Finnland: Mit „Schweiß und Tränen“ zum EU-Musterschüler

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Die Bürger in Finnland sollen länger arbeiten und Studenten ihre Studien rascher abschließen. Protest gibt's kaum.

Helsinki/ Kopenhagen.  Es gibt im Finnischen ein Wort, das Ausdauer, Kampfgeist und Beharrlichkeit umschreibt: Sisu. Sisu heißt, dass man mit dem Rücken zur Wand am besten kämpft, Sisu ist eine finnische Nationaleigenschaft. Für Politiker ein Segen, denn sie müssen nur an Sisu appellieren, wenn sie um Verständnis für harsche Reformen werben. Auf die Zähne beißen und durch, ohne  Proteste: So hat sich Finnland aus der Krise hochgestrampelt, in die man – teils selbst verschuldet, teils durch den Zusammenbruch des sowjetischen Handelspartners bedingt – anfangs der 1990er schlitterte.
Damals verlor Finnland ein Viertel seines Sozialprodukts, zehn Jahre später waren die Finnen  EU-Musterschüler.

Gegen das Tief von damals ist die jetzige Krise harmlos, doch aufgrund der Erfahrungen versucht die Regierung diesmal, rechtzeitig gegenzusteuern. Die Lage ist im internationalen Vergleich rosig, doch in Finnland gelten ein Budgetdefizit von 1,9 Prozent des BIPs und wachsende Staatsschulden als gefährlich, zumal die Wirtschaft kaum wächst. So führt die demografische und finanzielle Krise zu Reformen im Sozialwesen und auf dem Arbeitsmarkt.

„Wir müssen mehr arbeiten“

Studenten sollen rascher durch die Uni, Frauen nach der Geburt schneller zurück in den Job und Senioren länger im Berufsleben bleiben. „Ein roter Draht zieht sich durch die Reformen: Wir müssen mehr arbeiten“, sagt die sozialdemokratische Finanzministerin Jutta Urpilainen, nachdem sich die Sechsparteienkoalition auf ein Maßnahmenpaket geeinigt hat, das die öffentlichen Finanzen um jährlich acht bis neun Mrd. Euro verbessern soll – um fast fünf Prozent des Sozialprodukts. „Das Reformpaket tut weh, ist aber notwendig“, so Urpilainen. Dazu die christdemokratische Innenministerin Päivi Räsänen: „Wenn es nicht Blut kostet, dann zumindest Schweiß und Tränen.“ Breiter Konsens ist der Eckstein des Sisu-Modells. Finnische Koalitionen haben stets zwei Drittel der Abgeordneten im Rücken. Der konservative Premier Jyrki Katainen hat Sozialdemokraten, Linke, Grüne, Christdemokraten und die schwedische Minderheit im Kabinett. Die Sozialpartner unterstützten das Paket mit einem mehrjährigen Tarifabkommen mit moderaten Lohnerhöhungen, das Arbeitsplätze sichern soll.

Wichtigster Punkt der Reformen: Die Finnen sollen länger arbeiten. Das „reale Pensionsalter“ soll um anderthalb Jahre angehoben werden, indem man die Kündigung älterer Mitarbeiter erschwert und es für Arbeitgeber finanziell verlockender macht, Senioren zu beschäftigen. Die Staffelung der Pensionen – je länger man arbeitet, desto höher – soll die Arbeitnehmer locken, ein paar Berufsjahre anzuhängen. Doch nicht nur am Ende des Arbeitslebens gibt es Veränderungen: Studenten sollen ihre Studien rascher abschließen. Stipendien gibt es künftig nur noch fünf Monate über die normierte Studienzeit hinaus.

Um Frauen nach der Geburt ihrer Kinder schneller zurück ins Berufsleben zu locken, wird das finnische Modell des Betreuungsgeldes, mit dem ein Elternteil bis zu drei Jahren beim Kind bleiben kann, reformiert. In 94 Prozent der Familien, die das Angebot nutzen, bleibt die Mutter daheim. Künftig sollen Mann und Frau je die halbe Zeit beanspruchen können, der nicht genutzte Anteil verfällt. Dies werde „die Lage der Frauen auf dem Arbeitsmarkt verbessern“. Erwartet wird nicht, dass Väter massiv zur Kinderbetreuung abwandern, sondern dass das Arbeitskraftaufkommen wächst, wenn Mütter rascher wieder arbeiten.

Für Arbeitslose wird es attraktiver, kurzfristige Jobs anzunehmen, die Schulpflicht wird auf zehn Jahre verlängert. Und mit den Kirchen will die Regierung darüber verhandeln, den Dreikönigstag und Christi Himmelfahrt auf die jeweils folgenden Samstage zu verlegen: Sisu macht auch vor Feiertagen nicht halt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2013)

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