So lähmt sich Amerika selbst

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Seit Dienstag sind große Teile der US-Bundesbehörden geschlossen. Der Shutdown wurzelt im Vorwahlsystem der beiden Parteien, das ideologische Heißsporne begünstigt.

Washington. Die Republikaner im Repräsentantenhaus des Kongresses haben erstmals seit 17 Jahren die Finanzierung der US-Regierung verweigert, um die neue landesweite Krankenversicherung (vulgo „Obamacare“) zu verhindern.

Und hier ist die Pointe: „Obamacare“ aber wird nicht gestoppt. Wie geplant eröffneten am Dienstag im Internet die ersten Börsenplätze, auf denen Millionen von unversicherten Amerikanern fortan aus staatlich gestützten Polizzen wählen können. Rund 55 Millionen der etwa 314 Millionen Amerikaner sind derzeit nicht krankenversichert; viele davon deshalb, weil sie zu alt oder zu krank sind und bisher von den Versicherungskonzernen als Kunden abgelehnt werden konnten. Binnen zehn Jahren, schätzt das Budgetbüro des Kongresses, könnte sich die Zahl der Unversicherten auf 31 Millionen senken.

Vorsicht beim Sterben

Währenddessen müssen rund 825.000 der knapp zwei Millionen Bundesbediensteten unbezahlten Urlaub nehmen. Alle Nationalparks sind geschlossen, alle Bundesmuseen, die Gesundheitsinspektorate wachen nicht darüber, ob irgendwo eine Grippewelle ausbricht, und wer bei den amerikanischen Streitkräften dient, bekommt zwar seinen Sold, sollte sich aber nun besonders davor hüten, verwundet zu werden oder gar zu sterben: Die Bearbeitung von Anträgen auf Pensionen, Bildungsbeihilfen und sonstigen Unterstützungen – einschließlich der diversen Sonderbeihilfen für Kriegswitwen und -waisen – sei nur mehr bis Ende Oktober garantiert, teilte die Behörde für Veteranenfragen mit.

Die Führer der beiden zerstrittenen Kammern des Kongresses erklärten zwar, weiter verhandeln zu wollen. Doch sowohl der demokratische Senatsführer Harry Reid als auch John Boehner, sein republikanisches Gegenüber im Repräsentantenhaus, wissen, dass ihnen die Dinge entglitten sind. Denn die Antreiber, die diesen Streit derart haben eskalieren lassen, hören nicht auf die offizielle Parteilinie Boehners, der republikanischen Partei oder die verzweifelten Appelle der Wirtschaftsverbände, zur Vernunft zurückzukehren.

Der Fluch der Vorwahlen

Das sind Männer wie der Abgeordnete John Culberson. Als seine Fraktion beschloss, Präsident Obama mit dem Zusperren weiterer Teile der Regierung zu drohen, wenn er „Obamacare“ nicht mindestens um ein Jahr verschiebe, quittierte Culberson das brüllend mit: „Yeah! Wie bei 9/11: Let's roll!“

Let's roll: Das war der Schlachtruf, mit dem Todd Beamer, Fluggast eines am 11. September 2001 gekidnappten Flugzeuges, seine todgeweihten Mitpassagiere zum heldenhaften Angriff auf die al-Qaida-Terroristen in der Pilotenkanzel anspornte; sie brachten das Flugzeug über einem Feld zum Absturz statt über Washington.

Der Abgeordnete Culberson vergleicht also ein rechtmäßig zustande gekommenes Sozialgesetz, das mit wenigen Detailänderungen vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurde, mit einem Terrorangriff. Ein Gesetz, das zudem die klare Wiederwahl von Präsident Obama im Jahr 2012 nicht gestoppt hat.

Am Texaner Culberson kann man den Grund für die politische Selbstlähmung der USA veranschaulichen. Die Kandidaten für Senat und Abgeordnetenhaus werden nämlich nicht bei den eigentlichen Wahlen bestimmt, sondern bereits Wochen davor bei den parteiinternen Vorwahlen. An diesen „Primaries“ nehmen seit Jahren immer weniger Bürger teil. Im Jahr 2010 waren es laut Erhebung der American University gerade einmal 17,8 Prozent aller Wahlbeteiligten. Das war der zweitniedrigste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen; seit den 1930er-Jahren hat sich die Zahl der Bürger, die an den Parteivorwahlen teilnehmen, halbiert.

In Culbersons Bundesstaat Texas machten vor drei Jahren sogar nur 14,16 Prozent der Wähler mit; 9,71 Prozent bei den Republikanern, 4,45 Prozent bei den Demokraten. Das sind nur die besonders Motivierten und ideologisch Aufgeheizten, sagt James Thurber, Professor an der American University.

Und so bekommen die Texaner, die gesellschaftlich durchaus unterschiedlicher sind als die europäischen Klischees über sie, am Wahltag einen Kandidaten vorgesetzt, der von einer radikalen Randbewegung erkoren wurde.

Ein Trend, der in vielen Bundesstaaten anhält: Manche Tea-Party-Kandidaten segelten mit den Stimmen von gerade einmal vier oder fünf Prozent aller Wahlbeteiligten nach Washington.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2013)

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