Salzburg: Petrenkos zweiter Streich

Das zweite Salzburger Konzertprogramm der Berliner Philharmoniker definierte den Zugang zur musikalischen Avantgarde neu.

Nach der Ehrenrettung Max Regers am Sonntag Abend wählte Kirill Petrenko für den zweiten Abend des Salzburg-Gastspiels seiner Berliner Philharmoniker eines der haarigsten Programme, die sich ein Dirigent aussuchen kann: Beethovens Heikelste, die Achte, in einer ungemein spritzigen, hintergründigen und zündenden Lesart, gekoppelt mit den Haydn-Variationen von Brahms und den großen Orchestervariationen von Schönberg.

Schwere Festspielkost

Schwere Kost, fürwahr, und nach wie vor stöhnen manche Festspielbesucher ob der dissonanten Dauerbelastung. Und doch: Wenn schon Zwöfltonmusik, dann so, denkt man, sobald man die Berliner unter Petrenko dieses Werk spielen hört. Dieses Orchester ist ja aufführungshistorisch in zweifacher Hinsicht für dieses Chef d‘Oeuvre der Wiener Schule verantwortlich: Unter Furtwängler hat es einst die Uraufführung gespielt, unter Karajan hat es die ultimative Aufnahme gemacht, so transparent und farbenprächtig, wie es nur immer möglich ist.

Man muss wissen, dass Karajan damals die Sitzordnung seiner Musiker von Variation zu Variation gewechselt hat, um die jeweils bestmögliche Klangmixtur zu erzielen. Die Philharmonie verwandelt er auf diese Weise in ein Tonstudio und beschloss, dieses Stück hinfort nie wieder live aufzuführen, weil das, was auf der Schallplatte zu hören ist, unter den üblichen Konzertbedingungen unrealisierbar sei.

Petrenkos Kür

Das war 1974. 39 Jahre später beweisen die Nachfolger der damaligen Musikergemeinschaft unter Petrenko, dass sich die Zeiten geändert haben. Zumindest für sie. Ich glaube kaum, dass es heute ein zweites Orchester gibt, das imstande ist, Schönbergs Variationen auf diesem Niveau zu spielen, wie die Berliner das am Montag Abend im Salzburger Festspielhaus geschafft haben.

Die Virtuosität der Berliner

Was Karajan einst bezweckte, wird live zum Ereignis: Für jede der kurzen Variationen, in denen Schönberg sein vierteiliges, kantabel von Celli und Geigen präsentiertes Zwölftonthema förmlich zerstäubt und in schillernde Klang-Konfetti auflöst, mischt das Orchester die Palette neu ab. Die herrlich sonore Themen-Vorstellung, die noch klang wie ein Echo der zuvor gespielten, romantisch-sonoren Brahms-Variationen, löste sich mehr und mehr in Kammermusik auf. Beinah jeder einzelne Musiker wurde zum Solisten, selbst die Kontrabassisten am ersten Pult absolvierten subtile Duette wie ihre Bläser-Kollegen.

Und zuletzt setzte die Musikergemeinschaft zu einer immer rasanter sich zuspitzenden Schluß-Stretta an, die nach kurzem, besinnlichen Rückblick förmlich explodierte und entsprechenden Applaus des staunenden Publikums provozierte: Wenn es einer Definition von Festspielen bedurfte: Hier war sie zu hören.

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