Truppen aus Kenia und anderen afrikanischen Ländern haben die radikale Miliz al-Shabaab in Somalia zurückgedrängt. Dafür rächte sie sich nun mithilfe ausländischer Jihadisten.
Sie stammt aus einer bürgerlichen britischen Familie, wuchs auf wie hunderttausend andere britische Teenager, ging abends tanzen in Discotheken. Doch dann lernte Samantha Lewthwaite den jungen Jermaine Lindsay kennen, der mit 15 zum Islam konvertiert war. Auch Samantha Lewthwaite konvertierte und heiratete 2004 Lindsay. Gemeinsam radikalisierten sie sich. Sie zogen sich immer weiter in ihre eigene Welt zurück, verfingen sich immer mehr ihrer bizarren Interpretation des Islam und der Wahnidee, „Widerstand“ gegen den britischen Staat und die britische Gesellschaft leisten zu müssen.
Am 7. Juli 2005 starb Jermaine Lindsay. Er war einer der Selbstmordattentäter, der sich in London in die Luft gesprengt und Dutzende Menschen mit in den Tod gerissen hatte. Samantha Lewthwaite bestritt, etwas mit den Anschlägen zu tun gehabt zu haben – und die Behörden glaubten ihr. Dann setzte sich die Frau nach Afrika ab. Sie trat in Kontakt mit der somalischen Extremistengruppe al-Shabaab und rückte dort offenbar in den Kreis der Personen auf, die Attentate planen. Bisher unbestätigten Berichten zufolge soll die 29-Jährige auch nun, beim blutigen Terrorangriff auf das Einkaufszentrum in Kenias Hauptstadt Nairobi, die Finger im Spiel gehabt haben.
Gut vorbereite Aktion
Kenias Behörden gaben jedenfalls bekannt, dass am Attentat mehrere Personen aus den USA und Großbritannien beteiligt waren, darunter auch „eine britische Frau, die so etwas schon zuvor gemacht hat“, wie Kenias Außenministerin Amina Mohamed sagte. Der Verdacht fiel sofort auf Lewthwaite.
Offenbar suchen immer mehr ausländische Jihadisten Kontakt zu al-Shabaab („Die Jugend“). Die somalische Gruppe hat bereits die Verantwortung für das Attentat übernommen. Fest steht, dass die Aktion gut vorbereitet worden ist. Den Angreifern gelang es, Waffen, Sprengstoff und Unmengen an Munition in das Einkaufszentrum einzuschleusen. Ihr Vorgehen erinnert an das Attentat in Mumbai 2008. Damals starteten Terrorkommandos an mehreren Orten der indischen Metropole Überfälle. Die Extremisten stürmten dabei auch zwei Luxushotels, töteten Dutzende Menschen und verschanzten sich mit Geiseln. Erst nach Tagen gelang es Spezialeinheiten, die Angreifer zu überwältigen.
Internationale Experten gehen davon aus, dass al-Shabaab zunehmend Know-how und Informationen mit anderen Extremistengruppen austauscht: vor allem mit den al-Qaida-Ablegern auf der arabischen Halbinsel und in Nordafrika und der Boko Haram, die im Norden Nigerias ihr Unwesen treibt.
Produkt des Bürgerkrieges
Al-Shabaab ist ein Produkt des somalischen Bürgerkriegs. Nachdem die „Union der islamischen Gerichtshöfe“, ein Sammelbecken islamischer Milizen, in der somalischen Hauptstadt Mogadischu die Macht übernommen hatte, marschierten 2006 äthiopische Truppen ein. Die USA unterstützten die Aktion, in der sie eine weitere Schlacht in ihrem „Krieg gegen den Terror“ sahen. Die Islamisten wurden zurückgedrängt, die besonders extremistische Miliz al-Shabaab leistete aber weiter Widerstand. 2009 zogen die Äthiopier wieder ab. Al-Shabaab übernahm in Teilen Somalias und in vielen Bezirken Mogadischus die Macht.
Mittlerweile wurden die Extremisten von afrikanischen Friedenstruppen aus der Hauptstadt weitgehend vertrieben und im ganzen Land zurückgedrängt. Anteil daran hatten Kenias Streitkräfte. Deshalb haben die Extremisten Kenia als Ziel für „Racheaktionen“ ausgewählt. Vergangenes Jahr warf ein Terrorkommando Granaten in eine Bar in Mombasa. Und laut Kenias Behörden war auch Samantha Lewthwaite an dem Attentat beteiligt – die junge Britin, die zur Jihadistin wurde.
WISSEN
Terrorkooperation. Die somalische Miliz al-Shabaab („Die Jugend“) hat die Verantwortung für den Anschlag auf das Westgate-Einkaufszentrum in Kenias Hauptstadt Nairobi übernommen. Die Aktion war gut geplant und erinnert an die Terrorüberfälle in der indischen Metropole Mumbai 2008, als Extremisten tagelang zwei Hotels besetzt hielten. Experten gehen davon aus, dass al-Shabaab zunehmend Know-how mit anderen Terrorgruppen teilt. Informationen, Wissen über Taktik und auch Gelder sollen vor allem zwischen al-Shabaab und den al-Qaida-Ablegern in Nordafrika und auf der arabischen Halbinsel fließen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2013)