Gastkommentar

Die Chance der ÖVP: Mitte statt Mitte-rechts

Peter Kufner
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Berechenbarkeit, Verlässlichkeit und Versöhnlichkeit gälte es zu betonen. Daraus könnte neue Glaubwürdigkeit entstehen.

Vor vielen Jahren gab es einmal einen Endlos-Kalauer. Der ging so: „Wohin gehst du? Ins Kino. Was spielen sie? Quo vadis. Was heißt das? Wohin gehst du. Ins Kino? Und so weiter und so fort …

Erinnert ein bisschen an die ÖVP. Sie geht auch im Kreis und kann sich über ihr Quo vadis nicht entscheiden. Das Profil leidet seit einigen Jahren aus mehreren Gründen: Eine vormalige Wirtschaftspartei, deren wirtschaftspolitisches Profil verblasst ist. Eine vormalige Partei der Haushaltsdisziplin, die die Schuldenlast für künftige Generationen aufhäuft und sich den finanziellen Atem nimmt für notwendige Reformen.

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Zum Beispiel bei den Pensionen. Wenn ein Viertel des Budgets draufgeht für die Subventionierung der Ruhestandsbezüge, dann sollte zwanzig Jahre nach der letzten Pensionsreform langsam Unruhe einziehen bei den Verantwortlichen für den Staatshaushalt. Stimmen der Vernunft wie die von Finanzminister Magnus Brunner sind leider zu leise.

Zur Unschärfe der ÖVP-Kontur trägt auch die inkonsistente Politik in der Frage der staatlichen Eingriffe bei. Zuerst den Mietendeckel abzulehnen und ihm dann zuzustimmen mag gut für die Koalition sein, trägt aber nicht zur Glaubwürdigkeit einer Partei bei, die sich in ihrer Grundsatzprogrammatik den Markt auf die Fahnen geheftet hat.

Verlorene Konturen

Auch die Strafsteuern auf die „Übergewinne“ der Energiekonzerne unterminieren die „Unique Selling Proposition“ einer Wirtschaftspartei. Die Firmen sind dem Aktienrecht verpflichtet und damit dem Erwirtschaften jener Gewinne, die für die Energiewende gebraucht werden – etwa für das Ziel von hundert Prozent nachhaltiger Stromproduktion oder den Ausstieg aus fossiler Produktion. Hier konterkariert der Hauptaktionär seine eigenen politischen Vorgaben. Unklar ist auch die ausländerpolitische Positionierung. Seit seiner Grundsatzrede blinkt Bundeskanzler Karl Nehammer rechts, obwohl die dorthin verlorenen Wähler und Wählerinnen längst eine neue Heimat bei Herbert Kickl und der FPÖ gefunden haben.

Aber statt denen nachzulaufen, sollte dass Thema niedriger gehängt werden. Den Schmied-oder-Schmiedl-Mechanismus kriegt man so und so nicht weg.

Die zehn Prozent Wähler, die ohne Sebastian Kurz fehlen, kann auch die aktuelle Parteiführung nicht für sich aktivieren. Dazu kommt, dass nach dem Corona- und Ukraine-Schock der Paradigmenwechsel weg von der Krisenfeuerwehr und wieder hin zu einer perspektivischen Politik für die wahren Zukunftsthemen nicht gefunden wurde.

Inhomogen ist leider auch der hinhaltende Widerstand der Volkspartei bei klimapolitischen Maßnahmen. Da sind die Unternehmen längst weiter als ihre Kammer und ihr politisches Lager. Ohne ein auch grünes, modernes Wirtschaftsprofil bleibt die ÖVP ein ­Fossil.

Die Konturen verloren hat die ÖVP ebenfalls in der EU-Politik. Man nimmt sie nur mehr durch Vetos wahr. Die einstige Europa-Partei ÖVP ist auf eine halbherzige „Ja, aber“-Position umgeschwenkt. Die jüngsten beiden Europawahlen haben gezeigt, dass ein klares Bekenntnis zur EU (bei allen Schwächen) mehr bringt als diese jetzt gepflegte ambivalente Rhetorik.

Also auch da kennt man sich nicht so ganz aus. Europa-Politik ist nicht mehr Herzstück für die Partei, auch wenn man der Europa-Ministerin Karoline Edtstadler die EU als Herzensanliegen abnimmt. Unionspolitik sollte aber Chefsache sein, die Regierungschefs haben in Brüssel das letzte Wort.

