Lampedusa: "Tote hätten vermieden werden können"

Flüchtlingstragödie vor Lampedusa - Rom streitet um Migrationspolitik
Flüchtlingstragödie vor Lampedusa - Rom streitet um MigrationspolitikReuters
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Das Flüchtlingsdrama hat vermutlich Hunderte Tote gefordert. Man dürfe nun nicht zur Tagesordnung übergehen, fordert der UNHCR.

Nach dem Flüchtlingsdrama vor der süditalienischen Mittelmeerinsel Lampedusa ist die Suchaktion die ganze Nacht lang fortgesetzt worden. Bisher wurden 111 Leichen geborgen, 155 Menschen wurden gerettet. In dem Boot, das am Donnerstag in Brand geraten und gekentert war, befanden sich etwa 500 Flüchtlinge. Der italienische Innenminister Angelino Alfano geht daher davon aus, dass die Zahl der Todesopfer noch steigen wird.

"Diese Toten hätten vermieden werden können", sagte der UN-Sonderberichterstatter für die Rechte von Migranten, François Crepeau, am Donnerstagabend vor der UN-Vollversammlung. Er kritisierte die europäische Einwanderungspolitik. Illegale Migration könne nicht "ausschließlich mit repressiven Maßnahmen" bekämpft werden, dieses Vorgehen verstärke nur die Macht der Schlepper.

Crepeau rief die Staatengemeinschaft dazu auf, die Möglichkeiten für legale Einwanderung auszubauen. Sanktionen müssten nicht die Flüchtlinge treffen, sondern beispielsweise die Arbeitgeber, die illegale Einwanderer beschäftigten. Dies werde jedoch aus "politischen Beweggründen" unterlassen. In den Aufnahmeländern müsse die "Vorstellung von Vielfalt und Multikulturalität" akzeptiert werden.

"Nicht zur Tagesordnung übergehen"

Nach so einem Drama dürfe man nicht zur Tagesordnung übergehen, betonte am Freitag im "Ö1-Morgenjournal" Melitta Sunjic vom UNHCR, der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen. Man müsse die Grundursachen des Problems angehen - nämlich die Konflikte, die die Menschen zur Flucht bewegen. Die EU müsse sich stärker diplomatisch ins internationale Krisenmanagement einbringen, Grenzschutzmaßnahmen würden das Problem nicht lösen.

Der UNHCR fordert außerdem, Erstaufnahmeländer wie Ägypten und Libyen zu unterstützen. Innerhalb der EU müsse es eine "gewisse Lastenverteilung" geben.

Lega Nord: "Heuchlerische Integrationsslogans"

In Italien führt das Flüchtlingsdrama zu scharfer Polemik rund um die Einwanderungspolitik der Regierung. Die rechte Oppositionspartei Lega Nord nahm die aus dem Kongo stammende Integrationsministerin Cecile Kyenge ins Visier, die sich in den vergangenen Monaten mit Nachdruck für eine Lockerung des geltenden Einwanderungsgesetzes stark gemacht hatte. Auch die Präsidentin der Abgeordnetenkammer, Laura Boldrini, ehemalige UNHCR-Sprecherin, wurde von der Lega Nord wegen ihrer Appelle zur Aufnahme von Flüchtlingen scharf attackiert.

Kyenge und Boldrini seien für das Drama mitverantwortlich, erklärte der Vizepräsident der Lega-Abgeordnete, Gianluca Pini. "Sie verbreiten heuchlerische Integrationsslogans, statt mit konkreten Taten die Drittweltländer zu unterstützen. Boldrini und Kyenge haben all die in diesen letzten Monaten ums Leben gekommene Migranten auf dem Gewissen", betonte Pini. Laut Lega-Chef Roberto Maroni haben weder die italienische Regierung noch die EU-Kommission ihre Pflichten in punkto Bekämpfung des Menschenhandels erfüllt. Die EU lasse Italien im Stich.

Kyeng: "Worte beleidigen Todesopfer"

Kyenge reagierte scharf auf die Kritik . "Die Worte des Parlamentariers Pini sind nicht nur eine Beleidigung gegen mich, sie beleidigen auch die Todesopfer", sagte die Ministerin. "Die Attacke der Lega ist unannehmbar", protestierte auch die linke Senatorin Anna Finocchiaro.

"Wir stehen jetzt vor Massakern an Unschuldigen, weshalb sich die internationale Gemeinschaft und vor allem die EU nicht mehr vor der absoluten Notwendigkeit von Entscheidungen und Aktionen drücken kann", sagte Staatspräsident Giorgio Napolitano. Innenminister Alfano, betonte: "Wir hoffen, dass die EU wahrnimmt, dass es sich nicht nur um ein italienisches, sondern um ein europäisches Drama handelt".

5.500 Ankünfte in 14 Tagen

Lampedusa ist seit Monaten mit einer neuen Flüchtlingswelle konfrontiert. In den letzten zwei Wochen landeten 5583 Migranten nach Seefahrten in Süditalien, 2000 davon erreichten Lampedusa. 45 Migrantenboote trafen in den vergangenen zwei Wochen in Italien ein, 36 davon landeten auf Sizilien. Die meisten Flüchtlinge stammen aus Syrien, Eritrea, Palästina und Somalia.

(Red/APA/AFP)

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