auch bei Bereitschaftsdiensten kann der Kollektivvertrag eine Normalarbeitszeit bis zwölf Stunden vorsehen. Voraussetzung: In die Arbeitszeit müssen regelmäßig und in „erheblichem Umfang“ Zeiten bloßer Arbeitsbereitschaft fallen. Gibt es keinen KV, kann das auch mittels Betriebsvereinbarung geregelt werden. Unter bestimmten Voraussetzungen – überwiegend Arbeitsbereitschaft, „besondere Erholungsmöglichkeiten“ und medizinische Unbedenklichkeit – sind sogar 24-Stunden-Dienste erlaubt.
Auch bei einer Viertagewoche darf bis zu zwölf Stunden täglich gearbeitet werden. Da fallen allerdings Überstundenzuschläge an. Ob dies auch der Fall wäre, wenn die ÖVP sich mit ihrem Wunsch nach einer weiteren Flexibilisierung durchsetzt, ist offen. Das hängt davon ab, ob Stunde elf und zwölf als Normalarbeitszeit oder als zuschlagspflichtige Überstunde gewertet werden. Und das müssten wohl die Sozialpartner ausverhandeln.
Auf einen Blick
Arbeitszeit als Streitthema: Die ÖVP will mehr Flexibilität, wie längere Durchrechnungszeiträume und die Möglichkeit für längere Tagesarbeitszeiten. Die SPÖ vermutet einen Anschlag auf die Arbeitnehmer: Diese müssten dadurch deutliche Lohneinbußen hinnehmen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2013)