Kenia: Geköpfte Kinder und Stapel von Leichen im Supermarkt

Terror in Kenia.
Terror in Kenia. (c) EPA (DANIEL IRUNGU)
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Armee-Einheiten drangen am Montag mithilfe israelischer Experten in das Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi vor, das somalische Jihadisten am Samstag besetzt hatten. Überlebende berichten von grausamen Szenen, die Terroristen töteten mehr als 60 Menschen.

Nairobi. In Kenias Hauptstadt Nairobi war am Montagabend ein Ende der blutigen Geiselnahme in einem Einkaufszentrum, die am Samstag begonnen hatte, nicht in Sicht. Militär und Polizei rückten in den Westgate-Komplex vor, wo mutmaßlich aus Somalia eingesickerte Jihadisten mehr als 60 Menschen umgebracht und viele Geiseln genommen hatten; der entscheidende Sturmangriff blieb aber vorerst, wohl aufgrund der unübersichtlichen Lage in dem verwinkelten Geschäftskomplex, aus.

Das Areal war abgeriegelt, immer wieder kam es zu Panik in den Menschenmengen vor Ort. Kurz nach Mittag mehrten sich die Gefechte, es folgten drei bis vier große Explosionen, und eine Rauchsäule stieg auf. Angeblich hatten die Terroristen Matratzen angezündet, um einen Rauchschirm zu legen. Im Lauf des Tages hieß es vonseiten der Behörden, man habe „fast alle“ Geiseln befreit – um welche Zahlen es geht, ist aber bisher nicht bekannt. Medienberichten zufolge gelten mehr als 60 Menschen, die in dem Gebäude gearbeitet oder dieses besucht haben, als vermisst.

Nichtmoslems mussten sterben

Laut Zeugenaussagen ist es fraglich, ob die Vermissten noch leben. Man hört von gestapelten Leichen in einem Supermarkt. Eine Polizistin erzählt von geköpften Kindern. Die Angreifer sollen die Menschen, auf die sie stießen, nach ihrer Religion gefragt haben. Nichtmoslems seien erschossen worden.

Am Samstag haben rund 15Bewaffnete das Einkaufszentrum, das von Wohlhabenden und Ausländern frequentiert wird, gestürmt. Zu dem Zeitpunkt befanden sich dort mehr als 1000 Menschen. Die Täter warfen Handgranaten und schossen auf Polizisten. Laut Innenminister Joseph Ole Lenku wurden zwei Kämpfer der somalischen al-Shabaab-Miliz getötet. Diese hatte erklärt, der Angriff sei Vergeltung für das Eindringen kenianischer Truppen in den Süden Somalias, wo diese gegen Islamisten kämpfen. Kenias Präsident Uhuru Kenyatta, der bei dem Terrorangriff einen Neffen verlor, lehnte die Forderung der al-Qaida-nahen Organisation nach einem Abzug aus Somalia ab. Ihr Ziel ist der globale Jihad und die Errichtung eines islamischen Staates.

Unter den Tätern sollen Gerüchten zufolge auch Bürger anderer Länder sein, darunter aus den USA und Finnland. Einige Angreifer seien als Frauen verkleidet gewesen, um Verwirrung zu stiften – das erklärt Gerüchte, wonach eine Terroristin aus Irland an der Aktion beteiligt sein könnte. Auch Kenias Sicherheitskräfte erhielten Hilfe aus dem Ausland: Israelische Diplomaten gaben zu, dass sich Spezialeinheiten an dem Einsatz beteiligen würden. Möglicherweise sind es Einheiten der legendären Truppe Sayeret Matkal (siehe Internethinweis), die 1976 die berühmte Geiselbefreiung von Entebbe (Uganda) durchgeführt haben. Die Rede ist auch von US-Experten.

Vergeltung der Islamisten

Die brutale Aktion wird von Beobachtern als Verzweiflungstat der Islamisten gesehen, die in den vergangenen Jahren zahlreiche Niederlagen erlitten haben. Truppen der Afrikanischen Union hatten die Miliz, die jahrelang das Gros von Somalia terrorisierte, im Sommer 2011 aus Mogadischu gedrängt. Etwa zeitgleich stieß Kenias Armee nach Somalia vor, um eine Pufferzone zu bilden. Seither gibt es vermehrt Anschläge in Kenia, die Islamisten zugeschrieben werden. Ziele waren auch Touristenzentren wie Restaurants in der Küstenstadt Mombasa.

Im Land gibt es verschärfte Sicherheitsmaßnahmen. An Eingängen größerer Gebäude, etwa Einkaufszentren, werden Taschen kontrolliert und Besucher mit Metalldetektoren abgetastet. Meist werden diese Durchsuchungen nachlässig ausgeführt, was erklären könnte, wie die Attentäter ihre Gewehre vor dem Anschlag in das Gebäude schmuggeln konnten, wie es von unbestätigten Quellen heißt.

Die Bevölkerung zeigt große Solidarität mit den Opfern: Tausende spendeten Blut, Menschen in der Nachbarschaft um Westgate versorgen Opfer, deren Angehörige und die Sicherheitskräfte mit Essen, Trinken und Zuspruch.

Web:www.diepresse.com/sayeret

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2013)

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