Nach uns die Sintflut

Zur Problemlage kommt dazu, dass sich auch die Österreichische Volkspartei dem Megatrend des Populismus nicht entziehen konnte. Auf Kosten ausgabenseitiger Disziplin werden die Füllhörner und Gießkannen ausgeschüttet, dass mancherorts durch geringe Treffsicherheit schon sozialpolitisches Hochwasser droht. Man nimmt das in Kauf. Geld kommt aus der Staatsdruckerei, nach uns die Sintflut – das ist sicher keine vorausschauende, auf die nächste Generation gerichtete Politik.

Heute sind alle Parteien im Populismuswettlauf. Das Paradoxe ist bloß, dass diese Politik vom Wähler nicht belohnt wird. „Das steht uns zu“, sagte einst Christian Kern, und der allumfassende Nanny-Staat wird zum selbstverständlichen Anspruch. Da hält auch die ÖVP nicht dagegen. Die Regierung schnürt großzügige Pakete, und die Einzigen, die profitieren, sind die, die im Parlament dagegen sind und nach noch mehr schreien: die Freiheitlichen. Die können Populismus eben am besten.

Trotzdem kommt auch für die ÖVP „von irgendwo ein Lichtlein her“. Dieses Licht kommt aus der Mitte. Diese Mitte hat sich nämlich zusehends politisch entvölkert, während an beiden Rändern Gedränge herrscht. Der Linkspopulist Andreas Babler und der Rechtspopulist Herbert Kickl polarisieren die politische Landschaft, das entspricht dem politischen Klima der Ungeduld, Undankbarkeit, Zuspitzung und Aggression.

Das Potenzial der Mitte

Trotzdem hat die Mitte mehr Potenzial als die aktuelle Mitte-rechts-Strategie, die viele bürgerliche Kernwähler der Volkspartei eher irritiert und abschreckt. Es kann nämlich sein, dass die letzten Vernünftigen gar nicht so wenige sind. Noch nie war dort so viel Platz, ganz besonders für den Mittelstand, der sich am heftigsten von den Krisen der vergangenen Jahre betroffen und von der Politik ungenügend verstanden fühlt.

Diese vernachlässigte Mitte braucht ein Angebot. Sie sollte umworben werden für das Maß und die Vernunft. Ein nicht ganz geglückter Versuch in diese Richtung war die „Normal“-Kampagne des Sommers. Sie war im Kern als Plädoyer für den gesunden Hausverstand und als Absage an die politischen Extreme gedacht – die notwendige vertiefende Debatte auf höherem Niveau blieb aus, sofern das überhaupt geplant war. Wie man einen solchen Diskurs intellektuell aufsetzt, hat sich offensichtlich niemand überlegt.

Je mehr sich die Teuerung beruhigt und die politische Disruption abebbt, desto aussichtsreicher scheint die Betonung von Berechenbarkeit, Verlässlichkeit und Versöhnlichkeit. Daraus könnte eine neue Glaubwürdigkeit entstehen und vielleicht sogar eine Cooling-off-Phase in diesen hyperventilierenden Zeiten.

Karl Nehammers Chance

Für ein solches Design braucht es eine große begleitende Erzählung, in der die Sorgen der Menschen ernst genommen werden, aber auch an die Eigenverantwortung appelliert wird. Karl Nehammer hätte die Chance, in die Rolle hineinzuwachsen, der Chef-Kommunikator dieses neuen Stils zu werden.

Unverständlich, warum man über seine Motive, seine Prioritäten, seinen persönlichen Zugang zu vielen Themen eigentlich nur wenig weiß. Man wünscht sich mehr Geschäftsführer der Republik, weniger Ex-Innenminister. Der Kanzler spricht gut, ist kein verbohrter Ideologe und könnte auch ohne großes Charisma reüssieren. Gegenüber Charismatikern, das lehrt der politische Alltag, sollte man ohnehin skeptisch sein.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Autorin

Heidi Glück (*1962) war Pressesprecherin und Strategieberaterin von ÖVP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Seit 2017 berät sie mit ihrer Firma Heidi Glück Media + Public Affairs Consulting in- und ausländische Unternehmen.

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