Terror in Nairobi: Letztes Treffen im Totenhaus

Letztes Treffen Totenhaus
Letztes Treffen Totenhaus(c) REUTERS (NOOR KHAMIS)
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Der Kampf gegen die Islamisten, die ein Kaufhaus gestürmt und mindestens 67 Menschen erschossen hatten, wurde am Dienstag beendet. Im Leichenschauhaus stapeln sich Opfer.

Vorige Woche noch brachte der Inder Anil Kumar seinen Freund Sudashen zum Flughafen in Bombay (Mumbai). Der Kumpel war auf Geschäftsreise nach Uganda, mit Zwischenstopp Nairobi. Jetzt sieht Kumar ihn wieder - im Leichenschauhaus von Nairobi.

Es ist Dienstag, drei Uhr Nachmittag, vier Tage nach dem Sturm der somalischen Terroristen auf die Westgate-Mall in Nairobi. Kumar, der für ein Verlagshaus arbeitet, füllt Formulare aus. Er ist angereist, um seinen toten Freund zum Begräbnis nach Indien mitzunehmen. Sudashen war in Nairobi in das populäre Einkaufszentrum gegangen. Wenig später hatten die wohl etwa 15 Bewaffneten das Gebäude gestürmt und mindestens 67 Menschen niedergemetzelt - alle Opfer waren Nichtmoslems, die Täter hatten Moslems laufen lassen und für sich die übrigen ausgesucht. Der Inder war einer von ihnen. Aus den Hallen nebenan stapeln sich Tote. Es riecht es nach Tod und Formalin.
Die Lage war auch am Dienstag unübersichtlich, wenngleich Kenias Regierung behauptete, die Aktion sei beendet. „Wir haben die Angreifer gedemütigt und besiegt", sagte Kenias Präsident Uhuru Kenyatta. Bei dem Angriff seien 61 Zivilisten und sechs Sicherheitsbeamte ums Leben gekommen. Fünf Angreifer seien ebenfalls getötet und elf weiter festgenommen worden. Zugleich gab Kenyatta an, dass „mehrere Stockwerke" des Einkaufszentrums eingestürzt seien.
Für den Anschlag wird die somalische al-Shabaab-Miliz verantwortlich gemacht. Im Zuge der Kämpfe wurden lokalen Kräfte von Anti-Terror-Experten aus den USA, Israel, Großbritannien und Frankreich unterstützt.

Gerüchte um Briten-Terroristin

Ob sich unter den Angreifern auch Bürger dritter Staaten befinden, wie das Kenias Regierung wiederholt behauptet hatte, war vorerst ungeklärt: Einerseits hieß es, dass zwei oder drei US-Bürger und eine Britin darunter sein könnten. Die Amerikaner seien im Grunde Somalis, die in die USA gezogen seien; bei der Frau könne es sich um die 29-jährige Engländerin Samantha Lethwaite handeln: Die Tochter eines britischen Soldaten ist als „Weiße Witwe" bekannt.
Ihr Mann, Germaine Lindsay, ein gebürtiger Jamaikaner, riss im Juli 2005 bei einem Selbstmordanschlag in der Londoner U-Bahn 26 Menschen mit sich in den Tod. Lethwaite heiratete später einen Moslem und tauchte 2009 oder 2010 in Ostafrika unter, sie wird seither verdächtigt, islamistische Aktivitäten zu unterstützen.
Die al-Shabaab-Miliz ließ allerdings wissen, dass keine Frauen und keine Exilsomalier unter der Terrortruppe in Nairobi seien. Einige der Attentäter hätten sich aber als muslimische Frauen verkleidet.
Die Beziehungen zwischen der muslimischen Minderheit und der christlichen Mehrheit in Kenia leidet sichtlich unter dem Kaufhausterror: Eine Passantin namens Karima Said, eine Muslima, erzählt der „Presse", wie sie mit ihren Töchtern jüngst in einen Bus einstiegen sei und sich eine Frau geweigert habe, sich neben sie zu setzen. „Und als wir ausstiegen flüsterten die Leute: ,Gott sei Dank, dass sie weg ist.‘"
Mehr als elf Prozent der Kenianer sind Muslime, viele davon sind ethnische Somalier. So wie Rahma Hersi: Sie steht auf dem Parkplatz der Mosque of Mercy, der Moschee der Barmherzigkeit in Nairobi, wo am Dienstag Dutzende Menschen Schlange standen, um Blut zu spenden.

„Islam ist Barmherzigkeit"

Hersi hat die Initiative mitorganisiert. „Der Islam ist eine Religion der Barmherzigkeit und des Mitgefühls", sagt die ehemalige Journalistin. „Die Leute, die den Anschlag durchgeführt haben, waren Barbaren." Das habe nichts mit dem Islam zu tun. „Muslimisches Blut blutet nicht anders. Es ist rot", sagt sie. Aber jede Gemeinschaft habe „ihre schwarzen Schafe".
Aus der Leichenhalle tragen unterdessen Krankenschwestern in weißen Schutzanzügen schwarze Plastiktonnen mit Kleidern. Die Toten werden gewaschen und auf die Beerdigung vorbereitet.
In einem Plastiksack wird schließlich Kumars Freund Sudashen in einen Transportwagen verladen. „Wir hätten einander später in Ghana treffen sollen", sagt Kumar. „Jetzt treffen wir uns hier."

HINTERGRUND

Urheber des Angriffs in Nairobi ist die somalische Islamistenorganisation „al-Shabaab“. Sie kontrollierte noch vor wenigen Jahren große Teile Somalias, wurde zuletzt aber von afrikanischen Interventionstruppen stark geschwächt. Da darunter auch kenianische Armeeeinheiten sind, nahm der islamistische Terror in Kenia seit einiger Zeit zu. Der jetzige Angriff auf das Einkaufszentrum gilt auch als Racheaktion der „Steinzeitislamisten“ aus Somalia.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2013)

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